Stimmt die Richtung der Nachhaltigkeit?

Handel

Nachhaltigkeit in der Agrarwirtschaft

Nachhaltigkeit ist nach Bauernpräsident Joachim Rukwied ein Top-Thema. Doch bei mehr als 400 Siegeln und Label ist es nicht leicht, Waren nach Nachhaltigkeitskriterien zu kaufen. Die Vielfalt der Label zeigt auch, dass das Thema heftig umstritten ist. Auf dem Perspektivforum des Deutschen Bauernverbandes diskutierten in Berlin zwei Tage lang, Politik, Wissenschaft, Verbraucherschützer und Händler darüber, ob Nachhaltigkeit nicht nur ein Marketinginstrument ist und welche Zukunft daraus resultiert.

Ohne Nachhaltigkeit keine Chance

Als Hans Carl von Carlowitz vor 300 Jahren den Begriff einführte, fand er mit der langfristigen Bewirtschaftung von Wäldern einen Ausweg aus der Misere des Bergbaus. Dem wurden die hölzernen Stützbalken knapp. Aus einst periodischen Betriebsregelungen im Forst hat sich ein komplexes System entwickelt, das heute mit 7,3 Millionen Hektar rund 67 Prozent des deustchen Waldes umfasst.
Die Waldbesitzer sahen sich mit mit dem internationalen Forest Stewartship Council (FSC) konfrontiert und haben mit dem PEFC eine regionale Zertifizierung umgesetzt. Zu Beginn rechneten die Waldbesitzer noch mit einem ökonomischen Zusatzgewinn in Höhe von fünf Prozent, erläuterte Prof. Dr. Andreas Bitter, Vorsitzender des Sächsischen Waldbesitzerverbandes. Heute ist die Zertifizierung wichtig, um überhaupt am Holzmarkt teilnehmen zu können. Für diese Absicherung müssen die Waldbesitzer investieren. Der Kahlschlag wurde verboten, größere Maschinen mit geringerem Bodendruck wurden angeschafft. Außerdem müssen Managementpläne für den Forst erstellt werden.
Staatssekretär Peter Bleser aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium fokussiert: „Ohne nachhaltige Wirtschaft ist man auf die Dauer ökonomisch nicht erfolgreich!“
Das hat auch Rewe gespürt. Im Jahr 2006 war der Lebensmittelhändler mit hohen Pestizidrückständen in spanischem Obst und Gemüse konfrontiert. Für die Rewe Gruppe ein Signal, mit „Pro Planet“ eigene Nachhaltigkeitskriterien aufzustellen, erklärte Dr. Ludger Breloh, verantwortlich für nachhaltige Beschaffung.
Die Rewe-Gruppe hat dann auch gleich gezielt durchgegriffen. Zum einen mit der vertikalen Integration innerhalb einer Wertschöpfungskette bis auf den einzelnen Betrieb hinunter. Das wird aktuell mit dem Tierwohl-Projekt des Deutschen Tierschutzbundes umgesetzt. Daneben verfolgen die Kölner Rohstoffzertifizierungen und sektorale Strategieansätze wie beispielsweise im Kakaosektor.

Scheinsicherheit

Dr. Breloh erläuterte auch, warum die Rewe sich nicht mit einfachen Standards wie dem QS-System zufrieden gibt. Dieser Standard liegt zwar leicht höher als die gesetzlichen Mindestanforderungen, reiche aber nicht für die Wünsche der Gesellschaft aus.
Die Fokussierung auf eigene Label ist aber auch die Krux in der Branche. Nach Ökonomin Dr. Hiltrud Nieberg vom Thünen Institut machen Siegel Nachhaltigkeit zwar „greifbar“ und vereinfachen komplexe Zusammenhänge, aber sie gelten nur für spezielle Wünsche. Die einen gelten für den Ackerbau-, die anderen für den Tierhaltungsbetrieb. Anforderungen an einen Nebenerwerbsbetrieb sind anders zu formulieren als für einen Haupterwerbsbetrieb. Eine Region muss nicht artenarm sein, wenn nur drei Betriebe wenig Biodiversität auf ihren Feldern aufweisen. Die Bemessung von Treibhausgasemissionen innerhalb eines Sektors trifft auf Abgrenzungsschwierigkeiten. Daher bieten einzelne Siegel nur „Scheinsicherheiten“ und wirken wie „Verschiebebahnhöfe“. Friedhelm Decker, Präsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes, fürchtet gar die Schaffung eines zweiten Ordnungsrechtes.
Besser als einzelne Themen in Siegel zu verpacken wären nach Dr. Nieberg betriebliche Nachhaltigkeitszertifizierungen. Das machen nur wenige Betriebe. Seit einigen Jahren sind drei verschiedene Systeme im Einsatz: Das Kriteriensystem nachhaltige Landwirtschaft (KSNL), das DLG-Zertifizierungssystem „Nachhaltige Landwirtschaft – zukunftsfähig“ und die „Response Inducing Sustainability Evaluation“ (RISE) [1].

Die Schwierigkeiten

Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, zeigte anhand zweier Beispiele, wie komplex und irreführend „einfache“ Nachhaltigkeitskriterien sein können. Bei der Neubewertung der Biokraftstoffe de ersten Generation fällt Raps wohl wegen indirekter Landnutzungsänderung durch. Die Pflanze bietet aber nicht nur den Grundstoff für Biodiesel, sondern stellt auch ein Drittel der heimischen Eiweißproduktion für die Tierhaltung. Fällt Raps aus, muss mehr Soja importiert oder mehr Fläche für „heimisches“ Soja eingeplant werden – denn die Erträge sind weniger effektiv.
Obergrenzen für den Einsatz von Wirtschaftsdünger können am Alpenrand deutlich ertragsbegrenzend wirken. Dort fahren die Bauern bis zu fünf Schnitte im Jahr ein und der Stickstoffentzug über die Pflanzen erreicht leicht 300 Kilogramm je Hektar. Doch derzeit wird über eine generelle Senkung von Obergrenzen von 230 auf 170 kg debattiert. Die Landwirte müssten dann mehr Mineraldünger kaufen, um ihre Gräser zu ernähren.

Müller fordert neue Plattform

Für Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungswirtschaft (BVE), lässt sich Nachhaltigkeit eher über den Massenmarkt als über Siegel realisieren, die nur Nischenmärkte abbilden [2].
Damit Nachhaltigkeit nicht zu einem Wettbewerbsfaktor mit schnellen und Teillösungen wird, fordert Alexander Müller, der bis dieses Jahr noch bei der FAO Beigeordneter Direktor gewesen ist und jetzt in den Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen wurde, eine Plattform. Dort sollen die nächsten Nachhaltigkeitsschritte definiert werden, die alle entlang der Kette umsetzen können. Die Vielzahl an Siegel, auch im Ökolandbau, sei mehr ein Hilferuf und ende in einem Flickenteppich, der vom Verbraucher nicht mehr durchdrungen werden kann.

Lesestoff:

[1] Betriebsmanagementsystem KSNL: www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=20844

DLG-Nachhaltigkeitsstandards: www.nachhaltige-landwirtschaft.info/

RISE: www.apsa.am/images/RISE_Model.pdf

[2] Eigenmarken des Handels treiben das Tierwohl

Wie viel Label braucht die Nachhaltigkeit?

Roland Krieg

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