Technologie-Plattform Bioraffinerie
Handel
Bioraffinerie-Plattform Brandenburg gegründet
Erneuerbare Energien werden die fossilen Rohstoffe ablösen. Sonne, Wind und Wasser sind im Trend liegende unerschöpfliche Energiequellen, bringen aber lediglich Elektronen zum Fließen oder Turbinen in Rotation. Sonne, Wind und Wasser haben einen Nachteil: Sie produzieren keine Rohstoffe. Das aber machen Pflanzen. Über die Photosynthese produzieren sie Biomasse – Kohlehydrate, Fette und Proteine. Stoffliches Ausgangsmaterial für die chemische Industrie, die bislang ihre Polymere überwiegend aus dem Rohstoff Erdöl aufbaut.
Brandenburger Bioraffinerien
„Deutschland ist von fossilen Rohstoffen abhängig und muss die wichtigsten Energie- und Rohstoffträger importieren. Fossile Rohstoffe sind allerdings endlich und stehen nur begrenzt zur Verfügung. Am Rohstoffwechsel in der chemischen Industrie hin zu nachwachsenden Rohstoffen führt deshalb langfristig kein Weg vorbei.“
Das ist die Einleitung der gemeinsamen Absichtserklärung der Technologie-Plattform Brandenburger Bioraffinerien, die gestern in Potsdam unterzeichnet wurde. Ziel ist der Austausch von Ideen, die Umsetzung der Projekte, die Vernetzung von Forschung und Evaluierung von Finanzoptionen für Forschungsvorhaben.Schon in der rot-grünen Koalition hat die Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein (SPD) den Antrag gestellt, die Forschung und Entwicklung für die industrielle stoffliche Nutzung der Biomasse zu stärken. Die vorgezogenen Wahlen kamen dazwischen. Im letzten Jahr hat der Neuantrag dann ohne Gegenstimme den Bundestag passiert und legt auch für die chemische Industrie die Strategie fest: „Weg vom Öl“. Im „ostdeutschen Chemiedreieck“ rund um Leuna soll ein Bioraffinerie-Cluster entstehen, der die Kunststoffe aus unserem Alltag durch Rohmaterial aus Biomasse ersetzt. Brandenburg will sich mit der Technologie-Plattform an das Chemiedreieck andocken, weil der Standort nicht nur Fläche, sondern auch vielfältige Kernkompetenzen vorweisen kann:
Seit fast zwei Jahren produziert das Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam-Bornim (ATB) Milchsäure in einer Pilotanlage und auch das Institut für Getreideverarbeitung spielt mit Schallschutztüren und Algen in der ersten Biomasse-Liga.
Was wird gebraucht?
Die chemische Industrie in Deutschland erzielte 2003 mit 136 Milliarden Euro Umsatz einen Marktanteil von 25 Prozent in Europa und einen von 8,3 Prozent weltweit. Etwas mehr als zehn Prozent der Ausgangsstoffe sind bereits nachwachsend. Rund 2,5 Millionen Tonnen umfasst die Menge der verwendeten Pflanzenstoffe. Inklusive 0,5 Millionen Tonnen Stärke für die Papierindustrie, aber ohne 0,2 Mio. t Naturfasern. Bis 2010 wird der Markt um jährlich vier Prozent wachsen. Überdeutlich wird der Markt für Kohlenhydrate auf Zuckerbasis mit 10 bis 15 Prozent im Jahr wachsen, unterdurchschnittlich der für Fett und Öle sowie für Stärke und Cellulose.
Rohstoff |
Pflanze |
Extraktionsverfahren |
Gewonnener Rohstoff |
Anwendungs-beispiel |
Zucker |
Kar, Mais, Zuckerrübe |
Fermentation, Thermo-katalytisch |
Milchsäure, Vitamine, Ethanol |
Kleber, Waschmittel, Pharmazeutika |
Fette/Öle |
Raps, Öllein, Krambe |
Thermo-katalytisch |
Capronsäure, Ölsäure, Liniolsäure |
Waschmittel, Kosmetika, Harze |
Cellulose |
Holz, Hanf |
Thermo-katalytisch |
Celluloseether, Lignin, Terpentin |
Kunststoffe, Farben, Kosmetika |
Proteine |
Erbsen, Lupine |
Thermo-katalytisch |
Aminosäure, Proteine |
Leim, Farben, Kosmetika |
Farbstoffe |
Färberwau, Krapp, Saflor |
|
Alizarin, Indican, Cathamin |
Kosmetika, Farben |
Q: DOE – Office of Biomass Programm / FNR Industriepflanzen (vereinfacht)1) |
Es ist schon ein langer Weg, den die Prozesstechnik bislang zurückgelegt hat. Prof. Dr. Hubert Wiggering vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg blickte auf die 1920er Jahre zurück. Damals hatten die ersten „Bioraffinerien“ aus 1.000 kg Holz 260 kg Kohle, 190 kg Gas, 460 kg Flüssigkeiten (darunter 400 kg Wasser) und 50 kg Ethanol (darunter 10 kg Methanol) herausgeholt. Kein Vergleich zu heute. Aus 40.000 t Luzerne entstehen 13.000 t Silage, 400 t proteinreiches Futter, 30 t kosmetische Produkte. 660 t Milchsäure und 17.000 t Reststoff für die Biogasanlage2)
Die moderne Bioraffinerie sieht auf dem ersten Blick aus, wie eine Erdölraffinerie und arbeitet nach dem gleichen Prinzip: Es wird fraktioniert. Die Pflanze wird nach bestimmten Verfahren aufgespalten und der gewünschte Rohstoff gewonnen.
