Scheinriese Wal Mart Deutschland
Handel
Handelsgigant gibt Standort Deutschland auf
Wal Mart ist mit 312 Milliarden Dollar der umsatzstärkste Einzelhändler und das zweitgrößte Unternehmen der Welt. Als der Gigant Ende der 1990er Jahre nach Deutschland kam, zitterte die Branche, denn die Philosophie der „Niedrigpreise“ ist in den USA äußerst erfolgreich gelaufen. Je näher man dem Giganten allerdings in Deutschland kam, desto kleiner wurde er von Gestalt – wie der Scheinriese aus der Augsburger Puppenkiste. Nach acht Jahren verzweifelter Expansion und permanenten roten Zahlen beendet das 1962 von Sam Walton gegründete Unternehmen sein Abenteuer Deutschland. Die Filialen sollen von der Metro übernommen werden.
Amerikanisches Modell gescheitert
Wal Mart hatte noch 2001 eine große Stellenanzeige geschaltet, um die Standortentwicklung weiter voran zu treiben. Das Unternehmen versprach: „Im deutschen Einzelhandel setzen wir neue Maßstäbe an unseren derzeit 94 Standorten.“
Ende 2001 hatte Wal Mart mit 95 Filialen die größte Ausdehnung gehabt. Die Nummer 95 eröffnete im Saale-Park Leipzig und lockte die Kunden zusätzlich und erstmalig mit 100 Bioprodukten. Branchenkenner schätzten den Standort aber bereits als „schwierig“ ein, denn die Arbeitslosigkeit in der Gegend lag damals bei 28 Prozent.
Dauerniedrigpreis bei guter Qualität auf 10.000 qm mit Lebensmittel, Elektronik, Babyartikel, Kleidung, Drogerie, Haushaltsartikel, Sport, Freizeit und Gartenartikeln – so stellte sich das Unternehmen sein Modell für Deutschland vor. Das Weinsortiment umfasste 800 Weine, die „alle Preisschienen“ abdecken, so damals Uwe Klenk, Einkaufsleiter Lebensmittel und Non-Food. 70.000 Artikel, Frischfleisch, Obst und Gemüse, Bioprodukte und bis zu 15 Prozent regionale Produkte: Wal Mart wollte alles zum niedrigsten Preis. Dazu gab es mit „Smart Price“ Einstiegspreislagen und mit „Great Value“ Markenersatzprodukte.
In der Lebensmittel Zeitung (LZ) zeigte sich Retail Analyst Dr. Jürgen Elfers von der Commerzbank schon damals skeptisch: Die Personalkosten sind mit 13,3 Prozent viel zu hoch. Auch die großflächigen „Supercenter“-Flächen galten schnell als Handicap für den deutschen Markt. In den USA führt Wal Mart mit den Neighborhood Stores bis zu 4.000 qm auch kleine Verbrauchermärkte, die in Deutschland Chancen gehabt hätten.
Bis 2002 hatte Wal Mart auch Probleme bei der Warenbeschaffung, da die Amerikaner ihre US-Logistik nicht auf Deutschland übertragen konnten. Der Frischelieferer Alli half bis zu seiner Insolvenz dem Riesen aus der Patsche.
Entscheidend ist wohl die Fehleinschätzung gewesen, dass der deutsche Konsument genauso einkauft, wie der Amerikaner. Die Deutschen aber kaufen in einem SB-Warenhaus innerhalb eines Radius von 20 km mehrmals die Woche nur Lebensmittel. Für Non-Food reisen sie in die Innenstadt. Das ländliche Amerika hat keine Innenstädte mit Geschäften und da kaufen die Kunden alles in ihrem „Superstore“ auf der Grünen Wiese.
Acht Jahre in den Schlagzeilen
Für den Einstieg in den deutschen Markt kauften die Amerikaner 1997 gleich 21 Wertkauf- und ein Jahr später 74 Intersparmärkte. Mit Getöse ging es weiter, die den Konzern immer wieder in die Schlagzeilen brachten. Nach der „Rollback“-Kampagne zur Preissenkung auf breiter Warengruppenfront begann eine große Aktion mit vergleichender Werbung, die dem Unternehmen nicht nur Freunde einbrachte. In einem extra gestellten Regal wurde das Jubiläumsprospekt eines Mitbewerbers ausgelegt und die darin angebotenen Waren gleich mit: Der Kunde konnte direkt vergleichen, was billiger ist.
Sechs US-Bürgerinnen hatten Wal Mart in den USA wegen „systematischer Diskriminierung von Frauen“ verklagt: Frauen sind in der Gesamtbelegschaft zu 72 Prozent vertreten, aber in Führungspositionen nur zu zehn Prozent, hieß es in der Anklageschrift. Kurz vorher waren zwei Gehörlose Ex-Mitarbeiter mit einer Klage erfolgreich, weil Wal Mart gegen das amerikanische Förderungsabkommen für Behinderte verstoßen hatte. In Deutschland fiel das Unternehmen durch, weil es Liebschaften zwischen Angestellten unterbinden wollte.
