Töpfer fordert neue Ökonomie

Handel

Finanzkrise und Klimawandel nicht separieren

>Zum 20. Mal findet die Weltleitmesse der Ökobranche statt. Zwei Tage bevor die BioFach in Nürnberg die Tore öffnet, begrüßt die erste „International Sustainability Conference“ Politik, Händler, Multiplikatoren und Wissenschaftler. „Mit der International Sustainability Conference erweitern wir unsere Branchenkompetenz um weitere Teilsegmente“, erklärt Claus Rättich aus der Geschäftsleitung der Nürnberger Messe. Mit dem Thema „Nachhaltigkeit als Leitidee unternehmerischer Verantwortung“ versucht der Kongress das Marktpotenzial zu erschließen, das auf rund 600 Milliarden Euro geschätzt wird. „Wir möchten der Branche eine internationale Plattform anbieten und ihre Bedürfnisse rund um das Thema Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) ausloten“, so Rättich weiter. So geht es beispielsweise um das Thema „Greenwashing“: Ist Nachhaltigkeit nicht nur eine Marketingstrategie?

Klaus Toepfer„Die Krise der Welt ist eine Krise der Ökonomie“
Der frühere Umweltminister und ehemalige Direktor des Umweltprograms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer, nutzte die Eröffnung der Konferenz am Dienstag Nachmittag, um Tacheles zu reden. Überfischung, die Zerstörung der Böden und schwindende Biodiversität sind Zeichen, dass die derzeitige Ökonomie abgewirtschaftet hat. Nur sechs Prozent der Menschen vereinen 40 Prozent aller Besitztümer und 80 Prozent der Menschen fordern mittlerweile ihr Recht auf Entwicklung ein. Die Aufgabe der Nachhaltigkeit sei es, diesen Riss zwischen den Menschen zu überwinden. Der westliche Lebensstil sei bei seinem Ressourcenverbrauch kein Exportartikel, so Töpfer.
Erschwerend komme hinzu, dass die Banker keine Ökonomen sind und mit der Finanzkrise ein Desaster angerichtet haben, das vor allem die Ärmsten bezahlen müssten. Jahrzehnte der Entwicklung seien bereits verloren gegangen. Daher müsse man die Herausforderungen der Finanzkrise mit den Herausforderungen des Klimawandels kombinieren. Die „Abwrackprämie“ sei kontraproduktiv und ein Symbol des Abwracksystems. In der Ökonomie müsse der kurzlebige Kapitalismus des Konsums durch einen langlebigen Produktzyklus ersetzt werden – und das auch mit ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. Zur Zeit des „sauren Regens“ und des Waldsterbens schien es fast unmöglich, die Kohlekraftwerke mit einem Grenzwert von 400 mg Schwefel ausstoß belegen zu können. Die Kraftwerks- und Kohleindustrie sah ihr Ende kommen, doch habe der Grenzwert dazu geführt, dass neue Technologien entwickelt wurden und die Chinesen die Schwefelfilter heute nachfragen. Mit vergleichbaren Anreizen könne ein „Feuerwerk der erneuerbaren Energien“ beschworen werden, dass nicht nur die Finanz-, sondern auch die Umweltkrise beseitige, so Töpfer. Nachhaltigkeit müsse man als Vorbedingung für das Leben begreifen.

Klein anfangen
Martina Hoffmanns von einer Kommunikationsagentur für Lohas, Konsumenten des Lifestyle of Health and Sustainibilty, sieht eine wachsende Zahl ethisch konsumierender Verbraucher. Jeder vierte Deutsche und fast jeder dritte Amerikaner suche gezielt nach Produkten die Nachhaltigkeit widerspiegeln. Wenn Unternehmen allerdings mehr versprechen als sie tatsächlich halten, dann läge das vor allem an der Unkenntnis. „Greenwashing“ sei weniger ein Fake, sondern mehr Unerfahrenheit. Für Behauptungen werden keine Referenzen angegeben, Vorteile im Umweltbereich hätten nicht direkt etwas mit dem Produkt zu tun oder Übertreibungen erwecken den Anschein, es geht nicht mit rechten Dingen vor.
Den richtigen Ton zu treffen ist aber auch nicht so einfach, denn der Technische Fortschritt könne ein heute nachhaltiges Produkt bereits morgen aus dem Programm fallen lassen. Doch die Unternehmen sollen nicht verzagen, denn die Lohas warten auf Alternativen und Bewegungen wie der Karma-Kapitalismus üben Druck auf die Unternehmen auf.

