Vagabundierende Milch senkt den Preis
Handel
Rohstoffmarkt Milch ist schnelllebig
Müslibecher, Milchreis, Quark, Milch mit Frucht, Fruchtjoghurt oder alle Formen von Molkeprodukte: Wellness, Gesundheit und der Wille Neues auszuprobieren, treibt Verbraucher vor das Kühlregal mit Molkereiprodukten. Der Trend zu Frischeprodukte ist weltweit vergleichbar und bindet, so Dr. Monika Wohlfahrt von der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle ZMP auf dem 14. Milchforum in Berlin, „einen höheren Teil des Rohstoffaufkommens“. Neben dem Abbau der Lagerbestände und der wachsenden Weltbevölkerung hat dieser Nachfragetrend zu Verknappung des Rohstoffs Milch und zum Anstieg der Preise im vergangenen Jahr geführt.
Erzeugerpreise werden volatiler
Umgekehrt wird dadurch Rohmilch den Widrigkeiten der Rohstoffmärkte ausgesetzt und der Preis freier durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Der Milchmarkt hat sich vom Verkäufer- zum Käufermarkt, vom Überschuss zum Mangel entwickelt.
Zum einen gab es auf dem ZMP-Forum keine gegenteiligen Signale, dass die Milchquotenregelung der EU als Produktionsgarantie 2015 nicht ausläuft und zum anderen erwartet die OECD einen Anstieg der weltweiten Milcherzeugung um 120 Mio. Tonnen zwischen 2006 und 2016. Aktuell produziert die EU gut 142 Mio. t und die restliche Welt 520 Mio. t Milch.
Die jährlichen Wachstumsraten der Weltmilcherzeugung werden in der EU mit 0,2 Prozent angegeben. Am stärksten wächst die Erzeugung in China und Indien mit 5,0 und 3,3 Prozent. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 1,8 %.
Milch wird in den nächsten Dekaden ein nachgefragter Rohstoff bleiben und preislich auf höherem Niveau als im Sommer 2007. Die hohen Preise haben jedoch bereits Impulse auf der Erzeugerebene hervorgerufen. In den USA stieg die Produktion um vier Prozent und in Frankreich bereits um sieben. Die ZMP verzeichnet bei den Bauern seit April 2007 eine steigende Quotenausnutzung. Der Januar hat diese bereits zu 100 Prozent erfüllt, so dass in den nächsten Monaten mit der Hauptanlieferung von Milch mal wieder eine Superabgabe fällig werden könnte.
Diesen Trends zu höheren Milcherzeugerpreisen stehen senkende Einflussfaktoren gegenüber. Der Verbrauchszuwachs in Europa beträgt rund eine Million Tonnen Milch. Die Erhöhung der Milchquote im kommenden April um zwei Prozent beträgt jedoch absolut 2,8 Mio. t. Das, so Dr. Wohlfahrt übt einen Druck auf die Preise auf.
Die Milch ist trotz aller Versuche auf den Betrieben ein überwiegend saisonales Geschäft. Die Kalbungen fallen im Frühjahr an. Die Milch, die im März und April mehr geliefert wird, gleicht das Augusttief, wenn es deutlich weniger Kälber und Milch gibt, nicht aus. Organisatorisch und wirtschaftlich haben sich keine Lösungen auf den Betrieben durchsetzen können, Milch das ganze Jahr über kontinuierlich anzubieten. Dr. Jakob Stöckl, Geschäftsführender Vorstand der Bayrischen Milchindustrie: „Man kann nicht heute eine Kuh runter fahren und morgen wieder Gas geben.“ So suchen Molkereien ständig nach einem Differenzausgleich für den Sommer. Das wird sich nach Einschätzung des Molkereivertreters auch in Zukunft nicht ändern. So können wieder Läger aus Butter und Milchpulver entstehen. Doch senke die „vagabundierende Milch“ bei den Molkereien das Verwertungspotenzial zu höher veredelten Produkten und übt Druck auf den Rohmilchpreis aus.
Globaler Feinkostladen Europa?
Dr. Stöckl spricht die Milcherzeuger direkt an. Sie wollen von den Molkereien beständig eine volle Milchabrechnung – wenn aber der Absatz nicht vorhanden ist, dann sei diese Forderung eine Illusion. Auch die Molkereien hätten ein Interesse an einer „Milchpreiskontinuität“. Die könnten aber nur diejenigen anbieten, die in ihrer Produktpalette bis hin zu Frischeprodukten breit aufgestellt sind. Wer also nur mit Butter und Milchpulver handelt, wird je nach Marktlage mit den Preisen auch wieder runter gehen müssen.
