TTIP wird zur EU-Vertrauensfrage
Handel
Wer kontrolliert die Lebensmittelversorgung nach TTIP?
Drei Runden haben die Verhandlungen zu einem
transatlantischen Investitionsschutzabkommen (TTIP) bereits hinter sich. Ob es
sich wirklich „mit einer Tankfüllung“ beschließen lassen, wie es in den USA heißt,
darf bezweifelt werden. So richtig sind die konträren Punkte noch nicht auf den
Tisch gekommen und die Parlamente werden ihre Bedürfnisse noch auszuspielen
wissen. Die Gegner haben sich mittlerweile ebenfalls transatlantisch formiert
und am Montag in Berlin Stärke gezeigt. Anlass ist eine Studie des grünen Europaabgeordneten
Martin Häusling mit dem Titel „TTIP: No we can´t. Kein Freihandelsabkommen auf
Kosten europäischer Verbraucher.“ Zweifel mehren sich, ob es wirklich um die
Exportchance von Bromelien geht und warum die Verhandlungsrunden hinter
verschlossenen Türen statt finden – obwohl die USA und die EU zusammen rund 50
Prozent des globalen BIP und ein Drittel des globalen Welthandels auf sich
vereinen.
Leichterer Zugang
Dr. Ulrich Weigl, der für die EU-Kommission die
Verhandlungsrunde über Agrarstandards leitet beschreibt noch einmal die Größe
des transatlantischen Handels. Täglich werden Waren im Wert von 1,8 Milliarden
Euro zwischen den beiden Wirtschaftsregionen gehandelt. 15 Millionen Arbeitsplätze
hängen am Warenverkehr zwischen der alten und der neuen Welt. Den Zoll, der auf
Seite der EU durchschnittlich bei 5,2 Prozent und in den USA durchschnittlich
bei 3,5 Prozent besteht, auf null zu bringen sei nicht viel, aber das Volumen insgesamt
riesig. Die Ersparnis könne in die Wirtschaft investiert werden. Das jedoch sei
bei weitem nicht das wichtigste. Es geht vor allem um Regulierungsaspekte. So
versuchen die Niederländer seit 25 Jahren Bromelien in die USA zu verkaufen und
hatten vor kurzem einen ersten Erfolg: Grundsätzlich dürfen die Blumen in das Land.
Nur wurden die Anforderungen für den Aufwand für alle Arbeitsprotokolle und Begleitpapiere
sowie für einen Fonds, der die Gebühren abdeckt, so hoch geschraubt, dass die Exporteure
noch immer keine Bromelien in die USA liefern. Meist halte sich die USA nicht an
die globalen Standards und setzten bei phytosanitären und Veterinäraspekten
noch immer eins drauf. Von einer Deregulierung würde vor allem die
verarbeitende Industrie profitieren.
Auch Rückspiegel und Fahrtrichtungsanzeiger für Autos
sind beliebte Objekte, die für die Notwendigkeit eines Abkommens herhalten
müssen. Notwendige Modifikationen vor dem Export in die USA belasten vor allem
die kleinen Mittelständler in Europa.
Schutz vor Investitionen
Ob es aber wirklich um Bromelien und Rückspiegel geht, ist fraglich. Den Kritikern geht es vor allem um die „Investor-Staat-Klagen“. Pia Eberhardt vom Corporate Europe Observatory (CEO) beschreibt die aktuellen Fallbeispiele: Vattenfall verklagt Deutschland, weil das Parlament aus der Atomenergie aussteigt. Philip Morris Australien verklagt das Land auf Schadensersatz, weil eine Anti-Raucher-Kampagne die Investitionen untergräbt und der Öl- und Gaskonzern Lone Pine verklagt Kanada wegen eines Verbots von Fracking. Was kommt nach dem TTIP, wenn es Investorklagen gegen gewählte Parlamente auch in Europa zulässt? Klagt der Schweinemäster Strathoff gegen Mecklenburg-Vorpommern, Agrarminister Dr. Hans-Peter Friedrich oder den Deutschen Bauernverband, weil er seine Mastställe kleiner machen muss? Dann gefährdet TTIP, so Pia Eberhardt, die Demokratie und das Abkommen wird nicht im Namen des Volkes, sondern im Namen der Unternehmen unterzeichnet.
