Verbraucher 2.0

Handel

Der Verbraucher menschelt

Die Zukunft ist weiblich. Nach Zukunftsforscher Georges Roos werden Kaufentscheidungen zu 80 Prozent von Frauen getroffen, die zusätzlich die bessere Bildung und damit den besseren Informationsstand haben. Auf dem 1. Deutschen Verbrauchertag skizzierte Roos den Wandel des Selbstverständnisses: Waren in den 1960er Jahren die gesellschaftlichen Normen noch formgebend die Selbstkontrolle, standen in den 1970 und 80er Jahren mit der Selbst-Verwirklichung die Innen-Orientierung im Vordergrund. Seit den 19090er Jahren beginnen Verbraucher sich selbst zu managen – als Verbindung zwischen Außen- und Innenorientierung. Das Bild vom trägen Rentner wird durch den 60jährgen Snowboarder ersetzt, der Gesundheit und Wellness nicht mehr als Reparatur versteht, sondern als „Selbstpflege“, für die er bereit ist, Geld auszugeben. Verbrauchertransparenz gelangt über das Internet mit seinen Blogs und Foren des Erfahrungsaustausches zu ihm. Der Verbraucher vernetzt sich und reagiert schneller auf und mit Informationen.

Verführt oder verantwortlich?
Auch das Forum des Bundesverbandes der Verbraucherzentrale (vzbv) konnte nicht abschließend festlegen, ob der Verbraucher aufgeklärt und selbstverantwortlich handelt, oder ob er im Konsumdschungel Lug und Betrug des Handels hilflos ausgesetzt ist.
Der frühere Umweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer nahm das Say´sche Theorem der Wirtschaftswissenschaften zur Hilfe, um die Umkehrung der klassischen Wirtschaftstheorie zu erläutern: Ein vorhandenes Angebot generiert seine eigene Nachfrage. In der Werbung, vergleichende Preise zu erlauben, sei ein Beispiel für die Entstehung von neuen Bedürfnissen. „König Kunde hat seine Würde an die Preistreiber abgegeben.“
Trotz aller Beteuerungen der Verbraucher, mehr Geld für soziale und Umweltstandards ausgeben zu wollen, handelt der Kunde im Geschäft genau anders herum, stellte Benedicte Federspiel von der Verbraucherberatung in Dänemark fest. „Das ist enttäuschend.“ Das liege aber daran, dass der Kunde kaum noch versteht, was international im Handel alles passiert. Ein faires Logo sei wieder nicht gleich sozial verträglich und letztlich bleibt dem Kunden nur der Preis als Entscheidungsgrundlage. Und: Wenn ein Produkt nicht schmeckt oder nicht funktioniert, dann nützt ihm ein faires Siegel auch nicht.
Josef Sanktjohanser möchte als Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels und Chef von Rewe gerne vom Preis als Entscheidungsgrundlage weggehen. Aber der Kunde handelt eben gefühlsmäßig, begründet er sein Festhalten am Preis. Neben Bio-Produkten gibt es bereits erste Firmen, die Angaben über den Kohlendioxiderbrauch etikettieren – das ist jedoch insgesamt nur eine kleine Gruppe, die wenig Umsätze generiert. Hier stehe eine neue Entwicklung erst am Anfang.
Dabei hat der Verbraucher in der Tat nur wenig Chancen sich auch wirklich zu informieren. Firmen verstehen es, Arbeitsplätze und Finanzierungen global auszurichten, aber globalisierte Informationen über die Produkte gebe es nicht, beklagte Prof. Dr. Karl-Heinz Fezer von der Universität Konstanz. Für die Umsetzung des Informationsrechts der Verbraucher möchte Fezer die Verbraucherrechte globalisiert haben.

