Unternehmen Entwicklungshilfe
Handel
Verzahnung Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik
Der dritte Außenwirtschaftstag in Berlin dient im
Besonderen dem Ausloten von Exportmärkten. Unternehmen können sich in Fachforen
über einzelne Länder informieren. Welche Marktchancen gibt es, welche
Besonderheiten gibt es beim Zoll oder ist es besser, das Geschäft mit lokalen
Partner aufzusetzen?
Da der Binnenmarkt gesättigt ist und im Ausland die
Gewinnmargen höher sind steht die Agrar- und Ernährungsindustrie zu 25 Prozent
auf Exportfüßen.
Doch in diesem Jahr wurde deutlich, dass Wirtschaft und
Entwicklungspolitik enger verzahnt sind denn je.
Kontaktnetzwerke
Deutschland hat 250 Auslandsvertretungen und in 16
Ländern wie Brasilien, China, Russland und den USA auch eigene Agrarattachés.
„Die Lebensmittelexporte sind die Visitenkarten unseres Landes“, sagte Cornelia
Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Deutschland könne mit „Bier,
Sauerkraut und Bratwurst“ wuchern. Viele Spezialitäten aber, wie der Riesling
oder Vollkornbrot, stehen oft nicht in ausreichender Menge zur Verfügung,
Auslandsmärkte zu durchdringen. Andere Länder hingegen schafften das. „Daran
können wir arbeiten“, so Pieper.
Die Außenstellen der deutschen Wirtschaft in den
Botschaften bilden das Kontaktnetzwerk, über das zusammen mit
Messepräsentationen der Markt für die Firmen bereitet wird. In den letzten fünf
Jahren ist der Agrarhandel jährlich zweistellig angewachsen und nach Dr. Gerd
Müller, Exportbeauftragter im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV), weist
das erste Quartal 2012 bereits ein Auftragsplus von 12 Prozent auf. Immer
wichtiger wird der Export in Drittstaaten. 80 Prozent des Handels bleibt
innerhalb der EU, bei den Drittstaaten wurde ein Plus von 27 Prozent
verzeichnet. Grundlage des Agrarhandels ist eine starke Ernährungsbranche. Und
offene Märkte.
Jürgen Abraham, Vorsitzender der Bundesvereinigung der
Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), sieht wachsenden Wohlstand infolge der
Globalisierung. „Eine Schale Reis am Tag“ reicht den Menschen nicht mehr. Sind
die Basisbedürfnisse gedeckt, entwickeln die Menschen Sehnsüchte nach mehr,
ergänzt Dr. David Bosshart, Geschäftsführer des Gottlieb Duttweiler Instituts
in der Schweiz. Shopping hat
globalen Charakter erreicht: „Spent ´til the end, buy until you die!“ Oft
müsse sich die Konsumtiefe noch entwickeln, wie in China, aber überall bilden
sich konsumfreudige Mittelschichten. Auf die baut Abraham: Wir können unsere
Produkte dorthin verkaufen, sagte er. Daher blicke die Branche optimistisch in
die Zukunft und vertraut der Politik, Handelshemmnisse abzubauen.
Der kleinteiligen Wirtschaft erteilt Abraham dabei eine
Absage: Die kleinbäuerliche Landwirtschaft werde keine neun Milliarden Menschen
ernähren. Vor allem müsse man den Verbrauchern, die gegenüber der Ernährungsindustrie
skeptisch eingestellt sind, erklären, wie Lebensmittel in großen Mengen
hergestellt werden. Die Branche habe hier Versäumnisse aufzuholen.
Entwicklungshilfe
Entwicklungshilfe ist mehr als der Bau eines Brunnens.
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass Entwicklungshilfe personell und
finanziell die Armut weltweit nicht überwunden hat. Die Pariser Erklärung1)
wurde initiiert, um der Entwicklungshilfe mehr Effizienz zu geben. In den
letzten Jahren wurden neben schlechten Bodenverhältnissen, fehlender
Landzuteilung und geringer Mechanisierung auch andere Parameter identifiziert,
die für Armut und Hunger verantwortlich sind. An erster Stelle steht die lokale
Regierungsführung. „Good Governance“ gilt als Voraussetzung, einen Rechtsrahmen
einzurichten, der das Recht auf Nahrung umsetzt, Bildungschancen gewährt und
Betriebsmittel zur Verfügung stellt. Hier bewegen sich die klassische
Entwicklungshilfe, Wirtschaftspolitik, Landwirtschaft und Außenpolitik
aufeinander zu.
Die jetzige Bundesregierung bringt die Ansätze
interministeriell zusammen. Das Strategiepapier des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ)2) folgt dem Ansatz „Aid for
Trade“. Gerade bei kleinen Binnenmärkten würden durch den Ausbau von
Verkehrskorridoren und Vereinfachung von Grenzformalitäten verschiedene
Regionen wirtschaftlich integriert. Das führe zu neuen Absatzmärkten und
arbeitsteiliger Wertschöpfung.
Auf dem Außenwirtschaftstag wurde die Durchdringung
deutlich. Cornelia Pieper spricht von einer engen Verzahnung zwischen Unternehmen
und Entwicklungspolitik, spricht mit Blick auf den BVE von einem guten Beispiel
einer public-private-partnership. Intern gibt es im Auswärtigen Amt sogar einen
Runderlaß zum Thema.
