Schulfach Verbraucherwissen
Handel
Kultusminister beim Thema Verbraucherbildung gefordert
Kinder
sind wegen Handy-Rechnungen verschuldet, sie wissen nicht, wie viele Eier ein
Huhn legt, fallen auf jedes Sonderangebot herein und glauben, Fruchtsäfte sind
gesund – je mehr, desto gesünder. „Die Welt ist nicht einfach geworden“,
erläuterte Bundesverbraucher-schutzministerin Ilse Aigner zu Beginn der 2.
Netzwerkkonferenz Verbraucherbildung in Berlin. Es geht längst nicht mehr um
die „lila Kuh“. Wer im Erwachsenenalter mündig, eigenverantwortlich und
rational Konsumentscheidungen über das Girokonto, Versicherungen und den
täglichen Einkauf im Supermarkt treffen möchte, benötigt das entsprechende
Rüstzeug. Kein besserer Ort als die Schule kann Konsumkompetenz vermitteln.
Doch die alten Schulfächer wie Hauswirtschaft sind längst passé und neue Anforderungen
wie die digitale Welt sind hinzugekommen. Daher hat das Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) im November 2010 die
Initiative „Verbraucherbildung – Konsumkompetenz stärken“ gegründet und will
das Thema in der Schule verankern.
Resolution an die Kultusminister
Heute
ist das Thema noch immer aktuell wie vor zwei Jahren, sagte Gerd Billen vom
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Vereinzelt haben sich Bundesländer in
dem Bereich hervor getan, die meisten aber nicht. So stand die Konferenz nicht
nur im Fokus zweier unterschiedlicher Ansätze (s.u.), sondern formulierte auch
eine Resolution an die Kultusminister. Die Schulen fallen in deren Hoheitsgebiet,
auf das vzbv und BMELV nur appellierenden Einfluss haben. Noch immer sind
Defizite auf den Konsumfeldern „Ernährung und Gesundheit“, „Finanzen“,
„Verbraucherrecht“, „Medien“ und „Nachhaltiger Konsum“ vorhanden. Dreh- und
Angelpunkt der Wissensvermittlung sind die Lehrer, die bei ihrer Ausbildung
nach Billen nur untergeordnet mit dem Thema Verbraucherbildung in Berührung
kommen. Um das Thema in den Vordergrund zu rücken brauche es nicht nur
engagierte Lehrer, sondern auch Unterrichtsmaterial, das neutral und qualitativ
hochwertig die Themenfelder aufbereitet.
Seit
November 2011 wurden bislang 220 Unterrichtsmaterialien von einer
Expertenkommission aus Hochschulen, Schulen und Pädagogen auf Aktualität,
Breite der Themenpalette und breites Anbieterspektrum hin untersucht. Im Einzelnen
wurden sie fachlich, methodisch-didaktisch und nach gestalterischer Qualität
bewertet. Dieser Materialkompass will Lehrern das Thema vor allem als
Querschnittsthema zur Verfügung stellen und Ideen liefern. Obwohl, so Gerd
Billen, ihm ein eigenes Unterrichtsfach am liebsten wäre.
Der omni-kompetente Multi-Spezialist
Man dürfe jedoch nicht zu viel erwarten, schränkte Prof. Dr. Andreas Oehler von der Universität Bamberg ein. Genauso wenig wie es den „homo oeconomicus“ gibt, fehlt der mündige Verbraucher in der Realität. Es gibt immer Informations-Asymmetrien und Wahrnehmungsabweichungen, die an einer transparenten, eigenverantwortlichen Konsumentscheidung fehlten. Wer nach der Verbraucherbildung junge Menschen als Datenschutzexperten, Oecotrophologen oder Energieexperten erwartet, werde aus einem Leit- ein Leidbild machen. Ziel müsse die Vermittlung von Bausteinen sein, die den jungen Menschen in der Situation selbst eine grundlegende Hilfe anbieten. Die Schüler sollen sensitiv und neugierig an die Konsumwelt herangeführt werden. „Lehren“ wie „Kaufe kein Produkt, das du nicht kennst“, seien der falsche Weg.