„Nicht mehr landwirtschaftlich denken“
Was die chemische Industrie für unsere Alltagsprodukte braucht und wie sie diese herstellen könnte, hat mit Landwirtschaft nicht mehr viel zu tun, sagte Prof. Dr. Birgit Kamm vom Forschungsinstitut Bioaktive Polymersysteme aus Teltow-Seehof zu Herd-und-Hof.de. Man müsse von der landwirtschaftlichen Denkweise weg. Im havelländischen Selbelang entsteht ein Pilotprojekt, das die Ahnung dessen manifestiert, welche Herausforderungen auf uns zukommen werden, wollen wir auf unseren nicht Wohlstand verzichten. Die Bio-Raffinerie gehört zu den fünf Vorzeigeprojekten der deutschen Forschung wie das Geothermie-Kraftwerk. 40.000 Tonnen Luzerne sollen dort einmal verarbeitet werden. Zunächst wird den frischen und wasserreichen Pflanzen durch Pressen der Saft entzogen. Der übrig bleibende Presskuchen eignet sich hervorragend als Futter – könnte aber auch wieder über Fermentation in den Prozess eingespeist werden. Dampfbehandlung, Mikrofiltration, Separation oder Dekantieren stellen so genannte Plattformchemikalien her, aus denen die verschiedensten Produkte gewonnen werden können.
Primärraffinerien zerlegen dabei die Pflanze an dem Ort, wo sie wachsen. Der entstandene Rohstoff wird danach an den Chemiestandort zur Verarbeitung gebracht. Das ist ein logistisches Ganzes, wenn die Räder ineinander greifen.
In die Landschaft einfügen
Biomasse als Chemierohstoff stehe nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, heißt es mehrheitlich. Dr. Victor Stimming. Präsident der IHK Potsdam sieht im Bau und der Verwendung von Bioraffinerien sogar eine Entschärfung des Rohstoffkonflikts. Wenn beim Getreide das Korn für das Brot und das Stroh in die Raffinerie geht, scheint das auch plausibel.
Doch so einfach ist das nicht, grenzt Dr. Wiggering ein. Gerade das ZALF schaut auf die Interaktionen der Landnutzung. Wasserverfügbarkeit, Nährstoffbilanzen und Natur- und Umweltziele grenzen das Potential verfügbarer Biomasseflächen ein. Es wird eine Nutzungskonkurrenz bei den Flächen geben, wobei sich für die Biomasseproduktion so genannte „Hot Spots“ einstellen werden. Ab 2013 wird der EU-Agrarhaushalt auf gäntzliche neue Fundamente gestellt werden. Die Förderung der zweiten Säule, die Entwicklung des ländlichen Raums, wird voraussichtlich eine wesentlich bedeutendere Rolle spielen. Da muss die Bio-Raffinerie auch die integrierte ländliche Entwicklung fördern, Einkommen und Beschäftigung auf dem Land sichern: „Bio-Raffinerien müssen auch politisch gedacht werden.“
Politisch fehlt noch was
So sehr die Gründung der Technologie-Plattform auf die Politik zurückgeht, so intensiv muss sie auch weiterhin am Ball bleiben. Die Marktanalyse der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe und des Bundeslandwirtschaftsministerium1) sieht die Kostenvorteile für die Bio-Raffinerien derzeit bei ausländischen Anbietern. Eukalyptus, Pinien, Sojaöl und Weizen werden dort industriell und mit gentechnisch veränderten Pflanzen angeboten. Die Hälfte der benötigten Rohstoffe stammt derzeit aus Deutschland. Als Risiken für den heimischen Anbau gelten zunehmender Regulierungsdruck (REACh) und die hohen Energie- und Rohstoffkosten.
Das sagt auch Dr. Christoph Mühlhaus, der Praktiker von Buna, Dow Chemicals und InfraLeuna. Aus Kostengründen sei eine große Bioraffinerien in Nordamerika und nicht in Ostdeutschland entstanden und weitere in Brasilien geplant, wo sie auf Zuckerrohr zurückgreifen. Auch östlich von Europa entstehen Wettbewerber.
Das hat auch Andrea Wicklein aufgenommen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen für neue Marktpotentiale und Produkte erstellen, damit Deutschland auch auf „exportfähige Zukunftstechnologien“ zurückgreifen kann, sagte sie.
Dr. Günter Hälsig aus dem Brandenburger Landwirtschaftsministerium vermisst konkrete Vorgaben für die stoffliche Nutzung der Biomasse. Nur für Energie und Treibstoff haben die Bundesländer, Deutschland und die EU deutliche Substitutionsziele gesetzt. Dr. Wiggering fährt nach Ostern nach Brüssel und zeigt sich zuversichtlich, den Bioraffinerie-Cluster als europäische „Regions of Knowlegde“ einzubringen. Die stoffliche Nutzung ist im siebten Forschungsrahmen der EU bereits enthalten. Als Wissensregion soll gerade die wirtschaftliche Entwicklung der Forschung voran gebracht werden.
Daher auch keine Forschungs-, sondern eine Technologieplattform, so Dr. Wiggering, denn im Ausland haben die Unternehmen einen höheren Anteil an der Prozessführung als in Deutschland.
Lesestoff:
1)Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe, Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) (Hrsg.) 2006 (Teil I) und 2007 (Teil II)
Im Internet ist die Seite über die Grüne Bioraffinerie gerade im Aufbau unter www.bioraffinerie.de
2)Kamm, B., Schönicke, P, Kamm, M.: Biorefining of Green Biomass – Technical and energetic Considerations, Clean 2009, 37 (1), 27-30
Roland Krieg (Text und Fotos)