Polen: Wachstum, Wachstum, Wachstum
Handel
Polnisch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen
Die Nachbarn Deutschland und Polen haben im letzten Jahr erneut ein deutliches Wirtschaftswachstum gezeigt. Mit 4,3 Prozent in Polen und drei Prozent für Deutschland ist der gemeinsame Wirtschaftsraum ein Stabilitätsfaktor in Europa. Beim kumuliertem Wachstum aus den Jahren 2008 bis 2011, den Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise, kommt Deutschland auf 2,3 Prozent Bruttoinlandsprodukt, Polen auf 15,8 Prozent, rechnete Dr. Tomasz Kalinowski, Leiter der Wirtschaftsabteilung der polnischen Botschaft in Berlin am Mittwoch vor. Allerdings, so räumte er bei der jährlichen Präsentation der Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten, ist das polnische Wachstum nicht an eine Reduzierung der Arbeitslosenzahlen gekoppelt. Die Arbeitslosenrate beträgt 12 Prozent. Die Signale bis März zeigen Konjunkturschwächen für das laufende Jahr. Beide Länder werden im Wachstum zwischen einem und eineinhalb Prozentpunkte verlieren.
Deutschland wichtiger Partner
Sowohl beim Import als auch beim Export hat Polen im
letzten Jahr jeweils 13 Prozent zulegen können. Jacek Robak, Leiter der
Abteilung Handel und Investitionen in der Botschaft, weiß den langjährigen
Trend passend zu beschreiben. „Wachstum, Wachstum, Wachstum!“ Das liege auch an
der breiten Exportbasis vieler verschiedenen Warengruppen. Wenn es irgendwo
schwächelt, gleicht das ein anderes Marktsegment aus.
Der größte polnische Exporteuer ist übrigens VW, die
neben dem Caddy auch viele Einzelteile in die Welt von Polen aus verkaufen.
Auch der neue Opel Astra wird in Polen gebaut und ein weiterer deutscher
Investor baut gerade in Stargard Szczecinski ein neues Werk für Schiffsdiesel,
die ebenfalls in die ganze Welt exportiert werden. Jacek Robak hofft dabei auf
einen großen Arbeitsmarkteffekt.
Deutschland bleibt mit Abstand die Nummer eins auf der
polnischen Exportliste. Für 35 Milliarden Euro werden Waren ausgeführt. Auf
Platz zwei steht England mit acht Milliarden. Innerhalb Deutschlands bestehen
die meisten Handelsbeziehungen mit Nordrhein-Westfalen, weil seit den 1950er
Jahren viele Polen ins Ruhrgebiet gezogen sind. Der Handel mit NRW ist
umfangreicher als mit England.
Zwischen Deutschland und Polen gibt es jedoch
statistische Unstimmigkeiten von mehreren Millionen Euro. Kaufen die Polen
Waren aus China, die in deutschen Häfen angelandet werden, dann gelten sie für
die Polen als Einfuhren aus China, für die deutsche Statistik jedoch als Export
von Deutschland nach Polen.
Euro 2012
Nicht nur Polen fiebert der Fußballeuropameisterschaft entgegen. Aber besonders. Ein Teil der EM wird in Polen ausgetragen, die vier Stadien in Poznan, Wroclaw, Gdansk und Warszawa sind fertig, Krakow gilt als die fünfte EM-Stadt, denn dort schlagen mit England, den Niederlanden und Italien gleich drei Teams ihre Zelte auf. Jan Wawrzyniak, Leiter des Polnischen Fremdenverkehrsamt in Berlin, erwartet eine Million mehr Gäste wegen der EM.
Arbeitnehmerfreizügigkeit
Im letzten Jahr kochte das Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit in der deutschen Presse noch einmal ganz hoch, weil ab dem 01. Mai 2011 polnische Arbeitnehmer ohne Einschränkung nach Deutschland kommen dürfen. Robak frozzelte noch, dass im Warschauexpress nach Berlin für den 02. Mai noch Platzkarten zu haben seien – und in der Tat hat die Realität die medialen Menetekel Lügen gestraft. 2011 gab es einen Wanderungssaldo an polnischen Arbeitern nach Deutschland von 28.418 Personen. Dr. Kalinowski hat auch ermittelt, warum die Wanderungswelle so gering blieb. Deutschland ist vom Lohn her bei weitem nicht mehr so attraktiv wie die Schweiz, England oder Irland. Die westlichen EU-Länder haben die Freizügigkeit schon länger erlaubt und bleibende Beziehungen geschaffen. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass es von einem polnischen Regionalflughafen bessere Verbindungen nach London, Dublin oder Paris gebe als nach Berlin. Zudem ist die Sprachbarriere für die meisten Auswanderungswilligen größer als in ein englischsprachiges Land. Und – nicht zuletzt – bei der Auswahl des neuen Arbeitsplatzes ist die „Willkommenskultur“ mit entscheidend. Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland findet gerade diesbezüglich eine Debatte statt, die Willkommenskultur zu verbessern. Den Begriff hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits im letzten Jahr geprägt und wurde beim Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt im Januar 2012 als verbesserungswürdig bezeichnet.
Erneuerbare Energien
Wie alle anderen EU-Länder hat auch Polen die
Energiewende eingeleitet. Bis 2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energien
auf 15 Prozent verdoppelt werden. Ein wesentliches Element ist hierbei sind
Windkraft und Biomasse.
Bei der Förderung von Ökostrom hat Polen sich einen
Berichtigungsfaktor einfallen lassen. Alle drei Jahre bestimmt das
Wirtschaftsministerium diesen Faktor aus Verfügbarkeit und Gestehungskosten
neu, um die Förderung der Quellen für den Ökostrom neu auszurichten. Polen hat
keine Einspeisevergütung wie Deutschland mit dem EEG, sondern verkauft
Zertifikate. Die Versorger müssen eine festgelegte Menge davon kaufen, aber
dafür auch nachweisen, dass sie erneuerbare Energien für die Strom- oder
Wärmebereitstellung nutzen. Für den 01. Juli 2012 ist ein Energieregulierungspaket,
das sich aus einen Energie-, Gas- und Erneuerbare-Energien-Gesetz
zusammensetzt. Das setzt einmal die EU-Vorgaben für den Ausbau der erneuerbaren
Energien fest und soll ähnlich der Einspeisevergütung den Energieerzeugern
Produktionssicherheit geben.
Ein wichtiges Standbein ist auch die Biomasse, das für
das Jahr 2030 sogar ein Anteil von 30 Prozent für die erneuerbaren Energien
vorgesehen ist. Grundsätzlich hat Polen mit 12 Prozent Anteil den größten
Biomasseanteil in Europa. Biomasse soll fünf Milliarden Kubikmeter Biogas
liefern können.
Polen versorgt Europa auch mit grüner Technik. Die
Firma Solaris aus Poznan liefert Elektro- und Hybridbusse. Jüngst haben fünf
Verkehrsverbände am Niederrhein sich bereits zum dritten Mal in Folge für die
polnischen Umweltbusse entschieden.
Lesestoff:
Wirtschaftstagung im letzten Jahr
Für die EM hat Polen gleich eine mehrsprachige Seite mit allen Informationen ins Netz gestellt: www.polishguide2012.pl
Roland Krieg