Verbraucherfach oder Mainstream-Leitbild?
Zwei verschiedene Modelle der Verbraucherbildung in Schulen wurden vorgestellt. Schleswig-Holstein verfolgt ein eigenständiges Fach, Bayern hingegen folgt dem Mainstream-Leitbild und ergänzt alle vorhandenen Fächer mit einem Verbrauchersegment.
In
der Pestalozzi Grund- und Regionalschule Neumünster ist die Verbraucherbildung
auf zwei Kernbereiche „Konsum und Lebensstil“ und „Ernährung und Gesundheit“
verteilt. Im ersten werden die Themenfelder „Rolle als Verbraucher“,
„Wirtschaft und nachhaltige Lebensführung“ sowie „private Lebensführung“ unterrichtet.
Der zweite Kernbereich beinhaltet die Themenfelder „Essen und Ernährung“,
Ernährung und Gesundheitsförderung“ sowie „Kultur und Technik der
Nahrungsaufnahme“. Nach Doris Schwanke von der Pestalozzi-Schule sind alle Schüler
ab der ersten Klasse bereits mit dem Thema beschäftigt. In den ersten beiden
Jahrgängen zwar nur mit jeweils einer „Vorhabenwoche“, doch danach auch mit
richtigem Stundenzettel. Die Feinthemen reichen von „Taschengeld,
„Müllvermeidung“, „Nahrungshygiene“ bis hin zum „nachhaltigem Einkauf“. Die Themen
werden im Curriculum in jedem Schuljahr neu justiert.
Der
Freistaat Bayern hat die Verbraucherbildung um die wirtschaftliche Säule herum gebaut.
Seit Febraur 2010 wird das Schulprojekt „Ökonomische Verbraucherbildung“ (ÖVB) an
insgesamt 18 Schulen erprobt. In diesem Sommer folgt die Auswertung und Auflistung
von Best Practise-Beispielen.
Vielleicht
gehört auch das Thema „Was ist am Supermarkt super?“ dazu. Birgit Plechinger
von der Peter-Schöllhorn-Volksschule in Neu-Ulm erklärte, wo die Schüler was
gelernt haben. Aspekte der ÖVB waren im Schulfach Arbeit-Wirtschaft-Technik bereits
vorhanden gewesen. Dort wurde über „Einkaufsfallen im Supermarkt“ gesprochen, das
Recherchieren und Lesen der Texte fand im Deutsch-Unterricht statt. Die Schule
hat mit Kaufland einen externen Partner für Praktikumsplätze und konnte ihn für
einen Feldversuch gewinnen. Die Schüler haben Produkte in den Regalen kartiert,
gezählt, wie viel Waren die Kunden in der Kassenzone kauften und auf dem
Parkplatz befragt, welche Waren zwar im Einkaufskorb lagen, aber nicht auf dem
Einkaufszettel standen. Die Auswertungen fanden im Mathematikunterricht statt,
so dass die Alltagskompetenz als Querschnittsaufgabe in vielen Fächern
zusammenhängend angesprochen wurde. Die Schüler durften nach dem Projekt auch
einen Blick hinter die Kulissen des Supermarktes werfen und erfuhren welche
Logistik hinter der Warenbestellung steckt. Letztlich kamen sie auch hinter das
Geheimnis der Eigenmarken als Element der Kundenbindung.
Lesestoff:
Die Online-Datenbank mit qualitätsbewerteten Unterrichtsmaterialien finden sie auf www.materialkompass.de
Forschungsergebnisse zum Thema Ernährung und Verbraucherbildung. www.evb-online.de
Die Webseite der Initiative Verbraucherbildung des BMELV: www.verbraucherkompetenz.de
Was
die Schule leisten kann, wird schon seit Jahren gefragt und erforscht
Der
kulinarische Code während der Erziehung
Roland Krieg (Text und Fotos (2), BMELV (1))