Regional sticht Bio

Handel

Nachhaltigkeit im Handel

Regionalität wird so oft unterschiedlich definiert, wie danach gefragt wird. Müssen alle Möhren vom Feld kommen, das vor der Stadt liegt? Bananen gibt es nicht in Deutschland und der Handel fragt mehr Ware nach, als an Ort und Stelle angebaut werden kann. Logistisch und produktionstechnisch ist die Regionalität weiter zu fassen als die gute Nachbarschaft. Ein Ergebnis des Obst- und Gemüseforums der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI.

Regionalität im internationalen Handel
Jochen Schloemer, Geschäftsführer des Gemüsering Stuttgart, einem der größten Gemüselieferanten Deutschlands, spricht lieber über authentische Kommunikationsmerkmale. Die Produktion muss personifiziert werden. Dazu gehört die bildliche Darstellung und die Adresse des Gärtners. Anbaueinschränkungen im Nachbarschaftsgarten müssen dem Verbraucher vermittelt werde, damit die Reichweite der Wahrnehmung regionaler Produkte sich erweitern kann. Regionale Produkte kommen besonders gut an, wenn sprachliche Eigenschaften der Region auf der Verpackung angegeben werden. So bietet der Gemüsering in Ostdeutschland Mairübchen, in Süddeutschland rote Rettiche und in Norddeutschland Steckrüben an.
Regionalität darf nicht zur Ausrede werden, schlechtere Qualität anzubieten. In punkto Sicherheit, Qualität und auch kosteneffizient, müssen regionale Waren heute höchsten Ansprüchen genügen. So versteht sich der Gemüsering als Vorreiter eines eigene Regionalkonzeptes. Möhren werden beispielsweise im badischen Reilingen, im ostdeutschen Jessen und in Friedrichskoog regional erzeugt und vermarktet. Die Qualitätssteuerung und Lieferlogistik hingegen wird zentral vom Gemüsering aus gesteuert. Nur so sind nach Schloemer ganzjährig Möhren für den Handel verfügbar. Die Biomöhre kommt derzeit nur vom Produktionsstandort Neulußheim. Für die Erzeuger, die oft Familienbetriebe führen hat sich das überregional gesteuerte Regionalkonzept bewährt, weil sie damit eine Absatzsicherheit haben und in Schulungen und Informationsveranstaltungen eingebunden sind. Ein Ende der „schönen Welle“ Regionalität sieht Schloemer nicht. Er glaubt, dass Regionalkonzepte noch in den nächsten Jahren um jährlich 20 Prozent wachsen werden.

Der Handel verbindet
Was für Stefan Grubendorfer eine strategische Ausrichtung ist, verbindet Kunde und Erzeuger. Wenn der Kunde nicht direkt beim Erzeuger einkaufen kann, dann muss der Handel das Scharnier zwischen beiden sein. Grubendorfers Rewe-Laden in Dortmund hat keine Toplage und ist kein hypermoderner Supermarkt – gewinnt seine Kunden aber über die „weichen Faktoren“: Regionale Produkte, Vertrauen zum Erzeuger und Mehrwert sind Zusatzfunktionen des Handels. Gut ausgebildetes Personal ist der Schlüssel zum Erfolg von Grubendorfer, der seit Jahren seinen Rewe-Laden zu einem „Nachbarschaftsgeschäft“ ausbaut.
Die Obst- und Gemüseabteilung ist das Herzstück des Geschäftes, führt der selbstständige Kaufmann auf dem AMI Obst- und Gemüseforum aus. Dort gibt es neben den Waren auch die passenden Geschichten dazu. Die Mitarbeiter sind auf die Betriebe gefahren und haben Geschichten und Geschichtchen in einer „Heimatzeitung“ an den Kunden gebracht. „Regionalität gibt es nicht geschenkt“, so Grubendorfer. Auch nicht, wenn die Region vor der Ladentür liegt. Zusammen mit den Landfrauen aus Lette wurden die Produkte vor dem Geschäft auch gekocht. Kaufen, kochen und verköstigen. Im Dezember gibt es die nächste große Aktion. Dann werden an drei Tagen Geschichten rund um die gesunde Ernährung über ein Kindertheater vermittelt. Stefan Grubendorfer macht die Erfahrung, dass die Kunden die viele zusätzliche Leistung honorieren und er den familiären Einkaufscharakter dem Preisdumping entgegenstellen kann. „Wenn der Kunde uns liebt, dann verzeiht auch er auch manchmal“, so Grubendorfer.

