Sie sind wieder da: Äpfel, Kiwis und Tomaten
Handel
Fruit Logistica lädt die Fachwelt Unter den Funkturm ein
Die Messe Berlin rechnet in diesem Jahr mit 65.000
Fachbesuchern, die aus der ganzen Welt nach Berlin kommen, um über einen
direkten Zugang mit den Entscheidern der Obst- und Gemüsebranche neue Geschäfte
abzuschließen oder, sich Informationen über Neuigkeiten und Innovationen zu
holen. Dazu sind 2.800 Aussteller aus 84 Ländern nach Berlin gekommen. Die
Hälfte aus dem Ausland.
Die Fruit Logistica ist damit nicht nur die internationalste, sondern auch die wichtigste Messe für Äpfel, Kiwi, Tomaten oder Drachenfrucht.
Das diesjährige Partnerland ist Ägypten. Innenpolitisch in schwierigen Zeiten, wollen die Exporteure der Welt zeigen, dass sie weiterhin ein verlässlicher Partner sind und hoffen auf neue Geschäfte. Ägypten exportiert in 145 Zielländer und hat in dieser Saison bereits 743.000 Tonnen Agrarprodukte in die EU geliefert. Bei 3,53 Millionen Tonnen insgesamt ist die EU mit einem Anteil von 21 Prozent der wichtigste Abnehmer. Das für Obst und Gemüse Exportvolumen in der Saison 2014/15betrug mehr als zwei Milliarden Euro.
„The winner is“: Obst und Gemüse?
Leider nicht. Von den von Ernährungswissenschaftlern
empfohlenen 400 Gramm Obst und Gemüse am Tag sind die Deutschen weit entfernt.
Und zwar genau 130 Gramm. Mit einem Apfel und zwei Tomaten am Tag wäre das
Vitaminsoll schon erreicht. Doch der Trend ist nicht nur in Deutschland
rückläufig. In der EU nimmt der Konsum von Obst und Gemüse ab. Dabei ist das
die Warengruppe, bei der Konsumenten „hemmungslos“ zugreifen können, sagt Dr.
Margareta Büning-Fesel, Vorstandsmitglied der Kampagne www.5amtag.de.
Mehr als die Hälfte der Bundesbürger kennt die Kampagne und hält sie für glaubwürdig. Zudem liegen „Frei von…“ Produkte, wie „Glutenfreiheit“, ohne Rücksicht auf die Sinnhaftigkeit, vegetarische und vegane Ernährungsweise als „gefühltes Massenphänomen“ und die Flexitarier mit einem reduzierten Fleischgenuss im Trend. Das alles sollte eine „Steilvorlage“ für Obst und Gemüse sein, fasst Dr. Büning-Fesel zusammen – aber die natürliche Vitaminbranche profitiert davon nicht.
Das Wissen ist da und die Einstellung zu Obst und Gemüse ist auch positiv. Drei Gründe hat Dr. Büning-Fesel zusammengestellt, warum die Bundesbürger zu wenig Frischwaren genießen.
Zum einen besteht bei Frischeprodukten ein Mangel an Zubereitungskompetenz. Schon beim Salat scheitern viele bereits am Dressing, so die Ernährungswissenschaftlerin. Über das „Setting Schule“ sollte die Allgemeinbildung verbessert werden.
Zum zweiten gibt es zu wenig „Verführung“ an allen Orten. Brause und Schnellimbisse finden sich überall, nicht aber Obst und Gemüse Über die Gemeinschaftsverpflegung könnte der Konsum angestoßen werden. Eine Obst- und Gemüseschale, als Fingerfood aufbereitet würde in Konferenzen mehr Farbe bringen, als angestaubte Konferenzkekse.
Zum dritten haben die Bundesbürger den Convenience-Bereich noch nicht erobert. Die Nachbarländer sind mit Freshcut Obst und Gemüse doppelt so weit wie die Bundesbürger.
Was also tun? Vor diesem Hintergrund wird auch die neueste „Macht Dampf“-Kampagne des Bundeslandwirtschaftsministeriums das Ziel der Konsumsteigerung verfehlen [1] – obwohl sie von Büning-Fesel ausdrücklich gelobt wird. Zu viel Kopf, zu wenig Emotionen.
Das bestätigt auch Stephan Weist, Bereichsleiter Obst,
Gemüse und Convenience bei Rewe, gegenüber Herd-und-Hof.de. Kinder bekommen
Gemüse schon früh als Hindernis angeboten: „Iss´ dein Gemüse auf, dann bekommst
auch eine Schokolade.“ Bei Obst und Gemüse fehle die Markenbildung. Nur bei
Club-Äpfeln ist das bislang gelungen, die über ein limitiertes Angebot
Erzeugern höhere Preise versprechen. Und: Die Obst- und Gemüsebranche gibt zu
wenig Geld für das Marketing aus, beklagt Weist. Europaweit erzielt die Branche
einen Umsatz von 120 Milliarden Euro, steckt aber nur 0,5 Prozent in das
Marketing. Alle anderen Konsumgüter erwirtschaften das Zehnfache an Umsatz, und
stecken 120 Milliarden in das Marketing.
Die frisch gebackene Grand-Slam-Gewinnerin Angelique Kerber könnte einen großen Sog nach Obst und Gemüse erzielen, würde sie für die Frischeabteilung von Rewe aufschlagen. „Jetzt ist sie aber zu teuer geworden“, gibt Weist ehrlich zu. Immerhin wirbt Rewe mit dem Fußballweltmeister Thomas Müller für die vitaminreiche Ernährung.
Die Branche hat beim Thema Aufmerksamkeit noch viel Luft nach oben. Eine schmucke Grapefruit-Pyramide im Laden reicht schon lange nicht mehr. Werden den Konsumenten billige, mehlig schmeckende Pfirsiche angeboten bleibt der Kunde demnächst fern. Daher setzt Rewe auf Qualität, sagt Weist. Geschmack überzeugt am Ende doch. Helmut Hübsch von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hielt am Abend noch ein weiteres Bonmot für den Handel bereit: „Die Obst- und Gemüseabteilung sollte nicht als Pflichtsortiment angesehen werden, sondern mit Kompetenz ausgestattet sein.“
Die Branche muss vor allem mehr positiv über sich reden, lautet eine Empfehlung von Weist. Während die Deutschen den Mindestlohn wie ein Klageschild vor sich hertragen, haben die Niederländer haben nach dessen Einführung den Sektor auf das Modernste umgekrempelt. Niedrigenergiegewächshäuser, Saisonverlängerung, Robotik bis hin zur automatisierten Sortierung und Verpackung. Die deutsche Obst- und Gemüsebranche wirkt dagegen altbacken. Weist widerspricht. Gerade im Bereich der Gewächshäuser hat die Branche aufgeholt, sie rede aber zu wenig darüber. Der Einzelhändler weiß auch, wer sich beklagt. Es sind die Betriebe, die kein vernünftiges Geschäftsmodell aufgebaut haben. Wer mit Rewe in den Handelsring steigt, der habe solche Probleme gelöst.
Auch Verarbeiter stehen in der Pflicht. Dr. Büning-Fesel reklamierte den Aufwand, den manche in Fleischersatzprodukte stecken – Würden sie das doch in den Obstkorb investieren.
Lesestoff:
Roland Krieg; Fotos: roRo
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