TTIP: Dummy ohne Sicherheitsgurt

Handel

TTIP mangelt es an Transparenz

Über die Chancen des transatlantischen Handelsabkommens gibt es mittlerweile zahlreiche Studien. Befürchtungen werden nur vereinzelt vorgetragen. Der EU-Handelsausschuss hielt in dieser Woche eine Anhörung über die Ziele des TTIP ab. Dabei zeigte sich, dass die zu überwindenden Probleme doch grundlegender Natur sind.

Mit oder ohne Sicherheitsgurt?

Automobilunternehmen in Europa lassen ihre Autos für Sicherheitstests mit Dummys gegen die Wand fahren. Das machen auch die amerikanischen Unternehmen, doch schnallen sie ihre Dummys nicht noch zusätzlich an, erläuterte Prof. Dr. John Graham, Dekan der Hochschule für Öffentliche und Umweltangelegenheiten in Indiana. Als die Tests eingeführt wurden, gurteten sich nur zehn Prozent der amerikanischen Autofahrer an. Die unterschiedlichen Tests führen zu verschiedenen Ergebnissen. Außerdem sind die Dummys verschieden groß mit unterschiedlichen Extremitäten. Generell könne kein Urteil gefällt werden, welche der Methoden „Recht“ habe. Das Beispiel nimmt Prof. Graham als Beispiel, für den künftigen Verlauf der Verhandlungen. Beide Seiten müssten die jeweilige Testreihe anerkennen, ohne sie dem jeweils anderen überzustülpen.
Das sei zwar idealistisch gedacht. Aber die Konvergenz der verschiedenen Standards bringe eine Annäherung, ohne identisch zu werden.
Das fordert auch Ignacio Garcia Bercero, Chef-Verhandler der EU. USA und die EU stoßen in eine neue Dimension vor. Von Chemikaliensicherheit über Landwirtschaft bis zum Datenschutz sind parallel verschiedene Systeme entstanden, die nicht ersetzt werden sollen. Bercero unterstrich, dass die EU ihre hohen Schutzstandards nicht aufgeben werde.

Gegenseitiges Konsultationsverfahren

Für neue Standards sollte die eine Seite, die jeweils andere im Vorfeld unterrichten und konsultieren, stellt sich Prof. Graham den künftigen Ablauf zwischen den beiden Wirtschaftsräumen vor. Dazu müssen Ziele, Verfahren und ein Geltungsbereich definiert werden.
Aber es scheitert schon an der Verständigung. Prof. Jacques Pelkmans vom Centre for European Studies im belgischen Bruges rät für Zweckmäßigkeit. Der Streit über mit Chlor desinfizierte Hähnchen in den USA währt bereits seit 30 Jahren. Die Europäer akzeptieren das nicht. Noch heute werde darüber auf einer Ebene diskutiert, die Pelkmans längst überwunden glaubte. Merkantilistische Bewertungen sollten durch Zweckmäßigkeit ersetzt werden. Er setzt auf wissenschaftliche Studien, die beispielsweise auch die Ungefährlichkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen belegen.
Ein Patentrezept für Lösungen ist aber nicht in Sicht. Generaldirektorin Monique Goyens von der Europäischen Verbraucherschutzorganisation BEUC zweifelt an der Allwissenheit wissenschaftlicher Studien. Die Dinge müssten in einem größeren Kontext gesehen werden. Die Amerikaner desinfizieren ihre Hähnchen besonders gründlich, weil die USA viel mehr Probleme mit Salmonellen haben als die europäischen Verbraucher.
Die bestehende Autonomie der Rechtssetzung müsse unbedingt beibehalten werden, ergänzte Prof. Reinhard Quick, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Freihandelsabkommen bei Business Europe. Aber nicht notwendige Doppelungen müssten gestrichen werden. Das gelte auch für künftige, wenn sich beide Seiten darauf einigen könnten, was eine „gute Norm“ ist.

Betriebsrat

Ein anderes Beispiel ist die Gewerkschaftsbeteiligung. Volkswagen wollte in seinem neuen Werk in Chattanooga die amerikanische United Auto Workers (UAW) zulassen und einen Betriebsrat nach deutschem Vorbild einrichten. Die UAW begrüßte das. Doch was aus europäischer Sicht normal ist, stößt in den USA auf erhebliche Probleme. Der UAW wird der Niedergang der Detroiter Autoindustrie zugeschrieben und viele Arbeitnehmer gehören der „Right-to-work“-Fraktion an. Diese wollen lieber ohne Gewerkschaftszwang arbeiten und machen gegen den Betriebsrat mobil. Das gefällt auch den konservativen Politikern in Tennessee, die eine Verlangsamung des Wachstums durch den Betriebsrat fürchten. Governor Bill Haslam musste am 18. September in der Detroit News den Gerüchten entgegen treten, dass Volkswagen Steuerbegünstigungen für den Ausschluss eines Betriebsrates erhalten könnte. Ende offen.
Für Judith Kirton-Darling, Generalsekretärin des europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC, rütteln solche Praktiken am europäischen Grundverständnis. Die gegenseitige Anerkennung sei keine Lösung, weil Unternehmen sich dann die einfachste aussuchen könnten.

Mangelnde Transparenz

TTIP sorgt aber auch wegen mangelnder Transparenz für Unruhe bei den Europaabgeordneten. Chef-Verhandler Bercero verwies auf die bereits veröffentlichten Dokumente und versprach, weitere zugänglich zu machen. Aber der Grüne Abgeordnete Yannick Jadot aus Frankreich zeigte auf ein Verhandlungsdokument, dass er anderen Abgeordneten nicht zugänglich machen dürfe. Damit habe TTIP ein echtes Transparenzproblem. Auch Verbraucherschützerin Goyens muss mehrmals bei Bercero anklopfen, bis sie gehört wird. Sie habe zufällig eine Einladung erhalten, wo die Kommission mit der Industrie Verhandlungspunkte abspreche. Das aber sollte für alle gelten. Die Kommission halte eine monopolistische Rolle ein. Ohne Beteiligung der nationalen Parlamente könne es keinen Abschluss geben.

Roland Krieg

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