Wachstum statt Visa-Schranken
Handel
Europäische Wirtschaftsverbände fordern Visa-Erleichterung
Kein Wachstum ohne Handel, kein Handel ohne Reisen, kein Reisen ohne Visum. Der Binnenmarkt der EU macht es vor und dazu gehört der freie Reise- und Wirtschaftsverkehr. Mit zunehmender Globalisierung stellt sich die Frage nach Reisefreiheit, oder mindestens nach Reiseerleichterungen, auch mit den Drittstaaten.
Ab kommenden Freitag können die Bewohner des Kaliningrader Gebietes und der benachbarten polnischen Woiwodschaften die Grenze ohne Visum überschreiten. Beide Regionen werden dadurch profitieren und neun europäische Wirtschaftsverbände nehmen diesen „kleinen Grenzverkehr“ zum Anlass umfassendere Visaerleichterungen mit EU-Nachbarländern umzusetzen.
Ausgehend von den deutschen und französischen Wirtschaftsverbänden Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und Mouvement des Enterprises de France haben sich weitere Verbände aus Dänemark, Finnland, Polen und Italien einem Appell für Visa-Erleichterungen angeschlossen. Es folgten Tschechien, Spanien und die Türkei.
Im Appell heißt es unter anderem:
„Um die Position Europas im internationalen Wettbewerb zu sichern, müssen europäische Unternehmen ihre Wirtschafts- und Handelspartnerschaften über die bestehenden Grenzen der EU hinaus vertiefen. Die Schaffung eines harmonischen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok zählt zu den wichtigsten Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts. Die mit zahlreichen europäischen EU-Nachbarstaaten bestehende Visa-Pflicht gehört dabei zu den fortwährenden Hindernissen im internationalen Geschäftsverkehr. Sie zu liberalisieren ist eine Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Visa sind ein erheblicher Kosten- und Zeitfaktor. Die Belastungen für weltweit tätige europäische Unternehmen summieren sich allein durch den Antragsprozess auf mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr. Visa behindern zudem gemeinsame Investitionsentscheidungen. Nicht zuletzt stellen Visa-Schranken ein Hindernis für den Austausch von Ideen und Wertevorstellungen dar.“
Für den geschäftlichen Reiseverkehr mit der Republik Moldau, Russland, der Türkei und Ukraine soll die Visapflicht bis zu 90 Tage aufgehoben werden. Verhandlungen für die Aufhebung der Geschäfts-Visa mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Kasachstan sollen begonnen werden.
Warum die Verbände das fordern
„Damit Europa im globalen Wettbewerb nicht zurückfällt, müssen wir auf einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok hinarbeiten. Dazu gehört als erster Schritt die Beseitigung von Visa-Schranken mit unseren osteuropäischen Nachbarstaaten“, sagte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Eckhard Cordes. „Visa-Schranken behindern Investitionen und verursachen Bürokratiekosten von hunderten Millionen Euro jährlich. Wir haben hier auch angesichts der gegenwärtigen Wachstumsschwäche in Europa keine Zeit mehr zu verlieren.“
„Unternehmen brauchen neue Märkte, um sich weiterzuentwickeln und zum nationalen und globalen Wachstum beizutragen. Die Visa-Liberalisierung ist ein erster und einfacher Schritt zur Stärkung des europäischen Wachstumspotenzials zwischen Lissabon und Wladiwostok. Wir schaffen dadurch gemeinsame Vorteile für alle Länder und Partner, für die Privatwirtschaft genauso wie für Regierungen!“, unterstreicht Thierry Courtaigne, Vize-Präsident und Vorstandsvorsitzender des französischen Wirtschaftsverbandes MEDEF International.
Thomas Bustrup, stellvertretender Generaldirektor des dänischen Industrieverbandes (DI) kommentierte: „Verstärkte Wirtschafts- und Handelsbeziehungen über die Grenzen der EU hinaus sind für das Wachstum ein wichtiger Weg, den wir unaufhörlich verfolgen müssen. Ein notwendiger erster Schritt wäre die Abschaffung der Visa-Bestimmungen. Dies würde beispielsweise europäischen Firmen ermöglichen, die Vorteile von Russlands Beitritt zur WTO voll auszuschöpfen.“
Und Mikko Pukkinen, Generaldirektor des Verbandes der finnischen Industrie (EK), äußerte: „Der finnische Industrieverband ist ein klarer Befürworter aller Anstrengungen, die Bedingungen für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr zu verbessern. Der Übergang zu liberaleren Visaregelungen mit Russland und Osteuropa ist ein wichtiger Schritt zu weiterem Wachstum von EU-Unternehmen in dieser Gegend.“
Sein spanischer Kollege José María Lacasa Aso, Generalsekretär des spanischen Arbeitgeber- und Industrieverbandes CEOE ergänzte: „Die Liberalisierung der momentanen Visaregelungen und die Beseitigung wesentlicher grenzüberschreitender Hindernisse in diesen Ländern würde die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen stärken sowie den Handel und Investitionen steigern.“
Jaroslav Hanák, Präsident des Industrieverbandes der Tschechischen Republik SP, kommentierte schließlich, dass „der tschechische Industrieverband die Liberalisierung der Geschäftsvisa-Pflicht für Russland und andere Nachbarländer der Europäischen Union unterstützt. Visaschranken sind eines der wesentlichen Hindernisse für den Handel und Investitionen und sie erschweren den Kontakt zwischen russischen und europäischen Bürgern. Ferner haben sie einen beträchtlichen negativen Einfluss auf Unternehmen in der EU. Die Liberalisierung der Visabestimmungen in Osteuropa wird die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen stützen.“
Bundesregierung reagiert verhalten
Der Sprecher des Auswärtigen Amtes regiert auf den Appell verhalten: „Wir nehmen natürlich gewichtige Meinungsäußerungen aus gesellschaftlichen Gruppen vonseiten der Wirtschaft immer ernst.“ Visa-Erleichterungen müssten aber Schritt für Schritt umgesetzt werden. Derzeit gebe es einen „gemeinsamen Aktionsplan“ für Visa-Erleichterungen mit Russland und eine „Perspektive“ für die Türkei. Aber, so ergänzte ein Sprecher des Innenministeriums, die Entscheidungen werden in Brüssel getroffen werden. Außerdem müsse zwischen Visum-Freiheit und Visum-Erleichterung unterschieden werden. Die Bundesregierung setze für den letzten Bereich um, was getan werden könne.
Roland Krieg