Skepsis gegen Siegel
Handel
Initiative gegen Supermarktmacht
Im April stellte Oxfam-Handelsreferentin Marita Wiggerthale ihre Studie über die Marktmacht der Supermärkte vor. Nur Aldi hat auf die Zusendung eines Exemplars reagiert: Die Gebrüder Albrecht sehen sich in der Verantwortung gegenüber den Lieferanten und Aldi ist der Business Social Compliance Initiative beigetreten, fasst Wiggerthale die bislang einzige Reaktion zusammen. Mehr sei derzeit nicht geplant.
Initiative für die Politik
Damit der Inhalt der Studie nach ihrem Abschluss nicht in Vergessenheit gerät, gründete sich eine Initiative aus 18 Organisationen wie der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Bundeskongress Agrar, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Misereor. Am Mittwoch gab es die erste gemeinsame Pressekonferenz.
Die sechs größten Supermärkte in Deutschland verfügen über einen Marktanteil von 90 Prozent, also einer geballten Marktmacht, die sogar schon auf dem Milchgipfel vom Bundeslandwirtschaftsministerium kritisiert wurde. In Vorbereitung ist eine öffentliche Anhörung im Bundestag, wobei diese zunächst beim Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit angesiedelt sein sollte, letztlich doch mehr Gehör im Agrarsektor zu finden scheint.
Die Studie richtet sich nicht gegen die Supermärkte, so Wiggerthale, nimmt sie aber in die Pflicht – damit die Marktkonzentration nicht zu einem Missbrauch der Marktmacht führt.
Globalisierung ist Deregulierung
Gilberth Bermudez Umana von der Gewerkschaft Colsiba in Costa Rica empfindet die Globalisierung als Deregulierung. Die Ananas wurde in Costa Rica von einem Randprodukt zu wichtigsten Exportprodukt. Costa Rica ist der größte Ananasexporteur der Welt. Infolge der Globalisierung wurden auf den Plantagen die Arbeitsverhältnisse dereguliert und das Wachstum der Supermärkte habe dabei einen entscheidenden Einfluss.
Bis zu 16 Stunden dauert ein Arbeitstag auf den Plantagen, den Arbeiter stehen keine sanitären Anlagen zur Verfügung und dürfen sich keiner Gewerkschaft anschließen. Die wenigen Frauen, die noch auf den Plantagen Arbeit finden, müssten eine Bescheinigung mitbringen, dass sie nicht schwanger sind. Auf den Plantagen würden so viele Pflanzenschutzmittel eingesetzt, dass der Boden deutliche Rückstände an Chlorphosphorverbindungen aufweist. Die Ananas aus Costa Rica bezeichnet Umana als „agrochemische Bombe“. Rund 70 Prozent der Plantagenarbeiter sind Migranten aus den Nachbarländern, von denen kaum einer den gesetzlich vorgesehen Mindestlohn erhält. Der Preisdruck im europäischen Handelswettbewerb mindert die Rechte der Arbeiter auf den Plantagen. Jedes Cent weniger wird in der Lieferkette an die Vorstufe weitergereicht.
Der Preiskampf hat jedoch nicht nur in den Produktionsländern Auswirkungen. Je kleiner die Preise werden, desto weniger Spielraum hat auch die Gewerkschaft hierzulande, Arbeits- und Sozialstandards durchzusetzen, beklagt Micha Heilmann von der NGG. Bei den Verhandlungen mit dem Handel verginge kein Treffen, bei dem die Manager nicht vorbrächten, sie müssten wegen des Wettbewerbsdrucks die Preise senken. In den USA werde bereits schon offen darüber gesprochen, Rezepturen zu ändern. Angesichts niedriger Rohstoffpreise werde man bei der Qualität der Produkte Abstriche machen müssen. Das fürchtet Heilmann demnächst auch bei Aldi und Co. Dem Verbraucher fiele das kaum auf, denn er habe kein „Geschmacksgedächtnis“ über die vergangenen zehn Jahre.
Demokratie statt Siegel
Skeptisch gegenüber Zertifikaten und Siegel zeigt sich Gewerkschafter Umana. Die meisten Siegel haben für ihn keine Glaubwürdigkeit und gäben nur vor, den Produzenten und Arbeitern zu helfen. Das Fair Trade Siegel nimmt Umana gegenüber Herd-und-Hof.de jedoch von seiner Kritik ausdrücklich aus. Auf dem Papier habe Costa Rica eine demokratische Verfassung und Arbeitsgesetze, doch bemängelt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), dass die Gesetze nicht angewendet werden. Derzeit wird hauptsächlich wegen des Regenwaldschutzes die Ausdehnung der Ananasplantagen in Funk und Fernsehen in Costa Rica öffentlich kritisiert. Dieser Druck zur Veränderung sei nachhaltiger als ein europäisches Zertifikat.
In England haben Nichtregierungsorganisationen in den letzten fünf Jahren die Supermarktkette Tesco, einer der großen vier in England, unter Beschuss genommen, weil sie Ananas zu Preisen anbot, die keine gerechten Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zuließen. Im April 2008 zeigte das Wirkung und Tesco hat öffentlich bekannt, dass der Preis nicht nachhaltig sein kann. So wünscht sich das Umana. Entlang der Wertschöpfungskette müsse vom Arbeiter und Produzenten bis zum Inhaber des Ladenregals ein Bewusstseinsprozess angestoßen werden, der indirekt zu einem höheren Preis führt.
Allerdings muss man noch abwarten, wie langfristig das Engagement Tescos ist. Aldi und Lidl sind seit ihrem Marktauftritt 1990 und 1994 in England auf Wachstumskurs. Nach Angaben von TNS Worldpanel wuchsen die beiden zuletzt um 21 und 13 Prozent, obwohl Discounter in England einen eher „schäbigen“ Ruf genießen. Doch verursacht die Rezession mittlerweile auch bei der britischen Mittelschicht Preissensibilität. Tesco hat bereits mit 50-Prozent-Rabatten und „Two for one“-Aktionen reagiert. Allerdings nicht bei Ananas.
Dieser Dialog über gerechte Preise gilt den Gewerkschaften als Signal, dass die Diskussion bis zum Exporteur in die Produzentenländer sichtbar wird. Die Durchsetzung der Gesetze vor Ort sei Aufgabe des jeweiligen Staates.
Corporate Social Responsibility wird für die Handelsunternehmen immer wichtiger. Auf Nachfrage sieht Micha Heilmann darin immerhin die ersten „zarten Versuche“. Doch Wirkungen für die Arbeiter im Süden sieht Heilmann nur durch weltweit einheitliche Standards. „Einzelne Initiativen sind aber zu begrüßen“, sagt er zu Herd-und-Hof.de.
Lesestoff:
Mehr über die Supermarkt-Initiative finden Sie unter www.supermarktmacht.de
Roland Krieg