Für eine weitere Illusion hält es Dr. Stöckl auch, dass manche Marktexperten glauben, mit hochveredelten Molkereiprodukten der Welt einen Feinkostladen Europa anbieten zu können. Das würden die aufstrebenden Wirtschaften selbst übernehmen. Der Blick auf die Zahlen, wo das größte Wachstum ist und wer die Milch am preiswertesten produzieren kann, führt von Europa weg. China und Indien als größte Absatzmärkte liegen in erreichbarer Nähe zu den Ländern, die Milch am günstigsten produzieren können: Asien und Ozeanien.
Das International Farm Comparison Network (IFCN) ist ein Zusammenschluss von Milchwissenschaftlern aus über 70 Ländern. Darunter ist auch die Universität Kiel. Das IFCN hat die Produktionskosten zwischen Ländern und Betrieben in Deutschland verglichen. Der süddeutsche Betrieb mit 30 Kühen produziert 100 kg Milch zu Kosten in Höhe von 42 Euro. Der norddeutsche 80-Kuh-Betrieb bereits für 34 Euro, doch am günstigsten liegt der ostdeutsche Betrieb bei 31 Euro mit 650 Kühen. International wettbewerbsfähig sind die Betriebe allesamt nicht. In Asien und Ozeanien liegen die Produktionskosten bei unter 20 Euro. Und sie sind näher an China und Indien.
Konsumzurückhaltung
Die Milchpreise avancierten im letzten Jahr zum Topthema, so Marktforschungsexpertin Dr. Kerstin Keunecke von der ZMP. Nach einem halben Jahr blickt sie auf die aktuelle Preisentwicklung und stellt fest, dass im Januar 2008 die Butter mit 90 Cent je 250 Gramm-Packung nur knapp über dem Sommerpreis 2007 mit 80 Cent liegt. Die Aufregung ist geringer als beim Preisanstieg.
So sorgen Verbraucher mit ihrer Konsumzurückhaltung selbst für ein weiteres Preis-Regulativ. Der Pressedienst AgE fasst in der 09. Kalenderwoche zusammen: „Der Butterabsatz an die privaten Haushalte verringerte sich gegenüber 2006 um 6,7 Prozent. Im Dezember erholte sich der Verkauf etwas, nachdem der LEH die Butterpreise deutlich gesenkt hatte. Die Nachfrage der privaten Haushalte nach Quark nahm um 4,4 Prozent ab. Bei Käse und Joghurt gingen die Einkaufsmengen moderat um 1,0 und 1,2 % zurück.“
Der Handel reagiert mit Preissenkungen, was für Dr. Keunecke ein Zeichen für die Härte des Wettbewerbs ist.
Langfristige Prognose: Seitdem der Weltmarktpreis für Milch auf dem Niveau der EU liegt, oder zeitweise sogar darüber, werden sich Schwankungen auf die Verbraucherpreise zukünftig stärker bis in den deutschen Einkaufskorb durchschlagen, so Dr. Keunecke.
Insel Biomilch?
Etwa zwei Prozent der in Deutschland produzierten Milch füllt den Biomarkt. Im November lag der Erzeugerpreis für konventionelle Milch bei 36,1 Cent, für die 400 Mio. kg Biomilch bei 50 Cent. Der Biomarkt hat es bei seinen Verbrauchern geschafft, mehr Geld für zusätzliche Leistungen in der ökologischen Produktion bezahlen zu wollen. Vor einigen Jahren musste Biomilch wegen mangelnder Nachfrage zu konventionellen Preisen vermarktet werden. Das hat sich umgekehrt und fast könnten sich beide Märkte getrennt voneinander entwickeln. Aber, so die ZMP, die Probleme der Biobranche sind die gleichen, wie in der konventionellen Milcherzeugung. Futter, Fläche und Energie lassen auch beim Biobauern die Kosten steigen und zehren nach Analyse von Reinhard Schoch die gestiegenen Erzeugerpreise vielfach wieder auf.
Lesestoff:
Die meisten Zahlen des Artikels stammen aus dem ZMP-Sonderdruck „Milchmärkte im Umbruch“. Zu beziehen unter www.zmp.de
Roland Krieg