Schluss mit Zucker?
Handel
Entscheidung in der Erntezeit
>Die niedersächsische Landjugend hatte die Sorgen und Nöten des Bauern Holger bereits auf dem Perspektivforum des Deutschen Bauernverbandes (DBV) im November letzten Jahres dargestellt. Jetzt, nachdem die EU ihre Zuckermarktreform vorgestellt hat, wird es konkret.Gefördert wird, was weniger Zucker produziert: Zum Beispiel gibt es einen Restrukturierungsfonds für die Zuckerindustrie, wenn sie Quote abgibt. Wer sich bis zum 01.08.2006 entscheidet, der bekommt 730 Euro/Tonne – sofern die Fabrik tatsächlich abgebaut und das Gelände renaturiert wird. Wer sich in den darauffolgenden Jahren entscheidet bekommt weniger Vergütung. Der 01. August 2006 ist jedoch wesentlich näher, als es das Datum vortäuscht, denn keine Fabrik wird sich erst im Sommer 2006 kurzfristig entscheiden wollen. Bauer Holger muss am 15. März die Rübensaat in seinen Boden bringen und braucht daher bis dahin ein Zeichen seiner Rübenfabrik, ob es diese noch gibt, um die Ernte abzuliefern. Und das Saatgut kauft Bauer Holger auch nicht erst spontan im März, sondern möglichst früh. Und: er will natürlich in der Herbstbestellung 2005 bereits wissen, ob er seinen Acker für ein feinkrümeliges Rübenbeet über den Winter vorbereiten muss. Er hat jetzt noch die kommende Ernte Zeit, seine Planung mit der seiner Rübenfabrik abzustimmen.
Agrarpolitik 2005
So einfach, so drastisch brachte Dr. Ulrich Nöhle von Nordzucker die Auswirkungen der EU-Vorschläge zur Zuckermarktordnung auf die Betriebsebene. Gestern und heute organisiert die Düsseldorfer Euroforum mit den Partnern Handelsblatt und WirtschaftsWoche zwei Konferenztage im Berliner Swissôtel, bei der Vertreter der Agrar- und Lebensmittelindustrie über die Agrarpolitik 2005 referieren.
Jüngst verursachte Tony Blair mit seiner Forderung, die EU-Subventionen zu kürzen und als Verantwortlicher für das Scheitern des EU-Gipfels ausgemacht wurde, für Wirbel in dem sowieso schon unruhigen Fahrwasser eines möglichen Farbenwechsels im BMVEL. Die Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen globalisierten Farmen, die zu Weltmarktpreisen produzieren und einer familienbetrieblichen Landwirtschaft, die zwischen Biotopverbundsystemen ihre Produkte direktvermarktet? Noch nie war die Chance so groß zuerst einmal im nationalen Umfeld Landwirtschaft und EU-Politik den Verbrauchern so nahe zu bringen, dass diese sie auch verstehen. Im Handelsblatt vom 28.06. avancierte der britische Premier mittlerweile zum „Musterknaben der EU“, der mit seiner Haltung den wirtschaftlichen Niedergang Europas offenbarte: „Wirtschaftspolitik ist noch immer primär nationale Angelegenheit und wird nicht auf EU-Ebene gemacht.“ Staatssekretär Matthias Berninger aus dem Landwirtschaftsministerium sieht nur zwei wachsenden Märkte im Agrarsegment: Den Ökolandbau und den Anbau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig zeigen die welthöchsten Weizenerträge die hochmoderne Effizienz des Agrarsektors und er hob die Naturgegebenheiten Europas als Standortvorteil heraus: Angesichts der geringer werdenden Niederschläge biete das waldreiche Mitteleuropa in zehn bis 15 Jahren einen Produktionsvorteil durch besserer Wasserhaltekapazitäten. In Südeuropa verschärfen sich die Produktionsbedingungen durch knapper werdendes Wasser und Brasilien spürt die negativen Folgen die Regenwaldabholzung zunehmend zuerst.
Politischer Zucker
Dr. Nöhle sieht in der Zuckermarktordnung vor allem die politische Dimension der Zugeständnisse, die an andere Länder gegeben wurden. Die 50 ärmsten Länder dürfen im Rahmen der Alles-Außer-Waffen-Regelung weiterhin Zucker in die EU exportieren. Zucker, den die AKP-Staaten überflüssigerweise importieren darf nicht mehr reexportiert werden und zusammen mit der Balkan-Präferenz für fast unbegrenzten Zuckerimport summiert sich alles auf die 4,5 Millionen Tonnen Zucker, die mit Quotenrückgang und Preisreduzierung weniger produziert werden sollen. Dr. Nöhles Schlussfolgerung: „ohne diese Zugeständnisse hätten wir kein Zuckerproblem.“
Jetzt haben die Bauern ein Problem. So wie es international eine Ausstiegsschwelle bei einem sinkenden EU-Preis für die Zuckerproduktion gibt, so gibt es auch innerhalb Europas Ausstiegsschwellen für Länder, bei denen die Zuckerrübe unrentabel wird. Gesamtitalien ist beispielsweise bereits bei einem Zuckerpreis von weniger als 500 €/t draußen. Damit fallen 1,2 Millionen Tonnen Zucker weg. Irland, Portugal und Spanien sind die nächsten bis 4,5 Millionen Tonnen Zucker zusammen sind. Bei dem festgelegten Reformpreis von 421 €/t baut Norddeutschland gerade so noch Rüben an. Das heißt allerdings auch, so Dr. Nöhle, Deutschland steht bei weiter sinkendem Preis als nächster Aussteiger fest. Nur Bauer Holger in Süddeutschland hat zusammen mit Frankreich und Polen günstige Kostenstrukturen, die auch Preise von 300 bis 350 Euro je Tonne Rüben vertragen.
Gnadenloser Wettbewerb oder Reformbedarf?
Schokolade wird durch die sinkenden Preise nicht billiger, berechnet Dr. Nöhle. Eine Tafel Schokolade zu 49 Cent hat einen wertmäßigen Zuckeranteil von 3,5 Cent. Sinken die Preise um 20 Prozent verbilligt sich die Tafel auf 48,3 und der Zuckerwert auf 2,8 Cent. Das fällt in der Regel nicht auf. Hingegen spare Coca Cola bei einem Handelsvolumen von rund 400 Millionen Dollar für Zucker entsprechend mehr.
Der große Gewinner ist Brasilien. Der Rübenzucker wird gegenüber dem Rohrzucker vor allem an Handelswert verlieren. Nur 0,1 Prozent von gehandelten 57 Millionen Tonnen Zucker im Jahr 2015 stammen noch aus der Beta-Rübe. Brasilien wird auf Grund des Flächenpotenzials die größte Zuckerexportmacht werden. Dr. Nöhle: „Brasilien sitzt an der Stellschraube für den Zuckerpreis.“
Für die Bauern und die Zuckerwirtschaft sind die Folgen klar: Nur der leistungsfähigste Betrieb auf den besten Böden mit dem besten Saatgut wird zusammen mit den Zuckerfabriken existieren können, welche die niedrigsten Kosten haben. Die Frage muss allerdings gestellt sein dürfen: Ist marktwirtschaftlich gesehen das Schliessen von unrentablen Standorten nicht sinnvoll? Und soll die Landwirtschaft dabei eine Ausnahme machen? Oder muss noch weiter reformiert werden?
Eine „Weltzuckermarktordnung“ oder Umwelt- und Sozialstandards bei der WTO könnten ein neues Ungleichgewicht mindern, so Dr. Nöhle.
Die ersten Reaktionen auf die Zuckermarktordnung finden Sie hier.
Roland Krieg