Verbraucher melden Verstöße gegen Lebensmittelrecht
Handel
BVL mit einer Zwischenauswertung seiner Hotline
Der Gendarmenmarkt in Berlin wurde 1886 aus hygienischen Gründen als Markt geschlossen. Ungekühltes Fleisch in sengender Sonne und gepanschte Milch wollten die Konsumenten nicht länger hinnehmen. Pestizidrückstände und Gammelfleisch täuschen in der aktuellen Diskussion durchaus darüber hinweg, dass „früher nicht alles besser“ gewesen sein muss. Generell sind Lebensmittel sicherer geworden, generell sind Lebensmittel hygienischer geworden, generell sind aber auch die schwarzen Schafe geblieben. Die Skepsis, Buletten nur genießen zu können, wenn der Metzger sie auch selbst verzehrt, stammt aus der Zeit vor dem Großhandel.
Zyklisches Interesse
Permanente Qualität wird nur dann bewusst, wenn, wie im letzten Jahr, Medien ausführlich über ihre Abwesenheit berichten. Und vor allem, wenn sich die Fälle wiederholen und damit der Eindruck entsteht, dass es sich um systemimmanente Verhaltensweisen handelte. Nicht zu Unrecht hat Jürgen Abraham vom Bundesverband der deutschen Ernährungsindustrie auf der Internationalen Grünen Woche darauf hingewiesen, dass die Tonnagen entdeckten Gammelfleisches im Verhältnis zur insgesamt gehandelten Menge nur einen kleinen Bruchteil ausmachen.
Ob die Herde der schwarzen Schafe größer wird, oder ob der Großhandel Lebensmittelskandale begünstigt: Der Verbraucher reagiert. Die einfachste Art ist der Konsumverzicht oder die Bevorzugung von Absatzwegen mit größerem Vertrauensvorschuss. Nachdem sich die Aufregung um das „Gammelfleisch“ gelegt hat, verbuchte nach Angaben der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP) der Handel im ersten Quartal 2006 wieder vergleichbar hohe Abverkäufe bei Fleisch und Wurst. Ende 2005 ging der Verkauf um fünf Prozent bei Fleisch und um drei Prozent bei Wurst zurück. Allerdings, so die Analyse der ZMP, scheinen die Verbraucher beim Fleischkauf etwas kritischer geworden zu sein: Sie suchten wieder häufiger Geschäfte mit Bedienungstheken oder einem Metzger auf, die Käufe von bereits fertig portioniertem und verpacktem Frischfleisch gingen hingegen zurück. Das Fleischgeschäft in Selbstbedienungswarenhäusern verlor 7,3 Prozent.
Hotline für Verstöße
Der Gammelfleischskandal hat in diesem Jahr auch neue Wege hervorgebracht, seine Sorgen loszuwerden. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat für Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter am 1. Februar eine Hotline und ein Internetportal eingerichtet, wo anonym Verstöße gegen das Lebensmittelrecht angezeigt werden können. Exklusiv für Herd-und-Hof.de hat das BVL nach den ersten vier Monaten eine Zwischenbilanz gezogen.
Monatlich gehen rund 25 Hinweise ein, wobei die Zahl insbesondere nach Medienberichten ansteigt, so Pressesprecher Jochen Heimberg. Aufgeschlüsselt nach Produktkategorien und dem Ort der Beanstandungen ergeben sich folgende Bilder:
Produktkategorie |
Meldungen |
|
Ort der Beanstandung |
Anzahl |
Fleisch und Fleischerzeugnisse |
41 |
Einzelhandel |
70 | |
Wurst |
6 |
Gastronomie |
10 | |
Milch und Milchprodukte |
6 |
Großhandel |
2 | |
Fischereierzeugnisse |
3 |
Betrieb |
5 | |
Verschiedene Produkte |
13 |
Privat |
1 | |
Obst und Gemüse |
13 |
|
| |
Backwaren |
6 |
|
| |
Summe |
88 |
Summe |
88 |
Das der Einzelhandel deutlich auf Platz 1 steht ist nicht verwunderlich, denn entgegen der Planung, melden sich weniger „interne“ Kenner der Szene, sondern mehr Verbraucher, weist das BVL aus. So spiegelt die Art der Verstöße auch die Kriterien wider, die Verbraucher am „Point of Sale“ am leichtesten und schnellsten erkennen: Verderb mit 34 Fällen, mangelnde Lebensmittelhygiene (26) summieren sich mit mangelnder Kennzeichnung (9) und abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum (8) über 87 Prozent aller gemeldeten Verstöße.
Die Produktkategorie zeigt, dass fast die Hälfte der Meldungen Fleisch betreffen, was dem Image trotz steigender Verbrauchszahlen sicherlich nicht förderlich ist. Zusammen mit der Wurst bleibt die tierische Veredlung offensichtlich ein Problembereich.
Die Herd-und-Hof.de vorliegende Einzelauflistung weist noch etwas aus: Bei jeweils zwei Meldungen über Fleisch und Wurst wurde verdorbene Ware bemängelt (grün verfärbt, faulig): aber das Mindesthaltbarkeitsdatum war noch nicht abgelaufen.
Das BVL leitet die Hinweise an die einzelnen Bundesländer weiter. Diese sind sehr unterschiedlich betroffen, was aber nach drei Monaten sicherlich keine zulässige Kartierung der Verstoßhäufigkeit erlaubt. Möglicherweise ist die Meldemöglichkeit nicht überall gleich bekannt.
Was will der Verbraucher?
Auffallend ist zweierlei: aus den Bundesländern gibt es nur insgesamt 14 Rückmeldungen an das BVL für die weitegeleiteten Hinweise. Für die gemeldete Art der Beschwerden sind die örtlichen Behörden der Lebensmittelüberwachung zuständig – und dennoch wenden sich Verbraucher über das BVL.
Zum einen scheint es ihnen ein Bedürfnis zu sein, eine Kontaktadresse zu haben, an die sie sich wenden können. Zum anderen könnte man dann allerdings auch erwarten, dass bei einer gemeinsamen Strategie gegen länderübergreifende Skandale, auch eine beidseitige Kommunikation selbstverständlich sei.
Das sich Verbraucher direkt an das BVL wenden, könnte auch zeigen, dass ihnen der Föderalismus in diesem Bereich herzlich egal ist. Ein länderübergreifendes Thema, eine länderübergreifende Meldestelle und eine länderübergreifende Strategie.
Agrarminister Horst Seehofer plane zumindest, dass Firmen den Behörden mitteilen müssen, wenn ihnen unsicheres Fleisch angeboten werde. Das teilte Staatssekretär Gerd Müller in einer Antwort auf eine FDP-Anfrage mit. Das ist Teil des Zehn-Punkte-Programms, dass Seehofer im letzten Jahr aufgelegt hatte. Entschieden ist aber noch nichts.
So hat aber auch Hessen zu seinem diesjährigen Verbrauchertag im März ein Internetportal frei geschaltet, über das „vertrauliche Hinweise auf Verstöße im Lebensmittelbereich“ gemeldet werden können, so Verbraucherschutzminister Wilhelm Dietzel. Das Ministerium wird eine ausführliche Analyse der eingegangenen Meldungen in Hessen am Jahresende fahren und veröffentlichen.
Die zitierten Portale:
Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter können festgestellte Verstöße gegen das Lebensmittelrecht unter www.bvl.bund.de/tipp eingeben.
Hessische Verbraucher können auf das Internetportal www.verbraucherfenster.de zurückgreifen.
VLE