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Die nächsten drei Jahre entscheiden
Der Weltklimarat hat am Montag einen erneuten Warnruf an die Welt gerichtet. Die Treibhausgasemissionen waren in dem Jahrzehnt von 2010 bis 2019 die höchsten jemals gemessen. Die Zunahme verlangsamt sich seitdem, aber es hätte eine Senkung bedurft. Die Kosten für Solar- und Windenergie sind seit 20110 um 85 Prozent gesunken, Die Politik hat verschiedene Energieeffizienz-Programme implementiert und der Ausbau der erneuerbaren Energien steigt.
Doch reicht es nicht, denn die Zeit wird immer knapper. Um das 1,5-Grad Ziel der Pariser Klimaverträge zu erreichen bleiben an der aktuellen Kreuzung der Energiegabelung nur noch drei Jahre Zeit, das Klimaziel auch zu erreichen. Der Höchstwert an Treibhausgasemissionen muss vor 2025 überschritte sein, um die Emissionen bis 2030 um 43 Prozent zu reduzieren.
Der Erwärmungsgrad von maximal 1,5 Grad könnte dennoch überschritten werden, aber bis zum Ende des Jahrhunderts wieder eingefangen werden. „Jetzt oder nie“, betonte Jim Skea, Vorsitzender der dritten Arbeitsgruppe im Weltklimarat am Montag in Genf. Die Technik ist in allen Bereichen der Wirtschaft vorhanden. Die Land- und Forstwirtschaft kann einen Großteil des Kohlenstoff in den Boden überführen, aber nicht die überbordende Menge aus anderen Wirtschaftsbereichen. Ohne technische Lösungen komme die Welt nicht mehr aus. Kohlenstoff muss aktiv aus der Atmosphäre geholt und gespeichert oder genutzt werden.
Es ist auch ausreichend Kapital für die erneuerbaren Energien vorhanden.
Wind an Land
Deutschland muss sich nicht nur wegen des Klimas mehr bewegen, sondern seine Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren. Wind an land ist eine der Optionen. So haben Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Montag eine Einigung beim Windausbau an Land erzielt. Ziel ist es, unter Wahrung hoher und europarechtlich gebotener ökologischer Schutzstandards Windenergieanlagen zügig und rechtssicher zu genehmigen.
Dafür haben die beiden grün geführten Ministerien ein Eckpunktepapier verabschiedet. Robert Habeck sagt: „In Deutschland gelten zukünftig klare und verbindliche Regeln für den Artenschutz beim Windausbau. Jetzt ist der Weg frei für mehr Windenergie-Flächen an Land. Auf diese Einigung haben viele zu lange warten müssen: Windmühlenbauer, Energieunternehmen, Länder & Kommunen. Und sie ist gerade heute so wichtig, wo wir uns zügiger denn je aus der Klammer von Öl- und Gas-Importen befreien müssen und uns der aktuelle Weltklimabericht die Dringlichkeit beim Klimaschutz wieder deutlich vor Augen führt.“
Steffi Lemke ergänzt: „Wir ermöglichen effiziente und rechtssichere Planungsverfahren und richten ein Artenhilfsprogramm zur Stärkung des Naturschutzes ein. Als nächsten Schritt werden wir jetzt zügig den im Koalitionsvertrag vereinbarten Pakt mit den Ländern umsetzen, um die Behörden vor Ort besser mit Personal und technischer Infrastruktur auszustatten.“
Der Suchraum für geeignete Standorte wird erweitert, es gibt es bundeseinheitliche Standards für Prüfung und Bewertung, bei der auch das Kollisionsrisiko mit gefährdeten Vogelarten berücksichtigt werden. Es gibt Tabubereiche zu Brutplätzen und ansonsten keine weiteren Prüfpflichten mehr. Damit wird nicht nur der Bau erleichtert, sondern auch das Repowering.
