Politischer Balanceakt an der Börse
Handel
Agrarrohstoffe: Deutschland will Börse reglementieren
Der aktuelle Agrarrohstoffindex der Agrarmarkt Informations-GmbH
(AMI) zeigt heute erstmals wieder einen leichten Rückgang der Preisnotierungen.
Auslöser des Kursrutsches war eine massive Verkaufswelle spekulativer Anleger
infolge der Ereignisse in Japan und Lybien, so die AMI. Heute Mittag erinnerte
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner an Preissprünge nach oben im
letzten Jahr, nur weil Russland einen Getreideexportstopp ankündete. Physisch
war mit dem Getreide noch nichts passiert.
Gründe, weshalb sie zusammen mit Bundesentwicklungsminister
Dirk Niebel und Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, ihre
Maßnahmen gegen Preisspekulanten an der Börse vorstellten. Hintergrund ist eine
aktuelle Studie der Welthungerhilfe zu Finanzspekulationen an Weltagrarmärkten.
Es trifft die Armen
925 Millionen hungernde Menschen, 80 Prozent von ihnen leben im ländlichen Raum, sind nach Bärbel Dieckmann eine „stille Katastrophe“. Hunger wird durch Krisen, Vernachlässigung des ländlichen Raums und Klimaveränderungen verursacht. Seit einigen Jahren allerdings kommt ein weiterer Preistreiber hinzu: Finanzspekulanten. Importeure aus Mali und Kenia müssen für Getreide rund die Hälfte mehr zahlen als noch vor zehn Jahren. Im Juli 2010 kostete eine Tonne Getreide etwa 200 US-Dollar, im Januar 2011 bereits 360 US-Dollar. Für deutsche Konsumenten sind die Auswirkungen steigender Lebensmittelpreise im Durchschnitt nicht so dramatisch, sie geben lediglich 13 Prozent des Einkommens für Nahrung aus. In Bangladesch sind es aber 55 Prozent, in Vietnam 65 und in Nigeria mehr als 70 Prozent des Einkommens.
Börsen-ABC
Niebel, Aigner und Dieckmann versuchten die
Börsenaktivitäten zu differenzieren. Der Warenterminhandel gilt der Branche
auch als normale unternehmerischer Risikoabsicherung. Zudem sollen
Investitionen in die Landwirtschaft gelockt werden, so Niebel: „Landwirtschaft
ist eindeutig Privatwirtschaft“. Ilse Aigner bezeichnete es als „Kunst“,
Grenzen an der Börse einzurichten, „ohne die Stabilisierungseffekte der Terminbörse
zu gefährden“.
Die Welthungerhilfe hilft mit Definitionen aus:
Großhändler kaufen Agrarprodukte an der Börse zu Garantiepreise und umgekehrt
verkaufen Produzenten das Getreide schon vor der Ernte zu Garantiepreisen. Dieses
so genannte „Hedging“ wird von „commercials“ durchgeführt. Seit jeher gibt es
auch branchenfremde Spekulanten, die „non-commercials“, die mit ihren
Aktivitäten die Börsenpreise bestimmen. Seit jeher gibt es auch Arbitrageure,
Akteure, die versuchen regionale Preisdifferenzen zu nutzen.
Ins Visier von Politik und
Nichtregierungsorganisationen sind jetzt aber die „Indexspekulanten“ geraten.
Sie üben einen permanenten Nachfragedruck aus, indem sie bei Fälligkeit eines
Kontraktes gleich immer wieder neue kaufen, ohne auf den Preis zu achten. Durch
entstehe ein Trend zu hohen Preisen, die immer neues Kapital anlocken und
letztlich zu Preisblasen führt.
Nach Analyse der Hochschule Bremen haben
Indexspekulanten in den letzten Jahren zu Getreidepreisen geführt, die um 15
Prozent über dem Preis liegen, die sich aus börsennormalen Fundamentalfaktoren ergeben
hätten. An den US-Börsen halten etwa 70 Indexspekulanten derzeit etwa fünf bis
zehn Prozent der Lieferechte an der Weltjahresproduktion von Mais, Weizen und
Soja. Wert: 40 Milliarden US-Dollar. Die Studie befürchtet, dass das in
Deutschland zu diesem Zweck angesammelte Kapital ebenfalls bald amerikanisches
Niveau erreichen könnte. Entsprechende Rohstofffonds werden, so die Studie, vor
allem von der Commerzbank, der DZ Bank, Black Rock und ETF Securities
angeboten.
Gegensteuern
Zur Überwindung des Welthungers führt Ilse Aigner
zunächst einmal das gesamte Ursachenbündel an. Die Nachfrage nach
Nahrungsmitteln lasse vor allem den Preis steigen. Auch Wunsch nach höher
verarbeiteten Produkten und Fleisch wirke preissteigernd. Zudem sinken die
Lagerstände, die durch mäßige Ernten und Ausfälle in Russland, China und
Australien nicht wie gewohnt befüllt werden. Das ist nach Ansicht Aigners eine
Rückkopplung des Klimawandels. Steigenden Energiepreise drücken auf die
Produktionskosten der Lebensmittel und, zumindest ein bisschen, spielen
erneuerbare Energien eine Rolle. Weltweit werden aber nur drei Prozent der
Ackerfläche für den Anbau von Biotreibstoffen genutzt. Die Wirkung der Rohstoffspekulanten
setzte dem Gefüge nur noch die Krone auf.
Transparenz ist bei der Kontrolle der Börsen das
wichtigste. Aigner, Niebel und Dieckmann sind sich einig, dass offen gelegt
werden muss, wer, zu welchem Zweck wie viel von welchem Produkt handelt. Nach
Aigner muss dabei auch der Handel „over-the-counter“ (OTC-Handel)
berücksichtigt werden. Darunter fallen beispielsweise Finanzderivate. Für die
Umsetzung der Transparenz werden ein Transaktionsregister und eine
Berichtspflicht an der Börse vorgeschlagen. Vorstellbar könnten auch Preis- und
Volumenlimits sein. Werde ein Grenzwert überschritten, könne die Börsenaufsicht
einschreiten, den Handel eventuell aussetzen und Handelsmengen für Händler
begrenzen. Aigner räumt ein, dass die Umsetzung schwer ist, weil die
Warenterminbörse eng mit dem Finanzsektor verzahnt ist.
Schwer ist es aber auch, weil es keine wirklichen
Mehrheiten für solche Strategien gibt. Weltweit nicht und auch nicht in Europa.
Trotzdem soll Finanzminister Wolfgang Schäuble die Vorschläge zum nächsten
G20-Treffen morgen und übermorgen mitnehmen.
Andere Ansatzpunkte
Bärbel Dieckmann warnte davor die Finanzspekulationen als einzige Ursache für den Welthunger zu sehen. Andere Ursachen dürfen nicht vergessen werden. Ein ganz wichtiger Punkt, für den es noch nicht einmal ein Millenniumsentwicklungsziel gibt ist die dezentrale Energieversorgung vor Ort. Energie im Dorf ist Voraussetzung für eine Lagerhaltung. Kühlen, trocknen und konservieren braucht Energie. Eine ordentliche Lagerhaltung ist wichtig, weil nach der Ernte derzeit rund 40 Prozent der Nahrungsmittel wieder verderben.
Lesestoff:
Die Studie „Finanzmärkte als Hungerverursacher“ kann
auf der Seite www.welthungerhilfe.de
heruntergeladen werden.
Roland Krieg; Grafik AMI