Tierwohl: Die Branchenlösung treibt den Markt

Handel

Rewe Dialogforum Tier und Pflanze

Am Montag fand das Rewe Dialogforum Tier und Pflanze über die Nachhaltigkeit 2013 statt, die endlich aus ihrem Nischendasein herausgeführt werden soll. Auf der abendlichen Podiumsdiskussion über das Tierwohl zeigte sich, dass der Weg aus der Nische nicht ganz klar ist.

Eigenmarken treiben Tierwohl

Die verschiedenen Labels bringen es zusammen auf keine zweistelligen Prozentbereiche im Handel [1]. Der Bioschweinemarkt liegt sogar unter einem Prozent Marktanteil und bleibt in der Nische. Daher müsse der Handel seine Möglichkeiten nutzen, Tierwohl voranzutreiben. Klima, Ressourcenschutz, soziale Aspekte und Tierwohl sind nach Guido Siebenmorgen, Leiter Strategischer Einkauf bei Rewe, Megatrends, denen der Handel sich nicht entziehen kann. Die Rewe sieht in der Verbesserung des Tierschutzes sogar eine eigene Aufgabe und ist durch die Eigenmarken ein starker Treiber im Markt.
Isabella Timm-Guri, Direktorin Erzeugung und Vermarktung beim Bayerischen Bauernverband, setzt ebenfalls auf den Handel. „Wir halten die Tiere“, aber die ganze Wertschöpfungskette muss mitarbeiten. Der Handel hat nach Stefan Johnigk, Geschäftsführer des Tierschutz-Fachverbandes Provieh, sogar eine tragende Rolle, denn über den Preiswettbewerb müsse der Handel das jeweils billigste Angebot auf Tierschutzniveau anheben und das Tierwohl von unten aufbauen.

Nicht auf den Verbraucher bauen

Denn: „Der Weg über die Verbraucher floppt!“, so Johnigk. Nach mehr als drei Jahrzehnten hat sich das Verbraucherverhalten noch immer nicht in der Breite geändert. Tierwohl war auch schon in den 1970er Jahren Thema bei den Konsumenten. Seitdem ist die Zahl der Siegel explodiert. Doch der Marktanteil der Biolabel und Tierwohlzeichen liegt noch immer nur im einstelligen Bereich. Johnigk hält es für unmöglich, das Verhalten von 80 Millionen Menschen zu verändern. Einfacher sei es die Bereitschaft von 80 Einkäufern zu ändern, die für die Lebensmittelketten die Ware beziehen.
Dass der Preis der bessere Hebel für Veränderungen ist, belegte Siebenmorgen. Der Kaufmann rechnet vom Einkaufspreis aus: Ab 1,90 Euro je Kilo Schlachtgewicht geht die Kauflust der Konsumenten zurück. Müssen die Einkäufer mehr als zwei Euro bezahlen, sinkt der Umsatz bereits um 20 Prozent. Wenn im nächsten Jahr die Branchenlösung Tierwohl für den Schweinebereich realisiert wird, dann werden nach Einschätzung von Siebenmorgen die Preise auf der Handelsstufe steigen und am Ende bei den Verbrauchern für einen rückläufigen Konsum sorgen. Dafür aber auch den Mehraufwand entlohnen. Die jüngere Generation werde künftig weniger Fleisch essen.
Nach Siebenmorgen orientieren sich nicht mehr als 20 Prozent der Verbraucher an Nachhaltigkeitsaspekten. 80 Prozent wählen weiterhin nach Preis aus. Das gefällt Thomas Schröder vom Deutschen Tierschutzbund zwar nicht, der für seine Ware auch die nötigen Erklärungen an die Kunden bringen will – aber diesen Anspruch hält der Rewe-Einkäufer für einen Irrtum.
Eine Branchenlösung wird den gesetzlichen Standard erhöhen und den Mehraufwand für die Bauern entlohnen. Mehr wollen die meisten Kunden nicht wissen. Die ziehen mit. Markt statt Aufklärung.

Am Markt bleiben

Aber auch das ist nicht einfach. Rewe ist mit seinem Nachhaltigkeitssiegel Siegel „Pro Planet“ in die Hähnchenmast eingestiegen. Beispielsweise düfen nur noch 35 statt 39 Kilogramm Masthähnchen je Quadratmeter gehalten werden. Die Produkte gibt es bei Rewe und der Tochter Penny. Mit einem Unterschied, so Siebenmorgen: Bei Rewe gibt es mehrere Geflügelfleischmarken und der Kunde hat die Wahl. Dort kann ein höherer Preis angeboten werden. Beim Discounter Penny hingegen steht das Pro Planet-Geflügelfleisch alleine im Regal: Ist der Preis höher als bei anderen Discountern, sind die Kunden weg, so Siebenmorgen.
Für Thomas Schröder sind das allerdings Konsequenzen aus der dem Verbraucher antrainierten Werbestrategie von Dauerniedrigpreisen. Der Handel habe sich selbst in dieses Dilemma gebracht.

Weitere Baustellen

Welcher Standard ist der Richtige? Für Isabella Timm-Guri ist der gesetzliche Mindeststandard bereits wettbewerbswirksam. Eine Branchenlösung könne aber so etwas wie ein „Gesellschaftsvertrag“ zwischen Erzeugern, Handel und Konsumenten sein. Nach Dr. Katharina Kluge aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium können die gesetzlichen Standards nicht mehr leisten, als zwischen „akzeptabel“ und „nicht akzeptabel“ unterscheiden. Sie sind keine „Best Practise“-Sammlung. Dann bleibt das Bessere der Feind des Guten.
Gefahr lauert auch beim Kartellamt. Nach Siebenmorgen ist ein gemeinschaftlicher Aufschlag für zusätzliche Tierwohlparameter „faktisch“ eine Preisabsprache. Es gebe aber Signale, dass das Kartellamt zustimmen werde.
Und ein Fragezeichen bleibt beim Kunden. Was will er wirklich und was ist er bereit, zu entlohnen? Verbraucherwunsch ist nicht gleich Verbraucherbereitschaft, mahnt Timm-Guri. Oft spiegele der Wunsch auch nicht die Realität wider, ergänzt Dr. Kluge. Verbraucher haben kaum noch Einblick und Kenntnis in die aktuelle Landwirtschaft. Wenn etwas besser sein will, dann wissen die Konsumenten oft nicht, von welchem Standard aus gestartet wurde.

Lesestoff:

[1] Tierschutzbund und Westfleisch und Vier Pfoten

Rewe startete 2010 mit Pro Planet. Ein Jahr vorher wurde in Berlin der erste Supermarkt nach Maßstäben für nachhaltiges Bauen eröffnet

Roland Krieg

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