Dem Verbraucher einen Rahmen geben
Eine Schwierigkeit, soziale und Umweltstandards eine weltweite Bedeutung zu gebe, besteht darin, dass die Länder, die sie nicht umsetzen können, es als Handelshemmnis zu werten wissen. Daher können solche Standards nur mit einem Technologietransfer realisiert werden, zeigt Prof. Töpfer einen möglichen Lösungsweg. Zur Zeit werde international aber der Gefährdungsvermeidung bei auftretenden Schaden durch ein Produkt dem Vorsorgeprinzip der Vorzug gegeben. Effektiver sei es, Standards „einzubörsen, als den Firmen gut zuzureden“, so Töpfer.
Sanktjohanser sieht den Handel „mit Sieben-Meilen-Stiefeln“ auf dem richtigen Weg. Nachhaltigkeit sei nicht nur ein Marketinggag, sondern ein Wirtschaftsfaktor geworden und in Einzelverhandlungen gewinnen Standards an Bedeutung. Man erkenn das bereits daran, dass die Preise auf den Beschaffungsmärkten steigen: „Die Nivellierung des Wohlstandes ist im Gange“. Durch die Nachfrage nach Standards steigen bereits die Löhne.
Verbraucher sind aber schwer zu organisieren, weil sie unter Konsumdruck stehen, räumt Töpfer ein. Leichter ist es, Kunden über gemeinsamen Themen wie Umwelt und Gesundheit zu organisieren. Mit diesen Leitfäden gelänge es, Kaufentscheidungen zu beeinflussen. „Der vzbv kann keine gute Politik ersetzen“, ergänzte Federspiel.
Verbraucher sein bedeutet, Aufwand betreiben. Der Verbrauchertag hat den Konsumenten nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Allerdings braucht er einen helfenden Rahmen in Gesellschaft und Politik, seine Wünsche auch realistisch umsetzen zu können.

Labeldschungel, HOT und atmosfair
Dr. Werner Brinkmann, Vorstand der Stiftung Warentest, führt mittlerweile auch Umwelt- und soziale Standards in die Untersuchungen ein. Allerdings sind Aufwände und Zeit genau so umfangreich, wie die Messung und Bewertung der herkömmlichen Parameter. Bei den Lesern der Zeitschrift test stehen die neuen Standards aber noch nicht ganz oben auf der Wunschliste.
Das liegt möglicherweise an der Unübersichtlichkeit des Label-Dschungels. Mehr als 1.000 Zeichen hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gezählt und eine Ausstellung organisiert, die Verbrauchern einen Überblick gibt. Die Kenntnis von „ein oder zwei Hand voll“ Labels sollten für den Alltagsgebrauch ausreichen, sagte Vorstand Klaus Müller, der sich seine Ausstellung nicht nur in Bibliotheken, sondern auch in den Geschäften wünscht. So wie Firmen mit den „test“-Urteilen werben, sollen die Siegel auch eine Auszeichnung für die Wirtschaft sein. Das sei wesentlich wichtiger als die Umsetzung des mündigen, aufgeklärten Verbrauchers.
Die Caritas bietet mit dem „Haushalts Organisations Training“ (HOT) ein „niedrigschwelliges, aufsuchendes Angebot“ für Familien in prekären Lebenslagen an. Mario Junglas, Leiter des Berliner Büros, erkennt, dass Alleinerziehende Mütter und Überschuldete Familien nicht „mehr über ein Faltblatt“ zu erreichen sind und bietet über Familienhelfer eine Schulung für die Alltagssouveränität an. Herd-und-Hof.de hat sich bei der Caritas erkundigt, für wen HOT eine Hilfe sein kann. Das Programm gebe es mittlerweile in über 100 Städten und Landkreisen vorwiegend in Südwestdeutschland und NRW. Die Familien werden über Kindertagesstätten ermittelt, denen überwiegend schlecht gepflegte Kinder auffallen. Dabei sind es nicht nur die spektakulären Medienfälle verwahrloster Kinder in vermüllten Großstadtwohnungen. Gerade auf dem Land gebe es eine große Anzahl versteckter Armutsfälle. Die in die Familien geschickten Hauswirtschafterinnen müssen dabei ihre Erwartungen zurückschrauben. Bevor die Menschen, die ihren Alltag verloren haben, den Müll wieder trennen, müssen sie zunächst lernen, diesen erst einmal aus der Wohnung zu tragen. Wäsche- und Körperpflege sowie Kochrezepte stehen bei der Beratung im Vordergrund. Leider gibt es für HOT keine eigenständige Finanzierung, klagt die Caritas, wurde aber durch das Familienministerium als Konzept entwickelt.
Klaus Milke von Germanwatch stellte atmosfair vor, bei dem die CO2-Belastung einer Flugreise berechnet und eine Augleichszahlung in ein nachhaltiges Konzept investiert wird. Milke stellte jedoch auch klar, dass dieser Ausgleich nicht mehr als ein Schadenersatz ist und nur einen Teil der Gesamtdebatte darstellt. Wer bei seinem Kohlendioxidbudget in Höhe von drei Tonnen im Jahr zur Hochzeit seines Freundes nach Vancouver fliege, verbraucht dabei mit 5 Tonnen alleine schon fast zwei Jahresbudgets. Es gehe nicht darum, diesen Flug zu verbieten, sondern vielmehr, den Menschen die Relationen klar zu machen, in denen wir uns bewegen.

