Umsetzung der SDG in Deutschland

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Weltnachhaltigkeitsziele in die Realität umsetzen

Mit der Fortschreibung der Millenniumsentwicklungsziele als Sustainable Development Goals (SDG) im September in New York ist die Welt in eine neue Ära der Nachhaltigkeit gestartet. Anhand von 17 verbindlichen Zielen sollen von der Armutsreduzierung über die Energieversorgung bis zur Bioökonomie die globalen Herausforderungen im Nachhaltigkeitsdreieck Ökonomie, soziale Aspekte und Ökologie gemeistert werden [1].

Dazu müssen die Ziele national angepasst werden. Den Startschuss hat die Bundesregierung am Donnerstag mit der Konferenz „Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie“ in Berlin gegeben, der regionale Konferenzen folgen werden.

Was der Flüchtlingsstrom erzählt

Bundesminister Peter Altmaier und Chef des Bundeskanzleramtes bezeichnete die Flüchtlingssituation nicht nur als humanitären Imperativ, sondern auch als Visualisierung, wo die Nachhaltigkeit in allen Formen gescheitert ist. Den Exodus vermeiden hieße die Nachhaltigkeit in den Herkunftsländern herstellen und Stabilität und Frieden sichern. Dabei ist es egal, wo die Menschen herkommen – die Nachhaltigkeit müsse als universelles Gesetz betrachtet werden und der Umgang mit den Flüchtlingen werde der Gradmesser, wie ernst die Nachhaltigkeit umgesetzt werde.

So will die Bundesrepublik ihre eigene Nachhaltigkeitsstrategie neu justieren und mit der Gesellschaft darüber in einen Dialog treten.

Nicht bei null anfangen

Altmaier verweist auf die vielen bereits bestehenden Projekte, auf denen aufgesetzt werden kann. Für Rita Schwarzelühr-Sutter, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, liegt der Charme der SDG in der Aufgabenstellung für die Industrieländer. Staatssekretär Friedrich Kitschelt aus dem Bundesentwicklungsministerium will die Nachhaltigkeit zum „Grundprinzip des Denkens“ machen. Gerade weil die SDG völkerrechtlich nicht verbindlich sind, müsse Vertrauen in den Umsetzungsprozess gelegt werden, erklärte Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung: „Wir müssen uns anders verändern als die Entwicklungsländer.“ Wenn das rüber komme, dann ziehen alle mit.

Neue Politik

„Eine Außen-Innen-Differenzierung verschwimme vor der SDG-Weltinnenpolitik“, beschrieb Kitschelt die neuen Anforderungen an die Politik, die nicht allein mit einer Kohärenz der Ressorts auskommen wird. Die Verbraucher machten es vor: Sie schauen bei einem nachhaltigen Konsum auch auf Effekte in anderen Ländern, so dass die moderne Entwicklungspolitik „immer eine nach innen gerichtete Perspektive“ aufweise. „Verantwortungspolitik“ nannte Kitschelt das.

Neue Fundamente

Was bis dahin nach „add ons“ für bestehende Nachhaltigkeit und „bunten Bildchen“ im Politikkatalog klang, brachten neben Dr. Klaus Töpfer Dr. Ernst Ulrich Weizsäcker vom Club of Rome und Dr. Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut auf die Realitätsebene.

„Billig ist fast immer Rosstäuscherei“, unterstrich Weizsäcker. So lange Rohstoffe billig bleiben und die Kosten externalisiert werden, ist es immer leichter, Abfall zu produzieren. Der Club of Rome arbeite an einem neuen Bericht, der die Knappheitsfrage und Kapitalismusfrage stellen wird. Seit dem Wegfall des Sozialismus seien die Monopole arrogant geworden und beherrschten die Finanzmärkte die Parlamente.

Für Dr. Schneidewind geht es um Fundamente und Paradigmen der Gesellschaft. Um soziale Aspekte und ökologische Effekte zu erzielen, müsse die Wirtschaft auch Ineffizienzen in Kauf nehmen. Diese grundlegende Debatte vollziehe sich gerade über das Freihandelsabkommen TTIP. Die Frage dahinter stellte Töpfer: „Können wir Wandel?“ Frühere Revolutionen haben einen fixen Zustand in einen anderen fixen Zustand überführt. Die Nachhaltigkeit hingegen erfordere dynamische Zustände. So müsse der Abgasskandal keine „wahren Abgaswerte“ hervorbringen, sondern den Wandel zur Elektromobilität beschleunigen. Die Vereinten Nationen stammen aus Zeiten der Blockbildung und sind bei den Sicherheitsfragen in der arabischen Welt scheinbar überfragt. Und, so Töpfer: Wer 200 Milliarden Euro Exportüberschuss für die deutsche Wirtschaft feiert, der muss auch bedenken, dass diese Zahl woanders als Defizit auftaucht.

