Stiefkind Landwirtschaft?

Handel

Kleinbauern rücken in den Fokus

852 Millionen Menschen hungern auf dieser Erde und 1,2 Milliarden leben in extremer Armut. Die hochgestellten Millenniumsentwicklungsziele wollen noch bis 2015 die Anzahl der Hungernden halbieren – und erst jetzt rückt die Landwirtschaft als Instrument zur Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt, beklagte Sofia Schäfer vom Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE), dem Berliner Postgraduiertenstudiengang. Zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung fanden in dieser Woche die Entwicklungspolitischen Diskussionstage statt. Gestern ging es um das „Stiefkind“ Landwirtschaft, das sich zum Hoffnungsträger der Armutsbekämpfung entwickelt.

Landwirtschaft ist ein Wachstumsfaktor
Ein Prozent Wachstum in der Landwirtschaft zieht zwei Prozent Wachstum in anderen Wirtschaftssektoren nach sich. Trotzdem hatte man sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht um die Kleinbauern gekümmert, resümierte Michael Windfuhr von Brot für die Welt. In der Vergangenheit wurde eher versucht, die größeren Bauern in den Weltmarkt zu ziehen. Vor allem, weil Erfolge bei den Kleinbauern nur schwer zu erreichen sind. Fehlende Straßen grenzen sie nicht nur vom Marktgeschehen ab, sondern führen auch keine Hilfe und Berater zu ihnen. Politisch haben sie in den meisten Ländern noch nicht einmal eine Stimme und werden diskriminiert.

Am 17. April gab es in Berlin den „Marsch der Landlosen“, mit dem mehrere Nichtregierungsorganisationen auf die Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung und die Gefährdung von Kleinbauern, bäuerlichen Betrieben, Landarbeiten und Landlosen aufmerksam machten. „Umfassende Agrarreformen sind ein zentrales Mittel zur Umsetzung auf das Recht auf Nahrung. Die Bundesregierung hat die Unterstützung für ländliche Entwicklung und Agrarreformen in den letzten zehn Jahren drastisch reduziert“, sagte Roman Herre von FIAN Deutschland. Der 17. April ist der vom Kleinbauernnetzwerk La Via Campesina ausgerufene Jahrestag des Widerstandes und der Aktion gegen alle Formen von Unterdrückung der ländlichen Bevölkerung. www.viacampesina.org
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Dabei ist es nötiger denn je, Kleinbauern nicht mehr als Anachronismus anzusehen. Dr. Christoph Kohlmeyer, Leiter des Referates „Ländliche Entwicklung, Welternährung“ beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), kann das auch begründen: Die Fokussierung auf das Agribusiness mit hochwertigen Exportfrüchten koppelt die Kleinbauern vom Binnenmarkt ab. Das erhöht den Migrationsdruck auf Städte und andere Länder und erhöht die damit verbundenen sozialen Kosten. Die nachfolgende Wachstumssteigerung in den anderen Sektoren ist empirisch erwiesen und erhöhte Produktivität auf dem Land senkt die Preise für den Wohlstand bei allen.

Rahmenbedingungen fördern
Der Schlüssel für das Wachstum bei den Armen (Pro-poor growth) ist der Zugang zu den produktiven Ressourcen. Dr. Kohlmeyer meint damit nicht nur Boden und Wasser, sondern vor allem Bildung, Gesundheit und funktionierende Institutionen. Auch Walter Engelberg vom Deutschen Entwicklungsdienst DED sieht darin den Schlüssel für die Armutsbekämpfung. So wird oftmals der ökologische Landbau als Produktionsalternative in den Entwicklungsländern angepriesen – aber Ökolandbau setzt ein fundiertes Wissen voraus.
In Afrika südlich er Sahara gibt es sehr viele Kleinbauern, für die der Zugang zu Bodenressourcen nicht das eigentliche Problem ist. Sie wirtschaften aber nur mit sehr geringer Produktivität, sind an keine Infrastruktur angeschlossen und nutzen fast kein Kapital. Sie sind mit ihrer Subsistenzproduktion risikoavers orientiert und es fehlt an Marktanreizprogrammen, einmal eine neue Produktionsrichtung auszuprobieren. Die Vorzüge des Ökolandbaus, wie geringerer Energieeinsatz und klare Einkommenssteigerung, können nicht genutzt werden, weil es an wissenden Beratern fehlt - oder diese die Kleinbauern gar nicht erst erreichen. Das sei kein Problem des Ökolandbaus, sondern ein generelles, folgert Engelberg. Hier müsse ein Ansatzpunkt gefunden werden.

Es fehlt an Binnenentwicklung
Man müsse den Schwerpunkt der städtisch fokussierten Entwicklung überwinden und die Binnenentwicklung fördern. Dabei müssen, so Dr. Kohlmeyer, auch manche Eliten in den Ländern überwunden werden, die dadurch ihr Geld verdienen, indem sie exportsubventionierte Agrarprodukte in das Land holen und den Binnenmarkt zerstören.
Die globale Liberalisierung steht dabei nicht im Fokus der Kritik. Dr. Harald Grethe vom SLE der Humboldt Universität, Lehrstuhl Internationaler Agrarhandel, rechnete vor: Würden weltweit alle Subventionen wegfallen, dann generierte der Welthandel zwischen 12 und 54 Milliarden US-Dollar mehr Gewinne pro Jahr. Das sind aber nur zwei bis 11 US-Dollar pro Kopf und Jahr. Daher solle man den internationalen Agrarhandel nicht überbewerten. Bedeutender ist ihm der Binnenhandel, weil dieser viel mehr über die Verteilung des Wohlstandes entscheidet. Vom Wegfall aller Agrarsubventionen würden hauptsächlich Brasilien, Argentinien, Indien und Bangladesh profitieren. Damit gäbe es also auch Verlierer, wie beispielsweise die Länder, die unter den Every-But-Arms – Bedingungen in die EU exportieren können. Sie verlieren einen guten Handel. Die Bauern in den Entwicklungsländern haben defensive Wirtschaftsinteressen, die vor allem bei den unter anhaltender Kritik stattfindenden Verhandlungen über Freihandelsabkommen zwischen der EU und den AKP-Ländern nicht wahrgenommen würden.

Weltbankbericht 2008
Würde das BMZ eine neue Strategie für die entwicklung anlegen, wären die Auswirkungen nicht so groß. Hoffnungen legt Dr. Kohlmeyer in den Weltbankbericht 2008, der erstmals die Kleinbauern und die Landwirtschaf als Entwicklungsziel und -Instrument festlegen wird. Auf der großen Weltbühne zeigen die Entwicklungsländer schließlich selbst Uneinigkeit. Bei den WTO-Verhandlungen und in den FAO-Gremien sind fast die gleichen Länder vertreten, verhandelten allerdings auch gegensätzliche Strategien.
Möglicherweise werde sich nach Einschätzung von Walter Engelberg, dass Thema Preisdumping im Agrarhandel mit dem beginnenden neuen Markt für nachwachsende Rohstoffe auch generell erledigen. Dann würden aber die Karten alle wieder neu gemischt.

Lesestoff:
Alle Vorträge der insgesamt vier Entwicklungspolitischen Diskussionstage werden ausführlich vom SLE in einer Dokumentation dokumentiert, die dann über www.berlinerseminar.de bezogen werden kann.
Im Oktober des letzten Jahres hatte sich der Workshop Policies against Hunger mit der kleinbäuerlichen Geflügelhaltung beschäftigt. Das war der erste Folgeworkshop nach der Etablierung des Recht auf Nahrung.

Roland Krieg

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