2005 hatte Wal Mart den Deutschen Bauernverband (DBV) gegen sich aufgebracht, weil zu Pfingsten ein 250 g-Päckchen Butter zu 59 Cent angeboten wurde. Der DBV wertete das als einen „Anschlag eines Lebensmittelriesen auf die bäuerliche Milchwirtschaft“. Für ein Kilo Butter braucht man 20 Liter Milch, für die Erzeuger jeweils etwa 28 Cent bekommen. Für DBV Präsident Gerd Sonnleitner war das Angebot „blanker Hohn und betriebswirtschaftlich äußerst fragwürdig“.
Tiefstrot in 2006
Schon früh musste der Konzern auf die Kostenbremse treten. Das tiefrote Betriebsergebnis in 2001 zwang das Unternehmen rund 45 Millionen DM einzusparen, was die Gewerkschaften fürchten ließ, dass Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Das Sparkonzept ging sogar soweit, dass Konzernchef Lee Scott seinen Mitarbeitern empfahl „herrenlose Stifte von Konferenzen“ (LZ 23/2001) einzusammeln.
Ende 2005 hatte der amerikanische Mutterkonzern Wal Mart bereits eine zweite Patronatserklärung abgegeben, bis Dezember 2007 mögliche Verluste der deutschen Häuser in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro auszugleichen.
Da waren es nur noch 88 Standorte, von denen 21 durch eine eigene GmbH & Co. KG geführt werden. Alleine diese 21 Märkte hatten 2003 einen Verlust von rund 91 Millionen Euro erzielt, führte die Lebensmittel Zeitung in diesem April an. Dabei sollen das bereits die besseren Standorten gewesen sein, hieß es. Mit den durchgeführten Rabattschlachten ging letztlich der Umsatz um 4,6 Prozent zurück. Da half es nichts, dass bis 2003 die Personalkosten auf 12 Prozent des Umsatzes reduziert wurden.
Die im Bundesanzeiger veröffentlichte Bilanz wies für den deutschen Wal Mart Ableger einen Umsatz von 2,56 Milliarden Euro aus. Der Bilanzverlust beträgt 528 Millionen Euro bei Null Eigenkapital und Null Rücklagen. Verbindlichkeiten werden mit 1,87 Milliarden Euro und Zinsen mit 95 Millionen Euro angegeben. Die amerikanische Mutter hat die deutsche Tochter bereits außergewöhnlich mit 282 Millionen Euro abgeschrieben. Der erwartete break-even wurde erneut nach hinten verschoben und die Lebensmittel Zeitung gab auch kurz und knapp den Grund an: Hohe operative Verluste bei geringem Durchschnittsbon.
Somit kam am Freitag das Aus für den deutschen Wal Mart zwar überraschend plötzlich, aber nicht unerwartet. Michael Duke, Vize-Vorsitzender von Wal-Mart Stores Inc. sagte am Freitag am Firmensitz Bentonville in Arkansas: „Nachdem wir unsere Aktivitäten auf die Bereiche konzentrieren, von denen wir uns hinsichtlich unserer Wachstumsstrategie den größten Erfolg versprechen, wurde zunehmend deutlich, dass es unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland schwierig ist, die von uns angestrebte Größe und angestrebten Ergebnisse zu erzielen. Der Verkauf dieses Geschäftszweiges gibt uns die Möglichkeit, uns verstärkt den Märkten zu widmen, auf denen wir unsere gesteckten Ziele schneller erreichen können. Wir werden mit der Metro eng zusammenarbeiten, um einen reibungslosen Übergang zu erreichen.“
Die Gesellschaft wird in diesem Zusammenhang eine Abschreibung auf die Beteiligungen von rund einer Milliarde US-Dollar im zweiten Quartal des Geschäftsberichtes 2007 vornehmen. Die Transaktion bedarf noch der Zustimmung der Wettbewerbsbehörde.
Bis dahin bedient Wal Mart weltweit 175 Millionen Kunden wöchentlich. Das Unternehmen besitzt 2.700 Geschäfte in 14 Ländern außerhalb der USA. Das Deutschland-Fähnchen wird von der Weltkarte im Vorstandbüro jetzt entfernt werden – aber im abgelaufenen Geschäftsjahr kamen eine Mehrheitsbeteiligung an Seiyu in Japan, der Erwerb von Sonae in Brasilien und sechs neue Wimpel hinzu: Nordirland, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua.
Nächstes Spielzeug Asda
Während Wal Mart in Deutschland aufgibt, investieren die Amerikaner in Großbritannien. Auf 750 qm Fläche wurde eine „unscheinbare Lagerhalle im Wellblechdesign“, so die Lebensmittel Zeitung, als Versuchsballon mit 2.400 Artikeln vornehmlich aus dem Lebensmittelbereich aufgebaut. An den Harddiscountern Aldi und Co. in Deutschland gescheitert, versucht der blau-weiße Handelskonzern mit grün-weißer Farbe als Softdiscounter Marktanteile zu gewinnen. Auch in Northampton werben große und kleine Tafeln mit direkten Preisvergleichen zu Aldi und Iceland um die Gunst des Kunden.
Roland Krieg