„Stagnativ seit 15 Jahren“
Handel
Deutscher Handelskongress: Auch gebremster Optimismus
Wie man auf die Finanzkrise reagiert sei Taktik – doch geht es dem Handel auch um Strategien über das Jahr 2009 hinaus, Kunden an sich zu binden. Schließlich ist der „Konsum stagnativ seit 15 Jahren“, so Dr. Daniel Terberger, Vorstandssprecher der KATAG AG auf dem gestern in Berlin begonnenen Deutschen Handelskongress 2008. Motto: „Zwischen Expansion und Konsolidierung. Neue Herausforderungen für Handel und Industrie“. Die Finanzkrise hat sich aufgesattelt.
Auswirkungen kommen erst noch
Auch ohne Finanzkrise hat das Jahr 2008 in seinem Verlauf keine Wende zum besseren gebracht, aber vielleicht geht im Weihnachtsgeschäft doch noch etwas, weil mehr Menschen Arbeit haben und Einkommen gestiegen sind, so Josef Sanktjohanser, Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels. Real erwartet er für 2009 ein Minus von einem Prozent.
Richtige Turbulenzen erwarten den Handel allerdings mehr, wenn er es nicht schaffe, den Auszubildenden eine feste Anstellung zu geben, sagte Arndt Brockmann, Geschäftsführer von Zara.
Handel: Angst vor 2009 |
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds hat die Finanzkrise rund 1,4 Billionen US-Dollar an Vermögen vernichtet. Dr. Eckhard Cordes, Vorstandsvorsitzender der Metro Group, leitet daraus einen Rückgang des Kreditvolumens von 18.000 Milliarden US-Dollar ab und prognostiziert, dass solche Summen auch beim Handel Spuren hinterlassen werden. In China sind die Mietraten für Container bereits um 60 Prozent gefallen. Ein deutliches Zeichen für den Rückgang des Welthandels. Prof. Dr. Helmut Merkel, Vorstand von Arcandor, ergänzt, dass der schwächelnde US-Markt und das Ende der europäischen Frachtkartelle den sinkenden Containermieten bereits Vorschub geleistet hatten. Dennoch: Die Chinesen fürchten, dass rund 100.000 Unternehmen in die Insolvenz gehen. Umso wichtiger sei das von den Chinesen beschlossene Konjunkturpaket in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar, um die Binnenkonjunktur zu stärken und die zurückgehenden Exporte auszugleichen. Der Exportausfall soll sich auf rund 100 Milliarden US-Dollar beziffern
Export als Chance
Schon Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hatte am Montag das chinesische Wirtschaftsprogramm begrüßt: „Das ist eine gute Nachricht für Länder wie Deutschland, da es die Importnachfrage nach deutschen Anlagen- und Investitionsgütern stärkt.“
So zeigte der erste Tag des Handelskongresses auch zwei Richtungen, die den Handel trotz Finanzkrise optimistisch stimmen könnten: Den Export und die Marke.
Für Dr. Cordes sind aufstrebende Ländern wie Indien, China, Mexiko und Brasilien nach wie vor interessante Märkte, die 2015 zusammen das gleiche Bruttosozialprodukt erwirtschaften werden, wie die G8-Länder. Russland und China werden real immer noch um 14 Prozent wachsen und die Märkte dort sind noch lange nicht so gesättigt, wie die westeuropäischen. Das internationale Standbein sei allerdings keine Flucht in den Export, sondern den strukturellen Veränderungen unterworfen, die es weltweit gibt. Allerdings sei der Markteintritt nicht leicht und die Metro haben in China erfahren müssen, dass Chinesen unter frischem Fisch lebendige Ware verstehen und Tiefkühlprodukte den Verbrauchern erst bekannt gemacht werden musste. Cordes warnt die Bundesregierung vor protektionistischen Maßnahmen, zum einen zwar das Exportgeschäft zu fördern, im Umkehrschluss aber ausländischen Investoren in Deutschland den Zugang zu erschweren. Das wäre ein Bärendienst für Handelsunternehmen wie die Metro.
China bleibt auch weiterhin die „Fabrik der Welt“, so Dr. Merkel. Zwar beginne die Textilindustrie ihre Zelte abzubauen, aber das Volumen sei so riesig, dass Alternativstandorte wie Vietnam und Bangladesch nicht die Hälfte der Welttextilindustrie über Nacht aufnehmen können. Indien und Afrika fehle die Infrastruktur.