Scheintransparenz
In fünf Monaten wird ein neues Europaparlament gewählt.
Für Arnd Spahn, Agrarsekretär der Europäischen Föderation der Gewerkschaften
Lebensmittel-Landwirtschaft-Tourismus (EFFAT) bringt es auf den Punkt: „Europa
ist mehr als die Entwicklung von Standards hinter verschlossenen Türen!“ Gerade
im Wahljahr habe die EU die Chance zu zeigen, wessen Interessen sie vertritt.
Dr. Weigl führte zwar an, dass die EU auf Ihrer
Webseite Positionen veröffentlicht – aber nach Pia Eberhardt ist das nur eine
Scheintransparenz. Denn nur ausgewählte Positionen und die der EU werden
veröffentlicht. Keine Verhandlungstexte. Auch für die Vorbereitung lud die
EU-Kommission zu 93 Prozent nur Industrievertreter ein und die
Zivilgesellschaft blieb draußen.
Europaabgeordnete werden informiert, dürfen aber über
die Papiere nicht reden, beklagte Martin Häusling. Intransparenz macht
verdächtig und ist zumindest „unklug“, wie der grüne Fraktionsvorsitzende Toni
Hofreiter sagte.
Wer ernährt uns in der Zukunft?
Das TTIP fällt genau in den Keil, der zwischen europäischer und industrieller Landwirtschaft in Europa und Deutschland gezogen wird. Wenige ganz große US-Betriebe stehen den noch meist kleinen europäischen Agrarbetrieben gegenüber [1]. Vom TTIP werden nur die großen Betriebe profitieren können. Diese Furcht gibt es auch in den USA. Karen Hansen-Kuhn vom amerikanischen Institut für Agriculture and Trade Policy fürchtet, dass die seit einigen Jahren in Schwung gekommene Bewegung für eine lokale Ernährung durch das TTIP abgewürgt wird. Der US-Bundesstaat Maine hat als als erster eine verbindliche Etikettierung für GVO-Freiheit passieren lassen, weitere 21 Staaten haben sie in der Planung. 20 US-Bundesstaaten sind auch dabei, Bisphenol A für Babyflaschen zu verbieten. Ob diese Erfolge der Bevölkerung das Abkommen überleben, bleibt offen. In Los Angeles hat sich mit dem LA Food Policy Council 2011 unter Federführung des Bürgermeisters ein kommunales Bündnis mit Non-Profit-Organisationen für eine Bereitstellung einer lokalen und gesunden Ernährungsbasis gegründet [2]. Sowohl die USA als auch die EU kritisieren für das TTIP solche „lokale Hindernisse für den Handel“, führt Hansen-Kuhn aus. Am Ende fürchtet die Opposition den Verlust des Zugriffs auf die eigene Nahrungsmittelproduktion.
Vorbild oder Zeitenwende?
TTIP wird wegen seiner Größe Auswirkungen auf den Welthandel haben. Ob es Bahn bricht für weltweite „Investor-Staat-Klagen“, obwohl nach Pia Eberhardt einige Staaten schon wieder einen Ausweg aus vergleichbaren Investitionsschutzabkommen suchen, oder ein Vorbild für einen fairen Handel wird, wie es sich Arnd Spahn wünscht, bleibt offen. Thema für die Europawahl wird es auf jeden Fall.
Lesestoff:
Die Studie finden Sie unter www.martin-haeusling.de
[1] Die meisten US-Farmen brauchen ein Nebeneinkommen
EU-Handelsausschuss beklagt mangelnde Transparenz
US-Landwirtschaft: Was genau kennen wir?
Roland Krieg; Grafik: Titelbild der Studie