Russlands zweite Niederlage
Handel
Russland bestimmt die Börsenrichtung
Nach dem Zusammenbruch des Staatsmonopolkapitalismus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) über die GUS-Übergangsphase (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) Russland, Belarus und der Ukraine im Dezember 1991 bis hin zur Russischen Föderation hat nach Analyse der Rede des Präsidenten Wladimir Putin vom Montag nur eines als roter Faden überlebt: Die Oligarchie einiger Weniger stets Reicher, die über die Mehrheit der Menschen regiert, die wirtschaftlich seit 100 Jahren nie richtig in eine Wohlfahrtsgesellschaft hineinwachsen konnten. Putin ist mit seiner Gegenwartsverlorenheit in seiner Rede historisch in seiner Geschichte hängen geblieben. Russland hat es seit dem Zusammenbruch der UdSSR nicht geschafft, einen wirklichen Neustart hinzulegen. Wie schwer das ist, zeigen die osteuropäischen EU-Staaten. Russland hätte aber die Ressourcen gehabt, sein eigener finanzstarker Entwicklungsbruder zu sein.
Ukraineverlust wird eingepreist
Nach Putins Rede fielen die Gazprom-Aktien nach fluchtartigem Verkauf um 25 Prozent auf 5,27 Euro und am frühen Morgen erneut auf 5,06 Euro (Stand 22.02. um 09:08 Uhr).
In den USA wurde wegen eines Feiertages am Montag nicht gehandelt. Von der ING-Bank heißt es aber: „Nachdem Russland die ostukrainischen Separatisten offiziell anerkannt und Truppen in die Region verlegt hat, könnten die Märkte beginnen, eine vollständige Invasion der Ukraine einzupreisen.“
Beim Europäischen Agrarrat haben die Minister am Montag parallel zu Putins Rede zwar auch über den Konflikt gesprochen, aber wie der französische Landwirtschaftsminister Julien Denormandie am Abend sagte, nicht bezüglich einer drohenden Knappheit bei Agrarimporten aus der Ukraine, sondern über weiter steigende Kosten wie denen für Energie. Und tatsächlich bewegten sich der Kurs für Rohöl nach Putins Rede auf die 100-US-Dollar-Marke zu (je Barrel Öl von 159 Liter), als auch der für Erdgas, dessen Preis um weitere 13 Prozent anstieg. Zudem fiel der Euro im Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar zurück.
Die Politik bewegte sich am Dienstag im Denken weiterer Szenarien. Genau der Spielball, der die Börsen nährt.
Agrarmärkte
Die Agrarmärkte sind in den letzten Wochen hochnervös gewesen. Vor allem bei Getreide und Raps hat es immer wieder Gewinnmitnahmen gegeben, die Dellen in die steigenden Kurse schlugen. Doch gab es genug Optimisten, die weiter auf steigende Kurse setzten. Der tatsächliche Handel am Schwarzen Meer blieb bislang unberührt. Dennoch hat Europa bei den Getreideexporten in den letzten Monaten von den Spannungen profitieren können. Selbst Algerien hat wieder französischen Weizen gekauft. Deutschland wurde im ersten Halbjahr 2021/2022 sogar wieder Nettoexporteur für Getreide.
Was die Ackerbauern freut, drückt die Nutztierhalter aufs Ärgste. Denn Futtergetreide bleibt preislich auf hohem Niveau und wird von Futtermittelunternehmen im Mischfutter gegen Tapioka, Maiskleber und Kleien ausgetauscht. Putins Invasion wird den Preisanstieg durch die La Nina-Trockenheit in Südbrasilien, die auf die Ernteerwartungen für Soja drückt, noch etwas draufsetzen. Und auch China fixiert mit seinem Hunger auf Futtermittel wegen des deutlich angestiegenen Schweinebestandes die Nachfrage auf hohem Niveau.
Nicht-Agrarhandel
Beim Blick auf den allgemeinen Handel Deutschlands mit Russland halten sich die Import- und Exportvolumen mit jeweils rund 22 Milliarden Euro im Jahr 2021 in der Waage. Unterschiede gibt es bei den Produkten. Elektro- und Fertigwaren wandern gen Osten, Russland liefert vor allem Energie.
Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft hatte Ende Dezember auf das Wiedererblühen des Handels mit Russland hingewiesen und auf die Notwendigkeit der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 hingewiesen [1].
Der Vorsitzende Oliver Hermes sagte am Dienstag dazu: „Wir verurteilen die gestrigen Entscheidungen der russischen Regierung. Die Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete und die Entsendung von Truppen dorthin stellen eine klare Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine und des Minsker Abkommens dar. Wir fordern Russland im Namen der deutschen Wirtschaft eindringlich auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“ Der Verband sorgt sich auch um die 350.000 Mitarbeiter bei deutschen Unternehmen in der Ukraine und Russland.
Beim Thema Nord Stream bleibt der Sprecher des Verbandes gegenüber Herd-und-Hof.de sensibel. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei Bundesregierung bei Nord Stream 2 die Reißleine gezogen und sagte: „Ich habe das Bundeswirtschaftsministerium heute gebeten den Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, das klingt zwar technisch, ist aber der nötige Verwaltungstechnische Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann. Und ohne die Zertifizierung kann Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. Die zuständige Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums wird eine neue Bewertung der Versorgung unter Berücksichtigung dessen vornehmen, was sich in den vergangenen Tagen verändert hat.“
Liegt jetzt nur die Zertifizierung auf Eis oder das ganze Projekt? Während einige Medien vom Pipeline-Aus sprechen, bezeichnen andere den Vorgang nur als „Zertifizierungs-Unterbrechung“, wie auch der Ost-Ausschuss es gerne hätte.
Was ist in die Pause gegangen?
Ohne Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums fehlt der Bundesnetzagentur die Grundlage für eine Zertifizierung. Und zwar so lange, wie es keinen neuen Bericht gibt. Da liegt nicht nur etwas auf Eis.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist ebenfalls eindeutig und teilte am Dienstag mit: „Die Bundesregierung zieht den Versorgungssicherheitsbericht der Vorgängerregierung für die Gasleitung Nord Stream 2 zurück. Dies hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz heute Vormittag der Bundesnetzagentur, die für die Zertifizierung der Leitung zuständig ist, in einem Schreiben mitgeteilt. Solange der Versorgungssicherheitsbericht nicht aktualisiert ist, kann keine positive Zertifizierungsentscheidung durch die Bundesnetzagentur ergehen. Grund für die Entscheidung ist die Situation am deutschen und europäischen Gasmarkt in diesem Winter und die Zuspitzung der geostrategischen Entwicklung.“
Die Neubewertung folgt dem § 4 Absatz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes und wird als Versorgungssicherheitsbericht bezeichnet. Unter welchen Bedingungen Nord Stream 2 in der Neubewertung einen Beitrag für die Versorgungssicherheit Deutschlands leisten kann, ist derzeit in der Hand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK) und nicht mehr der Zertifizierungsstelle in der Bundesnetzagentur. Ohne Bericht kein Zertifikat.
Lesestoff:
[1] Der Optimismus kehrt zurück: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/vaeterchen-frost-muetterchen-russland-und-der-russische-baer.html
Roland Krieg
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