Ökonomie der Liebe
Handel
Gemeinsam ins Jahr 2020
Obwohl sich viele Menschen nach Harmonie sehen und mit ihren Mitmenschen auskommen wollen, suchen sie bei Kapitalinvestitionen hohe Renditen, die das Gegenteil bewirken. Thomas Jorberg, Vorstand der GLS-Bank bezeichnet das Verhalten als Bedürfnisschizophrenie, denn auch der hohe Zins ist ein Bedürfnis des Menschen. Ein Wandel ist notwendig und am Mittwochabend diskutierten in Berlin Demeter, der Bund der Freien Waldorfschulen und der Dachverband der Anthroposophischen Medizin in Deutschland um den Entwurf des künftigen Gesellschaftsmodells.
Das Wertesystem ändern
Dass ein neues Miteinander möglich ist zeigt das vor 35 Jahren gegründete Sekem in Ägypten. Vielen Verbrauchern sind Kräutertees, Obst und Gemüse, Gewürze aber auch Textilien bekannt. Gründer Dr. Ibrahim Abouleish gründete 1977 das Projekt Lebensgemeinschaft rund um 70 Hektar Land der ägyptischen Wüste. Dabei geht es den Mitarbeitern nicht nur um gesunde landwirtschaftliche Produkte, sondern auch um Lebensgemeinschaft im vor- und nachgelagerten Bereich, sowie bei kulturellen Aufgaben, wie Kindergarten, Schule, und Entwicklung. Mehr als acht Firmen haben sich aus dem Projekt entwickelt und 450 Höfe liefern die Produkte. Tragend ist die biologisch-dynamische Landbewirtschaftung, die den Einsatz von Brauchwasser um 40 Prozent gesenkt hat, laufend für Ertragssteigerungen sorgt und die Kultivierung von bislang 11.000 Hektar Wüstenboden ermöglichte. Im Jahr 2003 bekam Sekem den alternativen Nobelpreis und die Lebens- und wirtschaftsweise wurde mit den Worten „Ökonomie der Liebe“ gewürdigt.
Den Menschen einflechten
Demeter-Bauer Godehard Hannig vom Kirchhof im hessischen
Alheim-Oberellenbach beschreibt anhand der Landwirtschaft die Sichtweise: Vor
der Industrialisierung war die Landwirtschaft schon biologisch ausgeprägt. Erst
der wasserlösliche Mineraldünger habe den Bauern ihren bäuerlichen Hintergrund
geraubt. Heute seien die Menschen von der landwirtschaftlichen Produktion so entfremdet,
dass sie meinten, ein Fass mit Nährstoffen allein auf dem Feld schon eine
gesunde Pflanze erzeugt.
Seine Wirtschaftsweise sei kein Gegenentwurf zur
konventionellen Landbewirtschaftung, sondern hebe sich besonders hervor, dass
die Geisteswissenschaften die Landwirtschaft gestalten. Hannig hat den Verband
der handwerklichen Milcherzeugung mit gegründet und dabei habe man erst die
Bedeutung des Milchfetts in der menschlichen Ernährung erkannt. Im Kontext ist
der hohe Anteil an ungesättigten Fettsäuren direkt auf die Fütterungsart zurückzuführen.
Werden die Tiere extensiver gehalten und nicht auf hohe Milchleistung gezüchtet
und bekommen sie ausreichend Raufutter, dann bleiben über die betriebliche
Vorleistung die Gesundheitsbestandteile in der Milch erhalten.
Dr. Matthias Girke, Leitender Arzt des
Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe in Berlin, nimmt den Ball auf und stellt in
der Medizin die Frage, was einen gesunden lässt. So spielen dann nicht nur
gesunde Lebensmittel, sondern auch ein harmonisches Umfeld eine Rolle. Im
Genesungsprozess, aber auch bei der Gesunderhaltung.
Gewinn in der Nachhaltigkeit
Nikolai Keller, Geschäftsführer von Weleda, räumte mit
dem Vorurteil auf, dass mit der ökologischen Ausrichtung kein Gewinn zu
erzielen sei. Auch in der Nachhaltigkeit können Unternehmen wachsen. Dabei
orientiert sich der Unternehmer nach den Kundenwünschen und liefert das, was
die Kunden wünschen: Qualität.
Bei Keller steht die Substanzqualität ganz oben. Weleda
ist nicht umsonst in Schwäbisch Gmünd angesiedelt, wo es das größte Anbaugebiet
an Heilpflanzen gibt. Der Umgang mit Kunden und Mitarbeitern rundet die
Einbeziehung sozialer Kriterien in die Unternehmensphilosophie ab.
Übertragbares Modell?
Verbraucherschutzpolitikerin Kerstin Tack (SPD) sieht Deutschland
und Europa vergleichbare Wege einschlagen. Die Landwirtschaft werde
ökologisiert und Nachhaltigkeitskriterien eingeführt.
Hingegen sind so umfassende Projekte wie Sekem in
Deutschland kaum möglich, meinte Johannes Singhammer, stellvertretender
Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU. Vergleichbares werde umgesetzt, wenn
Gesundheitsprävention die Gesundheitskosten reduzieren soll – aber generell
gelte: Spielräume wie bei Sekem gibt es erst durch wirtschaftliches Wachstum.
Roland Krieg