Russland bleibt Handelspartner

Handel

Handel auf Augenhöhe

Wenn Russland Fleischimporte aus Deutschland stoppt, ist ein ganzer Sektor in heller Aufregung. Nicht immer sind Einfuhrbeschränkungen aus Hygienischen Gründen für die Lieferländer nachvollziehbar. Hans Dürr sieht das differenzierter. Der deutsche Unternehmer bewirtschaftet in Russland rund 100.000 Hektar Land, melkt an verschiedenen Standorten rund 6.000 Milchkühe und stellt die russische Sicht der Dinge dar: Wenn die EU mit ihren Subventionen den Milchpreis auf dem Weltmarkt unter Druck setze, dann macht sich das auch auf dem russischen Markt bemerkbar. Man dürfe sich dann nicht wundern, wenn Russland auf anderen Bereichen beispielsweise mit Zollerhöhungen reagieren.

Autozentrierte Entwicklung Russlands
Das Russland-Forum im Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft zeigte auf der Grünen Woche einen tiefen Einblick in die Handelsseele beider Staaten. Nach dem Zusammenbruch der Produktion hat Russland bislang noch nicht das Niveau von 1990 erreichen können. Das Potenzial aber ist unverändert, denn nur zwei Prozent der Weltbevölkerung stehen neun Prozent der weltweiten Ackerflächen zur Verfügung. Darüber hinaus sind die russischen Holdings von wahrer Riesengröße. Die Holding von Generaldirektor Pavel Skurikhin umfasst rund 400.000 Hektar. Alles wird mit Getreide bebaut und die Holding produziert täglich 350 Tonnen Brot. Demnächst sollen 700 Tonnen Brot täglich gebacken werden.
Dazu müssen die Erträge gesteigert werden, Dünger und Pflanzenschutzmittel müssen eingesetzt, die Landmaschinentechnik muss erneuert werden und für die Verarbeitung sollen neue Techniken her. Vor allem aus Deutschland. Die Bundesrepublik ist mit einem Importanteil von 32 Prozent der bedeutendste Handelspartner. Von hier sollen modernes Saatgut, Pflanzenschutzmittel und Landtechnik die russische Produktion modernisieren. Dazu hat das Bundeslandwirtschaftsministerium 2008 ein eigenes Programm aufgelegt, so Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner auf dem Forum. Das wird von russischer Seite auch gewünscht, erklärt Viktor Subkov, Vizepremier der Russischen Föderation.
Die russische Agrarministerin Elena Skrinnik legte aber auch die Grenzen fest. Für Milch, Fleisch, Getreide, in der Verarbeitung und Logistik gibt es erheblichen Modernisierungsbedarf. Aber Russland will zunächst sich selbst versorgen. Milch und Fleisch werden zu etwa 40 Prozent importiert, was als Bedrohung der nationalen Sicherheit empfunden wird, schreibt Gerlinde Sauer, Geschäftsführerin der Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft (ost ausschuss-Informationen 1-2/2010; S. 14). Eine neue Doktrin wird demnächst festsetzen, dass für Grundnahrungsgüter ein Selbstversorgungsgrad von bis zu 90 Prozent erreicht werden soll.
Dann bleibt Deutschland nur noch der Handel mit Technik, Knowhow und verarbeiteten Lebensmitteln.
Um die Eigenproduktion in Russland voranzutreiben tritt im Februar das Gesetz „Über den Handel“ in Kraft. Das soll die landwirtschaftlichen Produzenten stärken, indem der Marktanteil von Handelsketen auf 25 Prozent reduziert werden soll und Listungsgebühren verboten sind.

Umwelttechnik gesucht
Wer also noch investieren möchte, der sollte es jetzt tun. Twer ist eine Region zwischen Moskau und St. Petersburg, mit 84.000 Quadratkilometern so groß wie Österreich. Gouverneur Dmitri Zelenin wirbt mit Steuererstattungen für bis zu sieben Jahre und üppigen Subventionen. Für jeden investierten Euro steuert Twer derzeit neun Eurocent hinzu.
Liudmilla Orlova, Direktorin der „Nationalbewegung für Ressourcensparende Landwirtschaft“ will aber nicht nur eine Modernisierung der Landwirtschaft, sondern vor dem Hintergrund des Klimawandels gleich eine umweltschonende Technisierung. So seien 58,6 Prozent der russischen Ackerflächen der Erosion ausgesetzt. Milliarden Euro seien für die Wiederherstellung der Flächen notwendig. Orlova schaut nach Amerika. Pfluglose Direktsaat und Präzisionslandwirtschaft sind dort weiter verbreitet als in Russland und Europa. Orlova plädiert für eine Agrartechnikmesse in Russland, wie die deutsche Agrartechnika.
Und dafür gilt Russland als Weltlabor. Die Erträge in Osteuropa konnten um 80 Prozent gesteigert werden. Das soll mit modernen Technologien in Russland auch möglich sein, sagte Klaus Mangold, Vorsitzender des Ost-Ausschusses im Vorfeld des Forums. Russland könne statt 100 dann 180 Millionen Tonnen Getreide produzieren, was zusätzlich rund 250 Millionen Menschen ernähren kann. Vergleichbares Steigerungspotenzial sieht er auch in Rumänien, der Ukraine und Kasachstan. In der Ukraine koordiniert der Ost-Ausschuss ein deutsches Agrarzentrum, zur Umsetzung der nachhaltigen Produktion und Ertragssteigerung. Ähnliche Zentren sollen nach Mangold auch in Kirgisien, Usbekistan und Äthiopien entstehen.
Für Elena Skrinnik ist das erst der Anfang. Sie will Russland in den nächsten 10 bis 15 Jahren wieder zu einem Getreideüberschuss führen, von dem 125 Millionen Tonnen über Direktkontrakte strategisch exportieren können.

Roland Krieg

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