Nachhaltigkeit umsetzen

Die Frage nach der Umsetzung der Nachhaltigkeit bleibt spannend. So hat Schleswig-Holstein beim SDG-Ziel „Energie für alle“ mit dem Anschluss der Offshore-Windenergieanlagen und der Kabelverbindung zu norwegischen Wasserspeichern einen ganz anderen Ansatz als eine ländliche Region in Afrika, die mit Hilfe von Sonnenlicht Kühllager für die Ernte betreiben will.

Hat das eine mit dem anderen zu tun? Die Annäherung an die Umsetzung der SDG fordert das Ressortdenken heraus, wie einer der Workshops herausstellen konnte. Die Schaffung eines „Ausschusses“ ersetzt nach Staatssekretär Thomas Rachel aus dem Bundesforschungsministerium nicht das fehlende Grundbewusstsein. Auch der Begriff „Querschnittsfunktion“ bietet Versteckmöglichkeiten.

Nachhaltigkeit müsse Chefsache sein, also angesiedelt beim Kanzleramt, bei den Ministerpräsidenten auf Länderebene bis hin zu den Bürgermeistern. Priska Hinz, Landwirtschaftsministerin in Hessen, bestätigt zwar die Sinnhaftigkeit dieses Ansatze, aber auch die Notwendigkeit, die Aufgabe namhaft in einem Ressort unterzubringen – sonst passiere zu wenig.

Meist wird die Aufgabe den Umweltressorts zugeordnet – und bleibt daher ständig unter „Umweltverdacht“. Sie wird nicht nur den „Gutmenschen“ zugeschustert, sondern tritt auch als lästiger Konkurrent für die Wirtschaft, Finanzen oder das Agrarministerium auf. Lösung offen.

Unstrittig müssen die Kommunen finanziell und personell ertüchtigt werden, um Nachhaltigkeit umsetzen zu können. Als Schnittstelle könne eine Bund-Länder-Gruppe Themen und Verantwortlichkeiten verteilen. Laut Bundesforschungsministerium soll das Thema bis 2017 in die Lehrpläne geschrieben werden. Als eigenständiges Fach oder fachbegleitendes Thema.

Damit sind die Nachhaltigkeitsfragen außerhalb der staatlichen Stellen noch nicht eingebunden. Dr. Wolfgang Große Entrup vom Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft (econsense) unterstreicht, dass das Thema in den Firmen großen Druck erzeugt. Jeder ist mit Nachhaltigkeitsberichten dabei, sein Image nach außen darzustellen. Zudem sorgen Kostenfragen wie Konferenzen, die jetzt über Telekommunikation abgehalten werden können, für innovativen Schub. Firmen, die im Ausland investieren, nehmen heimische Standards mit. Offen sind Kontrollen und Leitindikatoren.

Priska Hinz schlägt Plattformen vor, auf denen sich die Akteure vernetzen und Best Practise-Beispiele austauschen können.

Nachhaltigkeit in Grundgesetz

Marlehn Thieme fordert die Aufnahme der Nachhaltigkeit in das Grundgesetz und fand Unterstützung bei Tanja Gönner aus dem Vorstand der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ): Dort seien schon viele Staatsziele aufgenommen worden, aber das wichtigste fehle noch. Sie mahnte aber, dass die Aufnahme erst „ein Zehntel der Miete“ sein werde – was jedoch ein „wichtiges Signal an die Bevölkerung sei“, ergänzte Dr. Klaus Töpfer.

Drei Standbeine

Die drei Ziele der Nachhaltigkeitsdebatte bekamen auf der Berliner Auftakttagung von Schneidewind und Weizsäcker drei neue Namen für die Frage, was Nachhaltigkeit konkret beinhalte: Dekarbonisierung der Wirtschaft, Suffizienzpolitik [2] und transformative Wissenschaft. Letztere ist die Wissenschaft der Umbauprozesse. Von Weizsäcker kritisiert die heutige Wissenschaft als zu disziplinär, mathematisch und wirklichkeitsfern.

Was auf der Auftaktveranstaltung in den Workshops zusammengetragen wurde und wo die nächsten Regionalforen sind, finden Sie auf www.dialog-nachhaltigkeit.de

Lesestoff:

[1] Staaten einigen sich auf Weltzukunftsvertrag

[2] Mit der Suffizienz wird der möglichst geringe Rohstoffverbrauch für ein wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen verstanden. Die Suffizienzstrategie setzt der Ökonomie ökologische und sozialverträgliche Grenzen.

Roland Krieg

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