Rekordjahr für Ernährungsbranche
Handel
Ernährungsindustrie reagiert auf Verbrauchertrends
Deutschland befindet sich in einer Art Dauerkonjunktur. Die Ernährungsbranche konnte vom wirtschaftlichen Stimmungsplus 2017 als viertgrößter Wirtschaftssektor profitieren und setzte mit 179,6 Milliarden Euro einen Rekordwert um. Dennoch ist die Branche mittelstandsorientiert, betonte Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) bei der Präsentation der vorläufigen Wirtschaftszahlen 2017 in Berlin.
Der Absatz von Lebensmitteln stieg in einem gesättigten Markt lediglich um 1,1 Prozent. Daher resultiert das Umsatzplus von 4,8 Prozent überwiegend aus gestiegenen Lebensmittelpreisen von 3,9 Prozent. Dennoch liegt der Preisniveauindex mit 105,9 Punkten nur leicht über dem EU-Schnitt als Referenzwert. Zudem steigen die Lebensmittelpreise langsamer als die anderer Güter.
Exporte
Mit rund einem Drittel Auslandsumsatz bleibt der Export eine wichtige Stütze der Ernährungsindustrie. Von den 60 Milliarden Euro Umsatz (+ 3,3 Prozent zu 2016) erzielten die Firmen 47,2 Milliarden im EU-Ausland. Dort sind China, die USA und die Schweiz die wichtigsten Abnehmer. Afrika ist ein kleiner Handelspartner für deutsche Firmen. Der Nachbarkontinent ist aber wichtig als Rohstofflieferant. Das Fachgespräch über den Handel mit Afrika südlich der Sahara im Sommer 2017 diente im Bundeslandwirtschaftsministerium der Auslotung von Projekten zur Agrarentwicklung im Rahmen der Entwicklungshilfe und Chancen für private Investitionen
Außer-Haus
Immer wichtiger wird der Außer-Haus-Markt, der um 3,4 Prozent auf 78,4 Milliarden Euro Umsatz angestiegen ist. Dort hat sich das Wachstum der Konsumausgaben in der Bediengastronomie mit 2,5 Prozent gegenüber der Schnell- und Erlebnisgastronomie sowie der Verpflegung am Arbeitsplatz mit 3,7 Prozent verflacht. Die 2,5 Prozent Wachstum resultieren aber noch immer mit 30,6 Milliarden Euro Umsatz als größte Einnahmequelle.
Wettbewerbsdruck
Harter Wettbewerb durch Konzentration im Lebensmittelhandel, steigende Kosten der Rohstoffe sowie neue Regulierungen machen es den Verarbeitern von Lebensmitteln nicht leicht. Doch Verbraucher sind bereit mehr Geld für hochwertige Lebensmittel auszugeben. Das belegt die Zahl an Innovationen der Branche. In diesem Jahr wird der Durchschnittsbürger zusätzliche 633 Euro für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung haben und kommt damit auf eine durchschnittliche Kaufkraft von 22.992 Euro pro Kopf und Jahr. Zehn Prozent werden für Nahrungsmittel und Getränke ausgegeben.
Konsumenten wollen nicht nur frische Lebensmittel, sie fragen auch nach neuen Produkten, die lakosefrei sind und keinen oder weniger Zucker aufweisen. Die Start-ups der Branche reagieren darauf und bespielen die Regale mit immer neuen Produkten. Minhoff sieht darin einen Hinweis, dass die Branche die Wünsche der Verbraucher ernst nimmt. Ein Produkt, das nicht verkauft wird, verschwindet aus den Regalen.
Regulierungen
Den Innovationscharakter will Minhoff von der Politik stärker gefördert wissen. Das sei effektiver als politische „Konsumanleitungen“, wie eine Zuckersteuer. Es werde schnell, viel gefordert, aber beispielsweise nicht an kartellrechtliche Auswirkungen gedacht. An einem neuen Runden Tisch im Landwirtschaftsministerium arbeiteten Industrie, Verbraucherschutz und Politik an gesundheitlichen Strategien. Das Vorpreschen der Ärzte gegen Fehlernährung ist dem BVE ein Dorn im Auge [1]. Minhoff fordert die Krankenkassen auf, mehr für das Thema Ernährungsbildung auszugeben. „Am Ende entscheidet der Verbraucher jeden Tag“.
Die am Montag von der EU-vorgestellte Anti-Plastik-Strategie droht den kleinen und mittleren Unternehmen der Ernährungsbranche neues Ungemach zu bringen. „Kunststoff birgt Gefahr und Bedrohung für das Meer, aber bringt auch Sicherheit für den Verbraucher.“ Die Ernährungsbranche beschäftige sich bereits mit dem Thema.
Arbeiten in der Branche
Stefanie Sabet hat als Hauptgeschäftsführerin der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) den Blick auf die Arbeitsbedingungen im Gewerbe gerichtet. Die Mehrheit der Arbeitnehmer arbeitet unbefristet (92 %), steht im Sozialversicherungsverhältnis, also kein Minijob (98 %), und in Vollzeit (86 %). Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten in Produktion, Logistik und Lagerung. Ein Drittel in Verwaltung und Management. Aber: 20 Prozent der Ausbildungsplätze sind unbesetzt. Das ist doppelt so hoch, wie im Bundesdurchschnitt.
Hinzu kommt die Digitalisierung. In den Regallagern fahren bereits viele autonome Fahrzeuge, es wird zunehmend digitalisiert kommissioniert und ein Umschwung auf die Blockchain-Technologie, würde auch manchen Platz in der Verwaltung gefährden. Doch bietet die Digitalisierung auf Betriebsebene auch Chancen für neue Tätigkeiten, erläutert Stefanie Sabet gegenüber Herd-und-Hof.de. Die Branche kann über die Aus- und Weiterbildung die Chancen für neue Berufe und Tätigkeitsfelder attraktiver für Auszubildende gestalten. Nach Christoph Minhoff werde die Digitalisierung zu einem Wachstum der Beschäftigung führen. In diesem Jahr führt die ANG eine Human Ressource-Studie durch, bei der die Arbeitspotenziale 4.0 in der Branche ermittelt werden.
Die Branche ist von der Bundesregierung adressiert worden, mehr Menschen in die Beschäftigung zu bringen. Die vorliegenden Zahlen sprechen nach Ansicht der ANG jedoch schon von einem qualitativen Berufsumfeld. Insgesamt stehe die Branche wirtschaftlich unter Druck und hat bei der Anpassung von Löhnen und Ausbildungsvergütung nur wenig Spielraum. Diesen März hatte Sabet bereits darauf hingewiesen. Die geplanten Regulierungen bei Befristung und Teilzeit wirkten sich vor allem bei den kleinen und mittleren Firmen in großem Maßstab aus. Die Ernährungsbranche steht in direkter Lieferabfolge aus der Landwirtschaft und weist saisonale Arbeitsspitzen auf. Darauf müsse die Politik Rücksicht nehmen.
Lesestoff:
[1] Ärzte fordern echte Gesamtstrategie gegen Übergewicht: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/uebergewicht-kloeckner-muss-liefern.html
Roland Krieg. Grafik: BVE; Fotos: roRo