Schon längst sitzt die Privatwirtschaft mit Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner auf dem Podium, wie die Firma Claas im
letzten Jahr bei der Pressekonferenz „Recht auf Nahrung“3) und setzt
Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel auf finanzielle und personelle
Kooperation wie mit der Gates Stiftung4).
Vielleicht hat das BMELV noch die agrarische Kompetenz,
aber die Aufgaben zwischen Wirtschafts- und Entwicklungsministerium, zwischen
Agrarhilfe für Kleinbauern und Konzernhilfe verschwinden immer mehr.
Handel ist längst zum Teil der Lösung geworden, wie die
Internationale Agrarministerkonferenz auf der diesjährigen Grünen Woche
darlegte5).
Differenzierter Blick
Auf dem Außenwirtschaftstag nahm Dr. Müller die Kritik
an der neuen Wirtschaftsausrichtung der Entwicklungshilfe auf: „Die alten
Broschüren von vor zehn Jahren müssen umgeschrieben werden!“ Deutschland wolle
nicht dorthin exportieren, wo die einheimische Produktion verdrängt werde. Das
Verhältnis zwischen Export und Import bei den Drittstaaten liege bei 1:3, so
Dr. Müller. Es gehe auch darum, neue Chancen zu erkennen. So könne der
Arabische Frühling wirtschaftlich genutzt werden.
Zahlenmäßig unterstützt ihn Jürgen Abraham. Von den 50
Milliarden Euro Exporteinnahmen kommen 80 Prozent aus der EU. Der Handel mit Ländern
wie Russland und die USA erziele rund sechs Milliarden und für die wirklichen
Entwicklungsländer bleibt ein Restvolumen von vier Milliarden Euro.
In der Tat zielt vieles auf Länder ab, die handelspolitisch
mit Deutschland oder der EU auf Augenhöhe verhandeln können.
So bietet das Deutsch-Ukrainische Agrarzentrum (DAZ)
auf der Basis der beruflichen Fortbildung ein Aus- und Weiterbildungskonzept an,
wie es in Deutschland die Deula-Schulen für die Bauern organisieren. Fachthemen
spezialisieren das Wissen für den Alltag. In Marokko plant Deutschland einen
Demonstrationsbetrieb für Rinderzucht und Ackerbau
Die aktuellen Exportoffensiven beispielsweise der
Schweinefleischindustrie orientieren sich in die Ukraine und nach Südkorea6).
Social Business
Die Privatwirtschaft rückt bei dem Paradigmenwechsel in den Vordergrund. Auch hier müssen die Broschüren neu geschrieben werden. Die Kritik der letzten Jahrzehnte beginnt sich niederzuschlagen: Längst hat die OECD Leitlinien für einen fairen Handel entwickelt. Die Großindustrie wie beispielsweise Danone arbeitet mit Vorzeigemodellen wie der Grameen Bank zur Überwindung von Armut zusammen. Hier werden jenseits von Gewinnmaximierung Überschüsse zur Überwindung von sozialen und Umweltproblemen eingesetzt. Ein Modell, das auch schon Eingang in die Lehre findet. Die European Business School in Wiesbaden bietet den Stiftungslehrgang „Social Business“ an.
Differenzierte Welt
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erkenntnis, was
Entwicklungshilfe ist, stark gewandelt. Die Integration der Privatwirtschaft
ist eigentlich kein neuer Weg, denn vor Ort haben Firmen schon immer mit
Sachmitteln ausgeholfen. Wohltätigkeit ist auch kein neues Prinzip. Die Erkenntnis
aber, dass in den letzten Jahrzehnten die Entwicklungshilfe kaum große
Entwicklungssprünge ausgelöst hat, rechtfertigt neue Wege. Und neu ist ja auch
nur das offene Bekenntnis dazu.
Trotzdem ist die Betonung der Außenwirtschaft kein
Allheilmittel und darf die Bedürftigsten und deren Nöte nicht verdrängen.
Außenhandel zur Entwicklung mit den aufstrebenden Ländern – ja. Soziales
Geschäftsleben mit lokalen Akteuren in den Armutsregionen – ja. Aber es gibt
auch die abgelegenen Regionen, die Recht- und Besitzlosen, die von beiden
Varianten nicht erfasst werden. Denen lokale Handelsbörsen schon Markttransparenz
verschaffen, deren Erträge alleine schon durch einen Zusammenschluss zu
Kooperationen steigen, oder denen einfache Agrartechnik bereits Fortschritte beschert.
In diesem Jahr hat das Worldwatch Institut mit seinem Bericht zur Lage der Welt
positive Beispiele zusammengetragen, wie Entwicklung mit kleinen Schritten
vollzogen werden kann.
Die Region fordert ihr individuelles
Entwicklungsmodell.
Lesestoff:
1) Pariser Erklärung: www.donorplatform.org
2) BMZ, April 2011: Märkte
entwickeln, Wohlstand schaffen, Armut reduzieren, Verantwortung übernehmen –
Die Wirtschaft als Partner der Entwicklungspolitik; www.bmz.de
–> Publikationen -> Reihen -> Strategiepapier
3) Recht auf Nahrung
4) Kooperation BMZ und Gates
Stiftung
5) Agrarminister beschließen
Welthandel
6) Ukraine mit
Schweinefleischdefizit und Korea will deutsches Schweinefleisch
Social Business: www.ebs.edu
Ukraine: www.daz-ukraine.net
Kann Bio die Welt ernähren?
Bericht zur Lage der Welt
Beispiele für privatwirtschaftliches Engagement: Common
Code for the Coffee Community und Cotton made in Africa
Roland Krieg