Regionalität sticht Bio
Regionalität wird künftig wichtiger werden als „Bio“, prophezeit Dr. Ludger Breloh, Bereichsleiter Strategischer Einkauf Bio bei der Rewe Group. Regionalität wird Bio als Alleinstellungsmerkmal überlagern. Dr. Breloh sieht einen Trend zur Auflösung der klaren Trennlinie zwischen ökologischer und konventioneller Produktion. Die konventionelle Landwirtschaft übernimmt bereits Arbeitsverfahren, die einst im ökologischen Landbau entwickelt wurden. Und andererseits würde der Ökolandbau immer stärker hinterfragt. Die Schnittmenge liege bei der Guten Fachlichen Praxis, die Begriffe wie Nachhaltigkeit in den Massenmarkt bringen kann. Rewe verfolge mit seinem Konzept „Pro Planet“ genau diesen Weg.
Mehr als 300 Kriterien für den Begriff Nachhaltigkeit hat die Rewe gesammelt und sie letztlich in fünf Kategorien eingeteilt. Die Produkte werden auf ihre Auswirkungen auf das Klima, die Biodiversität, die Ressourceneffizienz, auf soziale Effekte sowie auf die Tiergesundheit betrachtet. So wurde beispielsweise bei der Apfelproduktion auf einer „Hot Spot – Karte“ nicht der Rückstand von Pflanzeschutzmitteln als gravierendste negative Auswirkung ermittelt, sondern durch die Konzentration des Obstanbaus auf wenige Anbaugebiete eine Bedrohung der Biodiversität durh fehlende flächendeckende Apfelblüte.
Pro Planet will mit solchen Analysen Projektziele definieren, die nacheinander die Schwachstellen in der Produktion ausgleichen. Das werde dann den Produzenten als Aufgabe vorgegeben und mit Nichtregierungsorganisationen verifiziert. Im Rahmen der Vertikalisierung der Nachhaltigkeitsziele würden also neue dezentrale Apfelproduzenten gefördert.
Die Integration der Umweltverbände ist dem Verbraucherverhalten geschuldet: „In der öffentlichen Diskussion muss die gefühlte Nachhaltigkeit berücksichtigt werden“, lautet das Statement von Dr. Breloh. Es sei egal, ob die Gentechnik auch objektive Vorteile erzielen kann – der Handel muss sich daran halten, was die Konsumenten kaufen oder ablehnen.

Nachhaltigkeit ist Vertrauensangelegenheit
Näher zu bestimmen, was der Begriff Nachhaltigkeit alles beinhaltet, schlägt oft fehl. Dr. Horst Lang, Qualitätsmanager von Globus, führt der Definition oft verkannte Parameter hinzu. So gehören auch niedrige Versicherungsprämien, das Erschließen neuer Zukunftsmärkte oder verbesserte Verfahrenskontrollen zu der meist üblichen Ressourcenbewertung. Ob sich das Engagement lohne, sei nicht immer leicht zu bemessen – aber gerade in Krisenzeiten wendeten sich Menschen gerade den Unternehmen zu, denen sie am meisten Vertrauen. Nachhaltigkeit ist ein Vertrauensparameter.

Obst- und Gemüseanbau für Spezialisten
Geringe Margen, Wetterkapriolen und volatile Märkte setzen den Obst- und Gemüseanbauern zu. Nach Dr. Hans-Christoph Behr von der AMI bräuchten die deutschen Anbauer die Zukunft nicht zu fürchten. Der durch die Discounter vorangetriebene Wettbewerb hat in der Vergangenheit einen Strukturwandel ausgelöst, bei dem viele Betriebe in die Spezialisierung gegangen sind. Vorreiter sind die kapitalintensiven Betriebe des Beerenanbaus. Nach Jose Antonio Cánovas Martinez, Geschäftsführer der Kernel Export aus dem spanischen Murcia, hat dieser Trend auch den Bioobstanbau erreicht. Die Herstellungskosten steigen jährlich zwischen zwei und sechs Prozent und die Margen für die Hersteller würden immer geringer. Nach Martinez wird der Bio-Markt bei Obst und Gemüse künftig durch weniger, aber spezialisierte Betriebe geprägt sein.

Zukunft Fresh Cut
Convenience-Produkte liegen im Trend. Bei Fresh Cut – Obst und Gemüse hingegen liegt Deutschland im europäischen Tabellenkeller. Das AMI Obst- und Gemüseforum in Berlin zeigte, dass hier noch ein großer Nachholbedarf besteht. Nach Friedhelm Balmes von der Gartenfrisch Jung GmbH sind Frankreich und England Marktführer bei Ready-to-Eat – Salaten. Auch in Spanien und Italien gewinnen die Produkte an Beliebtheit. Fresh Cut setzt einen hohen Logistikstandard voraus. Einen Tag nach Bestellung muss im Kühlfahrzeug angeliefert werden.
Bakkavör ist eine isländische Firma, die seit 1986 durch Belieferung von Restaurants mit frischem Fisch Erfahrungen in der anspruchsvollen Kühlkette sammelt. Im Jahr 2005 kaufte sie in England die Firma Geest auf, die seit 1972 in England den Convenience-Markt bedient. Die Kombination Bakkavör und Geest liefert mittlerweile in zehn Ländern küchenfertiges Obst und Gemüse aus. In England sind komplette Mahlzeiten („Meal deal“) sehr beliebt. Im wesentlichen gibt es dabei eine Hauptkomponente mit einer Gemüsebeilage und Nachtisch. Zusammen mit einer Flasche Wein zahlen die Kunden rund 10 Pfund für das Menü.
Treiber des Fresh Cut ist der Faktor Gesundheit, so Claire Martino von Bakkavör. Allerdings nicht auf die alten Werte und Nostalgie bezogen, sondern auf der „Suche nach sicheren Abenteuern und neuen Erfahrungen“. Fresh Cut kommt dabei als Premiumprodukt an. Allein „bio“ habe keinen Reiz mehr, weil keine Geschmacks- oder Haltbarkeitsverbesserung wahrgenommen werde. Küchenfertiges Obst und Gemüse erzielt in England einen Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Pfund.

Lesestoff:
www.rewe-grubendorfer.de
Auch die holländische Käserei Beemster hat in ihrem Beirat Umweltorganisationen, die neue Ideen, wie Soja aus nachhaltigem Anbau in die Produktion einführen
AMI Obst- und Gemüseforum Teil I

Roland Krieg

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