DUH ist skeptisch
Sascha Müller-Kraenner vom der Deutschen Umwelthilfe ist skeptisch: „Der Ausbau der Windenergie muss dringend beschleunigt werden, um die Energiewende voranzubringen. Es liegt aber nicht am Artenschutz, sondern an unsinnigen Abstandsregeln und bürokratischen Schikanen, dass der Windenergieausbau in Deutschland massiv ins Stocken geraten ist. Es ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, dass die neue Bundesregierung heute einheitliche Regeln für die Anwendung des Artenschutzrechtes beim Bau von Windkraftanlagen vorgeschlagen hat. Diese enthalten jedoch gravierende handwerkliche Fehler und dürfen nun nicht überstürzt durchs Parlament gepeitscht werden. Vor allem die Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen in anderen Bundesländern als dort, wo die Windkraftanlage errichtet wird, ist europarechtlich fragwürdig. Auch Zugvogelarten und Fledermäuse müssen bei Artenschutzauflagen berücksichtigt werden.“
Fachlich wird nachgebessert
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) will zusammen mit dem Bundesverband WindEnergie (BWE) fachlich noch nachbessern. Beide hatten seit Jahren eine abschließende Liste kollisionsgefährdeter Arten eingefordert. Die Beschränkung von Abweichungsbefugnissen und Ermessensspielräumen kann einen wichtigen Beitrag zur Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus leisten, sagte BEE-Präsidentin Simone Peter. „Neue Tabubereiche, zusätzliche Prüfbereiche oder gegriffene Zumutbarkeitsschwellen für Abschaltungen lehnen wir ab. Gerade bei Abschaltungen sollte eigentlich gefragt werden: in welchem Umfang sind diese artenschutzrechtlich tatsächlich erforderlich, wie stark sinkt dadurch der Stromertrag und erhöht damit den Flächenbedarf und den nötigen Zubau. Kapazitäten, die zwar gebaut, dann aber abgeschaltet sind, leisten keinen Beitrag für die Energiewende und tragen nicht zur Akzeptanz der Anlagen vor Ort bei“, erläutert BWE-Chef Hermann Albers.
Das Ziel vor Augen
Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing vom Verband Kommunaler Unternehmen ist zufrieden: „Die Vorschläge, die derzeit auf dem Tisch liegen, können tatsächlich ein Durchbruch sein, um das 2 Prozent-Flächen-Ziel für den Ausbau der Windkraft an Land zu schaffen. Um den Knoten vollständig zu lösen, braucht es noch Antworten auf offene Fragen und es wird auf die Umsetzung ankommen. Hier sind vor allem die Planungsbehörden gefordert. Die Kommunalwirtschaft wartet seit Jahren auf rechtssichere Planungsgrundlagen für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Stadtwerke und kommunale Unternehmen stehen bereit, um in eine klimaneutrale Energieversorgung zu investieren.“
Wind auch im Wald
Max v. Elverfeldt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst, fordert auch den Ausbau der Windkraft im Wald. „Gerade Kahlflächen können sich besonders für Windenergie eignen, ohne das Ökosystem Wald zu stark zu beeinträchtigen.“ Zudem kann die Windkraft den Land- und Forstwirten ein zusätzliches Einkommen bescheren.
SH hat die Nase vorn
Energiestaatssekretär Tobias Goldschmidt in Schleswig-Holstein kommentiert: „Das, was der Bund zur Vereinbarkeit von Windkraftausbau und Artenschutz vorschlägt, haben wir in Schleswig-Holstein zu Teilen schon geschafft: Die Definition von Räumen, die vorrangig der Gewinnung von Windenergie dienen und Räumen, in denen der Artenschutz den Schwerpunkt bildet. Auf diese Weise kann die Windkraft im Land effizient und rechtssicher ausgebaut werden, ohne dass dabei der Natur- und Artenschutz vernachlässigt wird. Der Erfolg gibt uns Recht, denn von den bundesweiten Ausschreibungen gehen überproportional viele Zuschläge nach Schleswig-Holstein.“
„Kein großer Wurf für besseren Artenschutz“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht in dem keinen großen Wurf für den Artenschutz. „Erneut wird der Schutz für bedrohte Tierarten als Begründung für zu langsame Verfahren missbraucht“, sagt der Vorsitzende Olaf Bandt. „Die Geschwindigkeit, mit der jetzt für den Artenschutz gesetzliche Änderungen beschlossen werden sollen, brauchen wir stattdessen für die eigentlichen Baustellen der naturverträglichen Energiewende: wie etwa die Solarpflicht auf Dächern und Parkplätzen, verbindliche Vorgaben zum Energiesparen und einen gesetzlichen Rahmen.“
