Tante Emma und Onkel Mehmet

Handel

Bei Onkel Mehmet spielt Geld keine Rolle

1959 klopfte die Türkei das erste Mal an die Tür zur EU. Damals bewarb sie sich noch bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG. Im letzten Jahr wurden die Beitrittsverhandlungen teilweise wieder ausgesetzt. Doch Miteinander leben die Völker schon seit Generationen. Rund 2,5 Millionen Deutschtürken leben in Deutschland. Zwei Drittel in Nordrhein-Westfalen, 17 Prozent in Baden-Württemberg und 12 Prozent in Bayern. In Berlin sind es „nur“ 6,5 Prozent, aber ihre Kultur scheint hier weiter verbreitet.
AnugaDie Türkei hat viel mehr zu bieten als den Döner. Die Entsprechung zum deutschen Tante Emma Laden ist der türkische Onkel Mehmet-Laden. Riesige bunte Obst- und Gemüseläden, die ganze Straßenkreuzungen prägen und den Türken ein Stück Heimat bieten. Das türkische Leben ist viel enger mit dem deutschen Alltag verzahnt, als es manche wahrnehmen. Damit es noch enger wird, fand auf der Anuga heute das erste Deutsch-Türkische Foodforum statt. Der bilaterale Foodkongress solle als „Kick-off zur Gründung eines innovativen deutsch-türkischen Kontaktnetzwerkes“ verstanden werden, sagte Oguz Evler, Geschäftsführer seiner Markenagentur.
Heute ist das islamische Zuckerfest und so begrüßte er auch die Gäste: „Esst und sprecht süßes“. Sprachen können Völker verbinden, aber auch trennen. Leidenschaft und Essen hingegen haben nur Verbindendes.

Türkei als Tor zur Welt
Über 3.000 qm Standfläche hat die Türkei auf der Anuga aufgebaut. In zwei Jahren, wenn sie als Partnerland der Anuga 2009 startet sollen es über 7.000 qm werden. Längst holen sich deutsche Konsumenten Ayran, Zopfkäse oder Kashkaval aus den türkischen Läden und Lidl glänzte jüngst mit einer türkischen Woche voller kleinasiatischer Spezialitäten. Die Hälfte der türkischen Produkte in den Supermärkten werden von deutschen Konsumenten gekauft.
Die seit vier Jahren existierende deutsch-türkische Handelskammer in Köln sieht die Türkei als Ort für Investitionen und Ausgangspunkt für weitere Märkte: Der Nahe Osten und die früheren Sowjetrepubliken sind direkten Nachbarn. So haben sich die Metro und die Deutsche Post dieser Handelskammer bereits angeschlossen.
Ayse Dincer, Chefredakteurin des türkischen Fachmagazins für den Lebensmittelhandel „Dünya Gida“ sieht noch viel Wachstumspotenzial in ihrem Land. Das Durchschnittseinkommen ist von 2005 zu 2006 von 5.477 auf 5.692 US-Dollar gestiegen. Der wachsenden Kaufkraft steht noch ein geringer Verzehr von Milch (18 kg/Kopf) und Fleisch (45 kg/Kopf) gegenüber. Das liegt weit unter den EU-Durchschnittswerten von 45 bzw. 240 kg/Kopf. Die Ernährungswirtschaft hat ihre Kapazitäten noch nicht ganz ausgeschöpft und ist vielfach klein strukturiert. Die Türkei hat verschiedene Förderprogramme für den Mittelstand aufgelegt, lädt sie Investoren ein, den Bosporus zu überqueren.