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Rückbesinnung als Chance
Was den Unternehmen zu Hause helfe, sei das Vertrauen der Konsumenten in die Marke. Im letzten Jahr gab es 83.500 Markenanmeldungen. Eine „inflationäre Produkteinführung“ und für den Verbraucher mehr eine Bedrohung als eine Bereicherung, klagte Dr. h.c. August Oetker. Konsumenten greifen auf Stiftung Warentest und auf Verbraucherforen zurück, um sich in der Warenwelt überhaupt zu orientieren. Hier könne der Handel wieder Kundenbindung zurück gewinnen, wenn er Marken entwickelt, die wie Tempo, Nivea oder Dr. Oetker gleich für eine ganze Produktkategorie stehen.
Eine Rückbesinnung auf qualitative Werte sieht auch Ludwig Görtz, Geschäftsführer des gleichnamigen Schuhgeschäftes. Die Menschen halten sich bei großen Anschaffungen zurück und beginnen vielleicht sich wieder hochqualitative Kleinigkeiten zu leisten. Görtz zieht es zudem nicht nach Übersee, sondern in die osteuropäischen Märkte, die ebenfalls noch viel Wachstumspotenzial aufweisen.
Derzeit können die seriös geführten und finanzierten Familienbetrieben ihre Stärke ausspielen. Für sie wird es 2009 wohl keinen Aufschwung geben, aber sie werden sich um die Nulllinie herum bewegen, glaubt Dr. Terberger. Nur ist das einzelne Mittelstandsunternehmen zu schwach. Rainer Schorcht, Geschäftsführer der Foto Schorcht GmbH, sieht die Zukunft in Kooperationen für die Bereiche Verkauf und Marketing.
Allerdings muss der Handel seine Hausaufgaben machen, was nicht durch die Finanzkrise überdeckt werden darf: Rund 900.000 Quadratmeter Fläche sind gerade in Bau. Das ist für Arndt Brockmann paradox, denn die Flächenproduktivität nehme derzeit ab. Vor allem in den Innenstädten münde das in steigenden Mietkosten. Aber auch er sieht Grund für einen gebremsten Optimismus: „Wenn die Menschen weniger ausgeben wollen, muss der Handel ihn intensiver ansprechen.“ Vielleicht sind die Fachgeschäfte die Gewinner der Finanzkrise.
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Denkansätze für die Zukunft
Sanktjohanser listete in Berlin fünf Denkansätze auf, die der Handel stärker berücksichtigen sollte.
Jeweils ein Viertel der Menschen könne sich fast alles oder fast gar nichts leisten. Der Handel sei jedoch nicht nur Discount und Premium. Rund die Hälfte der Kunden ist mit seinen Einkaufsmöglichkeiten zufrieden. Diese „neue gesellschaftliche Mitte“ ist sehr heterogen. Vom Multikulti-Konsumenten, über den Senior bis zum Single und Vier-Personen-Haushalt. Diese „demografische Mitte“ will Rewe mit in Köln neu eröffneten „Citymarkt-Konzepten“ ansprechen. Sie bieten auf 500 bis 1.000 m2 einen Supermarkt im Miniformat. Mit hoher Qualität, Bedientheken und viel Bioprodukten spreche das neue Marktkonzept die Städter an. Mehr als 400 Standorte hat sich Rewe, dessen Vorstand Sanktjohanser ist, für Deutschland bereits ausgesucht.
Nachhaltiger Konsum sei ein wichtiger Punkt in der Handelsstrategie. Hierbei gehe es darum, Nachhaltigkeit nicht nur als Marketingform zu sehen, sondern in die Unternehmensstrategie aufzunehmen.
Der Handel müsse sich innerhalb der Wertschöpfungskette besser organisieren und kooperieren.
Sanktjohanser fordert mehr stabile politische Rahmenbedingungen. Diskussionen wie um die Nährwertkennzeichnung seien unnötig. Alleine durch die längeren Ladensöffnungszeiten hat der Handel zwischen 2006 und 2007 mehr als 58.000 Beschäftigte eingestellt, wobei mehr als die Hälfte auch sozialversicherungspflichtig ist.
Und zuletzt solle der Handel das Feld nicht den NGOs überlassen. Die Nichtregierungsorganisationen würden immer lauter, weil es um die Verteilung eines gleichbleibenden Spendenkuchens gehe. Zugleich publizierten die Medien unkritisch zugespitzte Argumente, wie zuletzt bei der Oxfam-Kampagne zur Marktmacht der Supermärkte. Die Macht der NGOs verlange von den Unternehmen die Intensivierung der Kommunikation. Man wolle aus der Defensive heraus, so Sanktjohanser.
Teil II: CSR im Unternehmen
Teil III: Konjunkturpaket für den Handel
Roland Krieg