Verbrauchertäuschung bei Lebensmitteln

Handel

Essen im Zeichen der Schnecke

>Gerne wird die Internationale Grüne Woche als Konjunkturbarometer bezeichnet. Die Landwirtschaft und Ernährungsindustrie hat ungeahnte Möglichkeiten, das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen und zu stärken. Den Fokus auf diesmal behördliche Missstände legte die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in ihrer mittlerweile auch bereits traditionellen Pressekonferenz zur Grünen Woche. Prof. Dr. Edda Müller vom Vorstand der vzbv nahm sich vor allem die unklaren Herkunftsangaben für Lebensmittel vor.

Fremde Herkunft vertrauter Marken
Herkunftsangaben für Lebensmittel können nach geltendem EU-Recht geschützt werden. Viele Verbraucher assoziieren mit Landesangaben bestimmte Qualitäten und Images, die bei näherem Hinsehen "nichts als Augenwäscherei" sind.
Es gibt die "Geschützte Ursprungsbezeichnung" (g.U.), bei der die Erzeugung, die Herstellung und die Verarbeitung eines Produktes in einem bestimmten Gebiet festgeschrieben ist und die Verarbeitung nach einem anerkannten und festgelegten Verfahren erfolgen muss. Hier gibt es als einziges den vollen Umfang der intensiven Verbindung zwischen Produkt und Herkunft. Beispiele sind der Bayrische Meerrettich und der Allgäuer Emmentaler.
Daneben gibt es die "geschützte geografische Angabe" (g.g.A.). Hier reicht es aus, dass nur eines der Kriterien Erzeugung, Herstellung oder Verarbeitung in einem bestimmten Gebiet umgesetzt ist. So darf Nürnberger Lebkuchen zwar nur im Raum Nürnberg hergestellt werden, jedoch dürfen die Bestandteile aus allen Teilen der Welt stammen. Die Schwarzwaldforelle kann ursprünglich als so genannter Satzfisch aus Niedersachsen kommen und die Schweine für den Ammerländer Knochenschinken können aus Dänemark sein.
Noch entfernter kann ein Produkt von der vorgegebenen Gebietsbezeichnung sein, trägt es das verheißungsvolle Siegel g.t.S. Das bedeutet "garantierte traditionelle Spezialität", muss jedoch nichts mit der Werbung gemein haben. So sind lediglich nur noch 15 Prozent des Mozzarella original aus Büffelmilch gemacht. Eine italienische Werbeaufmachung für ein Massenprodukt suggeriert zwar die ursprüngliche Herkunft, kann jedoch, so Prof. Müller, norddeutsche Kuhmilchkugeln beinhalten.

Forderungen des vzbv
Gerade die hochpreisigen Qualitäten werden gerne mit bestimmten Images und Versprechen verkauft. So werden aber getäuschte Verbraucher Billig-Preis-Nachfrager von morgen. Daher fordert der vzbv die Abschaffung der EU-Rechtsvorschrift geschützte geografische Angabe und Nachbesserungen bei der Vergabe des Zeichens einer garantierten traditionellen Spezialität. Die Forderungen richten sich dabei vor allem an das Verbraucherministerium. Die EU entscheidet auf der Vorlage der einzelnen Mitgliedsländer, die in diesem Fall von Renate Künast vorgelegt werden müsste. Auf Länderebene müsse entsprechend mehr kontrolliert und Sanktionen ausgesprochen werden, wer sich nicht an die Vorgaben hält. Auch das muss aus dem Verbraucherministerium an die Länder weitergereicht werden.
Auf die Frage, ob denn die Direktvermarktung die glaubwürdigere Vermarktungsform sei, antwortet Prof. Müller, dass zwar die Möglichkeit besteht, die Produktionsbedingungen weitestgehend einzusehen, allerdings auch hier bestimmte Qualitätsstandards gesetzt sein müssten. Die beliebte Formel "Regionalität" führt nicht automatisch zu hohen Produktqualitäten.

Was ist Rohmilch?
Bis 1992 war "Rohmilchkäse" eine aus unbehandelter auf höchstens 40 Grad Celsius erwärmter Milch hergestellt. Ein empfindliches Produkt mit hohen hygienischen Anforderungen an die Verarbeiter. Das Produkt wurde auf EU-Ebene mit der Richtlinie 92/46/EWG "Werkmilch" umdefiniert. Diese thermisierte Milch wird nun bis zu 30 Sekunden auf 57-68 Grad Celsius erwärmt und gilt als Ausgangspunkt für "Rohmilch". Demzufolge kann alle Milch, die nicht pasteurisiert ist, für die Gewinnung von Rohmilchkäse verwendet werden. Die vzbv sieht darin eine Verbrauchertäuschung und Benachteiligung der Hersteller von echtem Rohmilchkäse.
Noch schlimmer ist es bei "Aceto balsamico", der eine Spezialität der italienischen Region Modena ist. Heute dürfen unter diesem wohlklingenden Namen billige Erzeugnisse vermarktet werden, die beispielsweise Zuckercouleur zur Vortäuschung eines Reifeprozesses hinzufügen. Besonders ärgerlich ist ein Produkt mit dem Namen "Aceto balsamico bianco". Diese Bezeichnung ist eine Unmöglichkeit, da der verwendete Traubenmost auf Grund oxidativer Prozesse niemals "bianco", also weiß, sein kann. Verbraucherinteressen sieht Prof. Müller auch immer als Erzeugerinteressen. Wer wirklich hochwertige Ware absetzen will, solle diese auch mit wirklich geschützten Bezeichnungen verkaufen dürfen. Bleibt alles gleich, dann differenziert der Verbraucher nur noch über den Preis.

Slow Food
Mit auf dem Podium saß Otto Geisel, Mitglied des Vorstandes von Slow Food Deutschland. Die aus Italien stammende Slow Food Gemeinde mit dem Symbol der Schnecke, kümmert sich um genießerisches Essen von hochqualitativen Produkten und deren Erhaltung. Sie ist in diesem Jahr Partner der Verbraucherzentralen und hat als Beitrag gegen die Verbrauchertäuschungen das Projekt "Arche des Geschmacks" reaktiviert. So wurde als neuestes Produkte die nordhessische "Ahle Wurscht" wieder aufgenommen. Nur Wurst, die nach alten Regeln in einer bestimmten Region handwerklich hergestellt wurde, darf das Arche-Symbol tragen. So hat Slow Food beispielsweise eine kulinarische Reise durch Nordrhein-Westfalen geschrieben und bebildert: "Essen, was man retten will".

roRo

[Sie können sich alle bisherigen Artikel zur Grünen Woche im Archiv mit dem Stichwort "IGW 2005" anzeigen lassen.]

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