Nürnberg grüßt Berlin
Handel
BioFach-Pressekonferenz vor der IGW
Während nahezu zeitgleich die ersten Presseveranstaltungen auf dem Berliner Messegelände zur 75. Internationalen Grünen Woche stattfanden, gastierte das Nürnberger Bio-Doppel BioFach und Vivaness am Dienstag in Berlin-Lichterfelde. „Der Markt findet nicht nur in der Biohalle statt“, sagte Claus Rättich aus der Geschäftsleitung der NürnbergMesse. Der Besuch in der Hauptstadt gut vier Wochen vor dem Messestart sei ein Experiment, die B2B-Messe neu zu präsentieren.
Gute Biostimmung
Schon im November zeigte der Blick über den Globus die gute Stimmung in der Bio-Branche, auch wenn das Wachstum 2009 etwas stockte. In der Zeit zwischen vom 17. bis zum 20. Februar erwartet die BioFach zwischen 2.400 und 2.500 Aussteller im 21. Jahr. Ganz unbeschadet gehen die Zeiten aber auch an der BioFach nicht vorbei. „Wenig erfreulich“, so Rättich, ist der Umstand, dass rund 10 Prozent weniger Aussteller gebucht haben. Rund ein Drittel der „Fernbleiber“ stammt aus Deutschland, zwei Drittel aus dem Ausland. Nach Rättich liegt der Hauptgrund in der zurückgehenden Förderung für Gemeinschaftsstände. Einige Aussteller sind mit dem neuen Messezeit bis nur noch Samstags unzufrieden und ein Teil sei auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen.
Das Schwerpunktthema 2010 „organic + fair“ ist den Kundenwünschen geschuldet, die sich immer mehr für die Entstehungsprozesse der Produkte interessieren. Allerdings bleibt die BioFach eine Fachmesse für Händler und Verarbeiter. Nürnberg sei die einzige, die jetzt für jedes einzelne Produkt einen entsprechenden Nachweis verlange und während der Ausstellung werden 20 Kontrolleure überprüfen, ob nicht im Kielwasser eines zertifizierten Produkts weitere „mitausgestellt“ werden.
Das liegt im Interesse der Branche, die ihre Produkte für die am besten kontrolliertesten hält. Peter Grosch, Geschäftsführer von BCS Ökogarantie und Ökoprotagonist der ersten Stunden, beschreibt die peniblen Kontrollen und Strafregister. Die Wirkung schlage sich auch auf schwierigen Märkten wie dem chinesischen nieder. Weil die Exporteure zertifiziert werden sei der Weg bis zu den Bauern weit. Mitunter mangele es ihm an Kenntnis und habe keinen Ansprechpartner für die Kundenwünsche. Das habe sich jedoch durch die Kontrollen und negativen Schlagzeilen zum Positiven gewandelt.
Die Ökomoderne kommt
So wie die Branche sich vom Hinterhofladen zum Biosupermarkt gewandelt hat, ändert sich auch der Ökokonsument. Die Lohas der letzten Jahre sind in Kritik geraten, weil man sich keine neue Welt kaufen könne, wie „Eine Welt“-Begründer Manfred Linz vom Wuppertalinstitut es beschrieb. Die konsumfreudige und hochmobile Lohas-Gesellschaft hat nicht den umweltfreundlichsten Fingerabdruck und es fehle ihr an einer Philosophie.
Dr. Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut Kelkheim versucht die Nachfolgegeneration der Lohas zu beschreiben. Angesichts der knapper werdenden Ressourcen und Einsicht in einen unausweichlichen Wandel, bewege sich die Ökonomie in einem „Green Shift“ auf die Ziele der Ökobranche zu. Dabei versuchen die Konsumenten die Vorteile der Wissensgesellschaft und der digitalen Welt mit dem Erhalt von Werten zu verbinden. Bio habe sich als Sehnsuchtsthema etabliert, so Dr. Wenzel, und die Branche könne von sich behaupten, wir erfüllen eure Wünsche.
Arbeit hat sie aber noch vor sich, weil immer mehr konventionelle Firmen Begriffen wie Nachhaltigkeit adaptieren. Ein Viertel der Konsumenten wüsste immer noch nicht wo sie grüne und ökologische Produkten kaufen können.
„Die neue Armut“
Nach Dr. Wenzel ist der Kauf von Ökoprodukten nur noch zu acht Prozent aus Umweltgründen relevant. Die Ökomodernen Käufer suchen andere Werte wie individuelle Gesundheit und das gute Gewissen. Sie sind extrovertiert und weisen eine große „Neulust“ auf, Dinge auszuprobieren. Ihr Handeln resultiert nicht aus der Einsicht aus dem Beipackzettel, der erklärt, warum das Produkt ökologisch, sozial oder nachhaltig ist.
So finden sich seit einiger Zeit zunächst in Amerika „Rezessionskunden“, „Frugalisten“ denen eine neue Sparsamkeit (englisch „frugal“) zu einem neuen Lebensstandard geworden ist. Sie feiern Tage des „Nichtkonsums“, stellen ihre Lebensmittel selber her und fangen damit die bei Lohas abhanden gekommene Ideologie wieder auf. Frei nach dem Motto: Die größte Waffe gegen den Kapitalismus ist die Bescheidenheit.
Allerdings bleibt angesichts des Klimawandels nur noch wenig Zeit, bis sich der Frugalismus als Massenbewegung durchgesetzt hat. Das räumt Dr. Wenzel auch im Gespräch mit Herd-und-Hof.de ein. „Nicht konsumieren angesichts des Überflusses“ sei eine individuelle Entscheidung, die sich durchsetze. Man müsse nicht mehr ein 30. Mal in die Dominikanische Republik fliegen. Beschleunigende Signale müssten aber eben auch aus der Politik kommen.
Roland Krieg; Foto: roRo (Gemeinschaftsstand auf der BioFach 09)