Kein kurzfristiger Verzicht auf Russengas
Das weltweit tätige Managementunternehmen Horváth aus Stuttgart für Transformation sieht keine kurzfristigen Möglichkeiten, auf russisches gas zu verzichten. Der mögliche Termin Mitte 2024 sei realisierbar. „Bei dieser Entscheidung dürfte auch das Risiko einer Liquiditätskrise von Versorgern und Stadtwerken eine Rolle spielen, das im Falle eines Gasboykotts akut wäre. Größere Gasvorlieferanten in Deutschland wie RWE, Uniper oder VNG stehen vertraglich in der Lieferpflicht – mit hohen Liquiditätsforderungen aufgrund von Mengen und Preisrisiken. Diese haben sich zum größten Teil von der Bundesregierung bereits zusätzliche Kreditlinien genehmigen lassen. „Eine mögliche Liquiditätskrise von größeren Gasvorlieferanten in der Energieversorgung würde sich auf alle EVUs und Stadtwerke ausweiten“, so Matthias Deeg, Energieexperte der Managementberatung Horváth. „Wenn etwa die Lieferverpflichtungen für die Vorlieferanten nicht mehr gelten würden aufgrund von ,höherer Gewalt‘, hätte dies zur Folge, dass Versorger und Stadtwerke selbst in eine existenzielle Liquiditätskrise rutschen können.“
Mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Erdgases von jährlich 86,5 Milliarden Kubikmetern stammt aus Russlandimporten. In Summe importiert die Bundesregierung mehr Erdgas als alle anderen europäischen Länder aus Russland und angeschlossenen Förderregionen. Über alle europäischen Staaten hinweg liegt der Anteil der russischen Importe bei 36 Prozent im Mittel der letzten Jahre. Aktuell stammen 41 Prozent des in Europa verbrauchten Erdgases aus eigener Produktion, was einem Volumen von fast 220 Milliarden Kubikmetern entspricht. Nach Berechnung des Energie-Consultant-Startup evety und Horváth kann diese Menge kurzfristig um höchstens 13 Prozent auf etwa 248 Milliarden Kubikmeter gesteigert werden. Bei den Pipeline-Importen aus Afrika ist der Analyse zufolge eine bis zu 55-prozentige Steigerung der Bezugsmenge möglich. Durch Zusatzlieferungen aus den afrikanischen Staaten könnten insgesamt 39 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Pipelines nach Europa transportiert werden.
Im Bereich der Flüssiggasimporte ist es der Analyse zufolge möglich, durch eine Auslastungssteigerung der LNG-Terminals – also Häfen, in denen “Liquefied Natural Gas“ umgeschlagen wird – die Bezugsmengen von 115 Milliarden Kubikmetern Flüssiggas auf etwa 182 Milliarden Kubikmeter zu erhöhen. Das entspricht einer 58-prozentigen Steigerung. Bestehende Terminals müssten dazu von der aktuell unter 50-prozentigen Auslastung auf 90 Prozent getrimmt werden. Deutschland verfügt bislang über kein einziges LNG-Terminal. Die Bundesregierung plant den Bau von zwei Flüssiggas-Häfen, mit deren Fertigstellung vor wenigen Monaten nicht vor 2026 zu rechnen war. Derzeit wird jedoch intensiv geprüft, ob eine frühere Fertigstellung des Standorts in Wilhelmshaven beschleunigt werden kann.
Erdgas könne in Deutschland weder kurz- noch mittelfristig ohne weiteres durch Wasserstoff und erneuerbare Energien ersetzt werden. Zu 80 Prozent wird das hier verbrauchte Erdgas zur Wärmeerzeugung verwendet, konkret für Gebäudebeheizung, Industrieprozesse und den Betrieb erdgasbasierter KWK-Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung) zur Wärmegewinnung. Die übrigen 20 Prozent entfallen auf die Stromerzeugung durch KWK-Anlagen.
Die Analyse aber zeigt auch, dass in den abgeregelten erneuerbaren Energien ein Potenzial steckt. Der Überschuss wird zum Teil preisgünstig exportiert. Diese „Überproduktion wird von heute fünf auf 50 Prozent im Jahr 2030 steigen. Dieses Potenzial kann durch Elektrolyseure sinnvoll zur Produktion von Wasserstoff und damit zur Substitution von Erdgas genutzt werden.
Lesestoff:
Hier geht es zum Eckpunktepapier: www.bmuv.de/DL2876
roRo, VLE
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