Zu viele Labels?
Beispiel Rainforest Alliance: Auf der Grünen Woche hatte sich einst Chiquita mit der Rainforest Alliance in der Biohalle präsentiert, doch die etablierten Ökoverbände bissen die Regenwaldkämpfer weg, denn sie haben weniger strenge Auflagen als die deutschen Verbände. Für Kraft Foods hingegen ist die Rainforest Alliance ein guter Partner. Seit 2003 verkaufen sie ihren zertifizierten Kaffee und konnten die Bohnenmenge von 4.000 auf 28.000 Tonen steigern, erklärt Sabine Peters-Halfbrodt von Kraft Foods. Verglichen mit der Gesamtkaffeemenge ist das sicher eine kleine Menge, doch die Diskussion zeigt auch, dass manche Vorstellungen nicht der Realität entsprechen. Für 28.000 Tonnen Kaffee müssen erstmal die Betriebe und die Prozesse zertifiziert werden und der Absatz muss mit einer Verbrauchermarke gesichert sein. Nachhaltigkeit ist eine reise, so Peters-Halfbrodt.
Der Faktor Zeit wurde von den Händlern auch eingeklagt. Man könne nicht gleich mit großen Mengen einsteigen, weil das der Markt nicht hergebe. Und wer klein anfängt, der dürfe nicht gleich dem „Greenwashing“ verdächtigt werden.
Das ganz große Ziel, die Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt, Soziales und bei der Produktqualität zu erreichen, ist auch noch weit weg, findet Dr. Sasha Courville von Iseal Alliance. Vor drei Jahren hat kaum jemand über den Klimawandel geredet und heute wirbt fast jedes Unternehmen mit klimafreundlichen Produkten – obwohl es immer noch keine einheitlichen Bewertungskriterien gibt. In den letzten Jahren haben Verbraucher auch lernen müssen, dass die ökologische Produktion nicht per se klimafreundlich ist, wenn viele Transportwege bei kleinen Betrieben anfallen. Ständig sind alle Kriterien in Bewegung.
Harmonisierung ist das Stichwort, was die Nachhaltigkeits-Profiler weltweit anstreben. In China sind die bäuerlichen Realitäten anders als im südamerikanischen Regenwald oder in der afrikanischen Savanne. Wer hier gleich mit den großen deutschen Ökostandards ankommt, gibt den Bauern kaum Gelegenheit, die Kriterien zu erfüllen. Die Isea Alliance, zu denen unter anderem IFOAM, MSC und FSC gehören, will bis Ende 2009 zunächst die „Codes of Good Practice“ für das Alltagsgeschäft auf den aktuellen Stand bringen.
Verwirrend bleibt für Verbraucher auch weiterhin die Vielzahl der Labels. Einen Eindruck erhalten Sie bei einem Blick in den aktuellen nachhaltigen Warenkorb. Und das sind meist nur die deutschen Siegel, mit denen ein internationaler Konzern nur dann etwas anfangen kann, wenn er für ein Produkt hier seinen Stammmarkt hat. Verbraucher können kaum noch unterscheiden, ob es „gute oder schlechte Siegel“ gibt. Solche Unterscheidungen helfen der Branche und den Zielpersonen nicht. Für Sasha Courville steht daher in den nächsten Jahren das Ziel an, Standards einfacher zu gestalten, weltweit zu harmonisieren und für Kunden transparenter zu machen.

Lesestoff:
www.iseaalliance.org
Auch der Blaue Engel denkt an das Klima. Mittlerweile hat er einen entsprechenden Zusatz erhalten: www.blauer-engel.de

roRo

Teil II morgen

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