Die Zukunft der Verbraucherberatung
Der zweite Verbrauchertag im nächsten Jahr wird nach seiner politischen Etablierung in diesem Jahr auch den Verbrauchern offen stehen. Einfacher wird der Alltag für die Verbraucher, aber auch für die Verbraucherberatung bis dahin nicht. 2006 gab es 170 mit Beratungskräften besetzte Beratungsstellen, wobei Nebenstellen, Infothekstützpunkte und Energieberatungsstellen nicht berücksichtigt sind. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl der Beratungsstellen um 65 verringert. Die Bundeszentrale sieht jedoch durch Deregulierung und Privatisierung, sowie durch Digitalisierung und Globalisierung neue Aufgaben auf sich zukommen. Bereits jetzt hat sich schon jeder vierte Bundesbürger einmal persönlich beraten lassen.
Allerdings sank die Grundfinanzierung der Bundesländer von 46 auf 39 Prozent. Der vzbv sieht sein Potential an Eigenfinanzierung durch Beratungsentgelte und Ratgeberverkäufen ausgeschöpft.
Mutig ist Peter Hauk gewesen, Minister für Ernährung und Ländlichen Raum des Landes Baden-Württemberg, der zurzeit den Vorsitz der Verbraucherschutzministerkonferenz inne hat. Er möchte zwar keine Mittelkürzungen für die Verbraucherberatung einführen, fragte jedoch angesichts der wachsenden Bedeutung des Internets, ob denn noch jede Beratungsstelle im ländlichen Raum zeitgemäß sei? Hier könne man sich eine zentralisierte Beratung aus Gründen der Effektivität vorstellen.
Um die Unabhängigkeit der Beratung nicht zu verlieren und unabhängig von Firmensponsoren zu sein, will der vzbv eine Stiftung aufbauen. Die Bundesstiftung soll „die dauerhaft tragfähige und unabhängige Finanzierung“ sicher stellen. Der Bund stelle dabei unter Einbeziehung der Verbraucherzentralen und Mitwirkung der Länder ein Grundvermögen zur Verfügung, aus dessen Erträgen die Verbraucherarbeit finanziert werde. Für den Budgetaufbau solle der Bund über einen längeren Zeitraum eine jährliche Summe von fünf bis zehn Millionen Euro zur Verfügung stellen.

Lesestoff:
Für den Verbrauchertag wurde ein Film produziert, der auf der Seite www.verbrauchertag.de abgerufen werden kann. Auszüge aus der Rede des Bundespräsidenten, sowie alle Projektadressen können dort ebenfalls eingesehen werden. Die Vortragsfolien von Zukunftsforscher Roos sollen dort ebenfalls eingestellt werden.

Roland Krieg

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