Saubere Luft kennt kein Pardon
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EuGH stärkt Recht auf saubere Luft
Die Bilanz des Umweltbundesamtes im Februar 2014 war ernüchternd: „Vor allem Stickstoffdioxid und Feinstaub beeinträchtigen auch im Jahr 2013 die Luftqualität und damit die menschliche Gesundheit in Deutschland“. Besonders im Fokus: Stickstoffdioxid, dessen Belastung in der Luft ähnlich hoch wie in den Vorjahren war. Mehr als die Hälfte der städtisch verkehrsnahen Stationen überschritten den zulässigen Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft. Zusammen mit Ozon ermittelt das Umweltbundesamt rund 47.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland durch schlechte Luft.
Stickstoffoxide werden durch einen Verbrennungsprozess freigesetzt. Feuerungsanlagen und der motorisierte Verkehr sind die Hauptemittenten. Beim Auto machen sich vor allem die niedrige Quellhöhe und die hohen NO2-Gehalte der Abgase auf die Menschen bemerkbar.
Rückblick
Im Jahr 2010 traten zwei Luftqualitätsgrenzwerte der EU in Kraft. Sie beschreiben als Jahresmittelwert und Kurzzeitwert den Gehalt des Stickstoffdioxids [1]. Die Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz schrieb bereits im Mai 2010, dass „insbesondere der Jahresmittelwert an zahlreichen verkehrsreichen Straßen ohne zusätzliche Maßnahmen nicht eingehalten werden kann“. Die Ermittlung zu jenem Zeitpunkt ergab: Die NO2-Immissionskonzentration wurde in 2008 (2007) deutschlandweit an 424 (428) Stationen gemessen, davon sind 154 (162) Verkehrsstationen. Dabei wurden insgesamt 97 (94) Überschreitungen des ab 2010 gültigen NO2-Jahresmittelwertes von 40 Mikrogramm je Kubikmeter registriert, 82 (91) davon an Verkehrsstationen.
An den innerstädtischen Straßen stammen die Immissionskonzentrationen zu 70 Prozent aus dem lokalen Kraftfahrzeugverkehr. Hauptursache sind Dieselfahrzeuge.
Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft ging davon aus, dass erst mit der Einführung der Abgasnorm Euro 5 und 6 ein spürbarer Rückgang der Stickstoffdioxid-Emissionen eintrete. Aber, so die Einschränkung: „nicht in dem Maße, dass in 2010 bzw. 2015 der NO2-Grenzwert flächendeckend einzuhalten wäre.“
Problem in Großbritannien
Die Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG legte die Grenzwerte fest, die ab 2010 nicht mehr überschritten werden durften. Wenn ein Mitgliedsstaat jedoch in festgelegten Gebieten trotz geeigneter Maßnahmen die notwendige Reduzierung nicht vorhersehbar hat einhalten können, durfte für das Gebiet eine Fristverlängerung bis zum 01. Januar 2015 beantragt werden. Vorausgesetzt, es liegt auch ein Umsetzungsplan für die Reduzierung vor.
In England wurden 2010 in 40 der 43 Gebiete die Grenzwerte für Stickstoffdioxid überschritten und im September 2011 legte die Regierung für 24 der 40 Gebiete einen Plan für die Fristverlängerung bis Januar 2015 vor. Für 16 Gebiete wie beispielsweise „Greater London“ sahen die Luftqualitätspläne eine Einhaltung für den Zeitraum zwischen 2015 und 2025 vor. Es gab jedoch keinen Antrag auf Fristverlängerung.
Die Umweltorganisation ClientEarth beantragte bei Gericht, dass für diese Gebiete Umsetzungspläne bis 2015 aufzustellen sind. Die Rechtssache ging bis an den Supreme Court of the United Kingdom, dem obersten Gericht des Vereinigten Königreiches. Dieser fragte beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, ob ein Antrag auf Fristverlängerung notwendig sei, wenn die erste Frist 2010 nicht hätte eingehalten werden können. Der Supreme Court wollte zudem wissen, ob ein Luftqualitätsplan bereits ausreicht, um der EU-Richtlinie nachzukommen.
Ergebnisverpflichtung
Am Mittwoch hat das EuGH dem Umweltverein Recht gegeben. Die Formulierung, dass Grenzwerte „nicht mehr überschritten werden [dürfen]“ ist eine Ergebnisverpflichtung. Daher sind die Mitgliedsländer verpflichtet einen Antrag auf Fristverlängerung zu stellen, die höchstens fünf Jahre entsprechen darf, wie es die Richtlinie vorsieht. Davon gibt es keine Ausnahme.