Kundenpotenzial in Deutschland
Während also die Türkei Investoren sucht, kümmerte sich die Tagung auch um die türkischen Konsumenten in Deutschland.
Die Onkel Mehmet-Läden bieten ein rein ethnisches Sortiment an. Hier versorgen sich die Deutschtürken traditionell mit Fleisch- und Wurstwaren, Gemüse und Obst sowie speziellen türkischen Produkten. Andere Lebensmittel werden in Discounter gekauft. Rund 12.000 Läden gibt es in Deutschland, die einen Umsatz von etwa 10 Milliarden Euro machen, führt Dr. Tanyu Aygün, Bezirksverkaufsleiter von Plus auf Basis seiner Doktorarbeit an. Der Umsatz hat einen Anteil von 3,5 Prozent am Gesamtumsatz des deutschen Lebensmittelhandels. Während Deutsche im Monatsdurchschnitt 272 Euro für Lebensmittel ausgeben, kommen die türkischen Haushalte auf 300 Euro. Warum also haben sich nicht längst türkische Supermarktketten gebildet – oder: wieso gibt es neben der Vielzahl an italienischen Pizzen in deutschen Kühlregalen nicht auch einmal eine türkische?
Die Onkel Mehmet-Läden sind für die türkische Kundschaft eigentlich nicht wettbewerbsfähig. Sie bieten kaum vergleichbar Bequemlichkeit wie die deutschen Supermärkte mit Parkplätzen und One-Stop-Einkaufsmöglichkeit. Das sagen die Kunden selber. Die Läden bieten neben dem türkischen Lächeln aber noch etwas anderes an Kundenbindung: Familiäre Ausstattung des Geschäftes, Vielfalt türkischer Produkte, „islamische „Halal“-Produkte und die eigene Sprache. Das Sortiment wird hier gekauft, auch wenn es teurer ist.
Auch wenn diese Vorzüge bei der nachfolgenden Generationen langsam an Bedeutung verlieren, werden die Onkel Mehmet-Läden nicht so schnell verschwinden. Der türkische Großhandel kann nicht Supermarktketten in ganz Deutschland gleichzeitig beliefern. „Der Logistikkomplex ist verbesserungswürdig“ stellte Dr. Aygün fest. Die türkischen Geschäfte nehmen in der Regel größere Verpackungseinheiten ab als von den deutschen Ketten gefordert. Der deutsche Handel verlangt zudem in seinen Jahresgesprächen noch einen „Werbekostenzuschlag“ in Höhe von zwei Prozent wenn alle Produkte aus dem Vorjahr erfolgreich verkauft werden konnten. Türkischen Händlern fehlt dafür das Verständnis, dass, nach den Kosten für das Listen im Regal, noch einmal Geld zu bezahlen ist, wenn alles verkauft wurde.

Der „Profi“ und der „Überlebenskämpfer“
Warum also den eigenen Laden nicht zu einer erfolgreichen Lebensmittelkette weiter entwickeln? Das hat Kamuran Sezer von seinem jüngst gegründeten „futureorg“-Institut für Zukunftsforschung in Kurzinterviews in Krefeld und Duisburg herausgefunden.
Die befragten Onkel Mehmet-Läden wiesen eine große Streubreite auf. Sie hatten zwischen zwei und 20 Mitarbeitern, der Inhaber ein bis drei Läden und die Kundschaft setzte sich aus Türken und Deutschen im Verhältnis von 10:90 bis zu 70:30 zusammen. Alle Inhaber hatten keine abgeschlossene Schulbildung und keine fachliche Qualifizierung nachzuweisen. Trotzdem sind einige äußerst erfolgreich, andere weniger. Der Unterschied ist, dass der „Profi“ gute Deutschkenntnisse hat, sich bei den Behörden auskennt, aktiv Fördergelder beantragt und seine Ansprechpartner kennt. Dem „Überlebenskämpfer“ bleiben vor allem wegen der mangelhaften Sprachkenntnis Ansprechpartner und Behörden unbekannt.
Erfolg wird hier als geschäftliche Weiterentwicklung durch Integration definiert. Das soziologische Gegenmodell der Integration ist die Diskriminierung. In diese Richtung gehen die „Überlebenskämpfer“, die „ihr ökonomisches Potenzial verschleißen“, folgert Sezer.
Nicht, dass niemand wachsen will. Alle hätten gerne Ansprechpartner und Mittel , um sich beruflich weiter zu entwickeln. Hier stehen aber auch eigene Barrieren im Weg. Um sich vertikal oder horizontal zusammen zu schließen, müsste der Einzelne etwas von sich aufgeben. In Krefeld ist so ein Handelszusammenschluss bereits nach drei Tagen gescheitert, wies Sezer aus. Möglicherweise wollte niemand seine selbst erarbeiteten Einkaufspreise den anderen verraten.
Das allerdings ist nicht von Dauer. Oguz Evler zeigte sich zuversichtlich, dass nachfolgende Generationen, die von ihren Vätern den Laden übernehmen, das anders handhaben werden. Trotzdem bleibt die Perspektive auf „kleine Ketten“ mit mehreren Läden in einer Region begrenzt.
Das die deutsche Geschäftswelt an Kongress und Thema ganz nahe dran ist, zeigt das Magazin für den Handel mit Molkereiprodukten „Milch-Marketing“: Es hat das Deutsch-Türkische Foodforum mit begründet.

Lesestoff:
Alles über das Forum bietet die Webseite www.dtfood.org

Roland Krieg

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