Türkei: Wirtschaft ist keine Politik

Handel

Erdogan fehlt eine Wirtschaftspolitik

Kaum Präsident, steht Recep Tayyip Erdogan unter großem Druck. Aktuell ruft er seine Landsleute im Ausland zum Kauf türkischer Lira mit ihren ausländischen Devisen auf. Der von ihm ausgerufene „nationale Kampf“ gegen den Absturz der Lira entbehrt jeglicher ökonomischer Logik. Am Freitag fiel die türkische Lira auf ihren historischen Tiefstand und verlor weitere 12 Prozent an Wert. Für einen Dollar erhielten Kunden bereits 5,9 Lira. Doch die Türken sind alles andere als gut beraten, wertvolle Devisen in wertlose Lira umzutauschen. Türkische Kaufleute sind Händler par exellance und daher eher glücklich über ihre Auslandskonten.

Währungsturbulenzen sind überwiegnd politisch verursacht. Mit der wachsenden Einflussnahme Erdogans auf die türkische Zentralbank steigt die Skepsis ausländischer Kreditgeber. Die Drohungen von Donald Trump wegen des in der Türkei festgesetzten Klerikalen Andrew Brunson verschärft die Abwärtsspirale. Investoren sperren Kredite, halten sich zurück, die Lira fällt.

Kommen die Folgen vordergründig politisch daher, liegt ihnen eine strukturellen Hintergrund vor. Viele Türken haben in der Niedrigzinsphase in Europa Geld für den Hausbau oder Gründung eines Geschäftes aufgenommen. Die Raten werden jetzt teurer. Die Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie hat erheblich investiert und steht jetzt einem dramtischen Wechelkursgefälle gegenüber. Die Lebensmittelausfuhren im letzten Jahr hatten 16,7 Milliarden US-Dollar auf türkische Konten gespült. Allein Haselnüsse wurden für 1,1 Millionen US-Dollar ausgeführt. Mit 6,1 Prozent Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt ist der Sektor bedeutend. Und die Türkei hat sich in den letzten Jahren vermmehrt nach Europa und Russland ausgerichtet [1].

Für die Importeure werden Nüsse und Co. jetzt preiswerter – aber zum Schaden der Türkei. Die Exporteure verdienen weniger und können sich eine weitere Modernisierung des Agrarsektors nicht mehr leisten. Landmaschinen werden teurer. Aus diesem Sektor hat Deutschland im letzten Jahr Waren für 78,4 Millionen US-Dollar an die Türkei verkauft. Maschinen für die Lebensmittelverarbeitung wurden im Wert von 136,1 Millionen US-Dollar über den Bosporus verkauft.

Gefahr besteht nicht nur für den Agrarsektor. Mitte Juni hat das Land eine erste Ausschreibung für seinen ersten Offshore-Windpark gestartet. In der Nähe von Gallipoli ist ein Windpark in den Dardanellen mit einer Leistung von 1.200 MW geplant. Für 60 Prozent der Arbeiten werden inländische Investoren gesucht. Das Land baut seine Windkraft aus. Auf Land sind nach Germany Trade & Invest (gtai) in diesem Jahr bereits 7.013 MW installiert.

Wirtschaftsexperten sehen die türkische Wirtschaft in einer labilen Verfassung. Erdogan hat vor der Präsidentschaftswahl am 24. Juni auf ein hohes Wachstum durch staatliche Ausgabenpolitik gesetzt. Das hat unter anderem zu einem erheblichen Bilanzdefizit in Höhe von 57 Milliarden US-Dollar geführt. Die Auslandsschulden betragen 450 Milliarden US-Dollar, darunter gehören 225 Milliarden US-Dollar dem privaten Sektor. Große Firmen haben bereits Umschuldungsverinbarungen getroffen. Inlandskredite werden mit 20 bis 24 Prozent Zinsen vergeben.

Ankara kommt um eine Reform der Wirtschaft, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Institutionen nicht herum. Die Rufe nach dem IWF werden lauter. Die Einwilligung könnte Erdogan aber geschwundenes Vertrauen zurückbringen, weil die Gelder an Reformen geknüpft sind. gtai-Experten befürchten aber, dass der „Wirtschaftspatrionismus mit nationalistischen Parolen und Schutzmaßnahmen für die lokale Industrie“ fortgesetzt werde. Ein Abschwung in der zweiten Jahreshälfte scheint unumgänglich.

Lesestoff:

[1] Freier Export nach Russland: https://herd-und-hof.de/handel-/tuerkei-zwischen-handel-und-politik.html

Obst und Gemüseexport nach Deutschland mit hoher Wertschöpfung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/deutschland-wichtig-fuer-tuerkische-frischeexporte.html

Roland Krieg

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