Die Regierungen sind auch verpflichtet einen Luftqualitätsplan aufzustellen, wenn die Frist bereits verstrichen ist. Ziel soll sein, den Zeitraum der Überschreitung von Stickstoffdioxidgrenzwerten so klein wie niedrig zu halten. Die Erstellung eines Planes darf nicht vermuten lassen, dass die Richtlinie in vollem Umfang erfüllt wurde.
Insofern darf der Supreme Court jetzt alle Register im Sinne von ClientEarth ziehen, einen Umsetzungsplan für eine möglichst schnelle Umsetzung der Luftreinhaltungsqualität zu fordern. Von der Regierung.
Die EU-Kommission hat ein prüfendes Auge auf das Urteil geworfen. Das Urteil verpflichtet alle Mitgliedsstaaten auf die Einhaltung der Richtlinie für saubere Luft.
Die Situation in Deutschland
Die Einhaltung der Grenzwerte ist im föderalen System Deutschland Aufgabe der Länder und Städte. Der Bund hat die Verschärfung von Emissionsnormen zur Nachrüstung von Diesel-Kfz mit Rußpartikelfilter wieder aufgelegt und über den Haushaltsausschuss Gelder in Höhe von 30 Millionen Euro bewilligt, teilte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums Herd-und-Hof.de mit. Die Länder haben Umweltzonen und Lkw-Durchfahrtsverbote eingerichtet.
Die Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte bleibt auch künftig eine bedeutende Herausforderung. Zum einen liegt das an dem hohen Anteil Dieselfahrzeuge bei Neuzulassungen, was die Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft schon vor 15 Jahren befürchtete, zum anderen an den „Real-driving-emissions“ (RED). Die Erwartungen von verschärften Abgasnormen haben sich nicht erfüllt, weil die Stickoxidemissionen im realen Betrieb höher als vermutet waren.
„Pilotverfahren Deutschland“
Gegen Großbritannien hat die EU im Februar 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Deutschland ist mit der Vorstufe eines Pilotverfahrens „davon gekommen“. Trotz Maßnahmen werden die Stickstoffdioxid-Jahresmittelwerte nicht eingehalten. Das müsste auch auf weitere Ballungsräume der EU zutreffen. Die EU möchte zusammen mit den Mitgliedsstaaten ein zusätzliches Messverfahren für Diesel-Fahrzeuge der Abgasstufe Euro 6 für die Ermittlung des „realen Emissionswertes“ ausarbeiten.
Das Bundesumweltministerium ist überzeugt, dass die Länder ihre Luftreinhaltepläne weiter entwickeln. Mit „realistischen und sozialverträglichen Maßnahmen“. Am 02. Dezember wird die Bundesregierung der EU einen mit den Bundesländern abgestimmten Bericht übermitteln.
Wie viele Regionen gibt es in Deutschland?
Auf Grundlage der EU-Luftqualitätsrichtlinie haben Kommunen und Städte für insgesamt 57 Regionen eine Fristverlängerung bis Ende 2014 beantragt. Für 25 Gebiete wurde die Fristverlängerung gewährt. „Für die übrigen 32 Gebiete konnte keine Einhaltung der Grenzwerte prognostiziert werden“, heißt es aus dem Ministerium. Die Bundesregierung ist deshalb mit der Kommission im Gespräch, weil die europäischen Standards für Kraftfahrzeuge nicht ausreichen, die Grenzwerte einzuhalten. Im Gegensatz zu den Engländern hat Deutschland gar nicht erst versucht längere Fristen als bis Ende 2014 einzuräumen. Alle Gebiete sind mit einem Luftreinhalteplan versehen.
Noch mehr saubere Luft
Ende 2013 hat die EU ein neues Paket für saubere Luft aufgelegt. Im Fokus stehen diesmal Ammoniak und Methan. Das hat die Bauern auf die Palme gebracht, weil sie ein Ende der Tierhaltung in Deutschland fürchten [2].
Lesestoff:
Urteil EuGH C-404/13 http://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_16799
[1] Jahresgrenzwert: 40 Mikrogramm/m3; Stundengrenzwert 200 Mikrogramm/m3 bei 18 zugelassenen Überschreitungen im Jahr.
[2] Saubere-Luft-Paket bringt Bauern auf die Palme. Der Weg zum Null-Emissions-Stall
Roland Krieg