Wandel in der Entwicklungspolitik
Handel
Ministerium für Globale Aufgaben
Entwicklungshilfe: Das war früher der Dieselgenerator für den Trinkwasserbrunnen. Oder freies Saatgut für die Landlosen. Im Zeitlauf kam die Regionalbörse hinzu, bei der Hersteller und Händler lokale Produzenten kennen lernen können. Auch komplexe Verwaltungsaufgaben wie der Aufbau eines Steuersystems zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben entwickelt ein Land – oder der öffentliche Nahverkehr in den wachsenden Städten der Entwicklungsländer. Noch komplexer wird die Antwort: Wie „finanziert“ man eine gute Regierungsführung, die ohne Korruption und Elitenwirtschaft Hilfsgüter und -gelder den Betroffenen zukommen lässt. Und das Menschenrecht auf Nahrung umsetzt?
Anfang der 1960er Jahre war der Beginn der Solidarität mit den Armen und Unterdrückten stark politisch besetzt. Mit dem Buch „Die Verdammten dieser Erde“ leitete Frantz Fanon die Algerien-Hilfe1) ein. 20 Jahre später wurden die Früchte aus Südafrika boykottiert und der faire Handel wurde Bestandteil der Wirtschaft. Heute gestalten Nordrhein-Westfalen und Ghana interkommunale Entwicklungshilfe2).
Entwicklungspolitik heute
Ein Jahr Dirk Niebel ist nach einem Antrag des Bundesarbeitsgemeinschaft Nord-Süd der Grünen „ein Jahr Rugby im Porzellanladen“. Thilo Hoppe, stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungshilfeausschusses des Bundestags und Sprecher für Welternährung von Bündnis90/Die Grünen wollte auf dem zweiten Tag des entwicklungspolitischen Forums der Heinrich-Böll-Stiftung die Bilanz differenzierter gestalten. Die Reform der Entwicklungshilfe mit der Neugründung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)3) gehe in die richtige Richtung, überwinde aber nicht die Trennung zwischen finanzieller und technischer Zusammenarbeit. Im Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) sei auch ein Plus in punkto Kohärenz zu verzeichnen, dass Projekte auf eventuelle negative Wirkungen im sozialen und Umweltbereich untersucht werden.
Auf der Negativseite der schwarz-gelben Entwicklungspolitik verbuchte Hoppe, dass das Versprechen der 0,7-Prozent-Marke des Nationaleinkommens zur Entwicklungshilfe weit verfehlt bleibt, obwohl sowohl die Bundeskanzlerin als auch Niebel in Form der „Behauptungstheologie“ sich auf dem richtigen Weg wähnten. Nach Ansicht Hoppes verabschiede sich die Bundesregierung auch aus multilateralen Verpflichtungen und ersetze sie durch wirtschaftsfördernde bilaterale Beziehungen.
Die U-Bahn von Ho Chi Minh Stadt
Wie unscharf die Grenzen in der Entwicklungspolitik heute verlaufen zeigt das Beispiel des U-Bahn-Baus in Ho Chi Minh Stadt. Siemens hat den Zuschlag erhalten, weil die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Differenz zum günstigsten Angebot der vietnamesischen Ausschreibung als Wirtschaftsförderung übernommen hat, so Hoppe. Das sei nicht nur marktverzerrend, sondern zugleich unverschämt, weil diese Gelder dem Etat der öffentlichen Entwicklungshilfe angerechnet werden.
Friedrich Kitschelt, Abteilungsleiter für Afrika, globale uns sektorale Aufgaben im BMZ, weist die Vorwürfe nicht von sich. Das Projekt habe bereits die Vorgängerin im Ministeramt begonnen und werde aus dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums gespeist. Das die finanzielle Hilfe aber den 0,7 Prozent angerechnet werde, sei durchaus berechtigt, so Kitschelt. Vom Projekt her, gehe es um die Finanzierung eines öffentlichen Nahverkehrssystem, dass mit hochmoderner Technik, die Menschen klimafreundlich durch die Metropole bewegt.
Paradigmenwechsel
So wie sich die Anforderungen an die Entwicklungshilfe verändert haben, so müssen auch die Werkzeuge geändert werden. In den 1960er Jahren wurde Entwicklungshilfe als ein Input gesteuertes System definiert. Aus dieser Zeit resultiere auch das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens auszugeben, so Kitschelt. Damals habe man sich gefragt, was koste es, die Länder mit Betriebsmitteln auszustatten, damit sie eine nachholende Entwicklung durchlaufen können, um auf den gleichen Lebensstandard wie die Industrieländer zu kommen. Unbestritten, es gebe die Fehlsumme „das Symbol zu erfüllen“. Aber die Zeit für eine Inputgesteuerte Entwicklung sei vorbei.
„Aid on delivery“ heißt das neueste Credo im BMZ. Friedrich Kitschelt beschreibt, was damit gemeint ist: Man setze sich mit einem Partnerland zusammen und definiere Ziele, wie beispielsweise die Senkung der Müttersterblichkeit um X Prozent. Dann können Mittel und Zwischenwege festgelegt werden, wie das Ziel am besten zu erreichen sei und die Entwicklungshilfe unterstütze den Weg des Landes nur noch dort, wo es Engpässe gibt. Im nächsten Jahr sollen die ersten drei Projekte „Aid on delivery“ an den Start gehen, die anschließend von der Zivilgesellschaft auf ihre Wirkung überprüft werden. Das schaffe zusätzlich Transparenz, Akzeptanz und fördere die Demokratisierung, so Kitschelt. Die Länder würden dann gezielt nach Infrastrukturmaßnahmen, Arbeitskapazitäten oder finanzieller Hilfe nachfragen.
Kritik an der neuen Idee kommt von Roger Peltzer aus der Bundesarbeitsgemeinschaft Nord-Süd der Bündnisgrünen. Da sei nichts anderes als eine Budgethilfe, die nur schwer zu kontrollieren sei und zu Korruption verführe.
Ministerium für Globale Aufgaben
In der Tat konnte die bisherige Entwicklungshilfe „bestenfalls Schaden begrenzen und Not lindern“, resümierte Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Ursachen- und Krisenbekämpfung kommen zu kurz.
Heute müsse die Entwicklungshilfe über neue Interdepenzen verstanden werden. Nach Unmüßig sind das die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal 2 Grad Celsius, die Eindämmung des Ressourcenverbrauchs, die Armutsbekämpfung, die Vermeidung von Konflikten und Kriegen, die Erreichung der Millenniumsziele, die Ernährungs- und Wasserpolitik. Vergleichbar mit dem Intergovernmental Panel on Climate Change“ könne ein „International Panel on Systemic Risks in the Global Economy“ die Kohärenz des wirtschaftlichen Tuns mit Hilfe des 2003 erschienenden Commitment to Development Index4) (CDI), der um Umweltaspekte erweitert werden müsste.
Die Sünden der Kohärenz stünden fest. So unterminiere die Exportsubvention die Bekämpfung von Hunger und Armut, die europäische Fischereipolitik widerspreche den partnerschaftlichen Fischereiabkommen und benachteilige die kleinen Fischer oder die Außenwirtschaftsförderung stehe vornehmlich in nationalem Interesse.
So fragte Lili Fuhr, Referentin für Internationale Umweltpolitik in der Böll-Stiftung, ob das neue „Aid on delivery“ – Konzept sich nicht auch in der neuen Rohstoffstrategie der Bundesregierung widerspiegele - Hilfe bekomme nur, der Deutschland auch mit Rohstoffen versorge?
Für Friedrich Kitschelt ist die Sicherung der Rohstoffversorgung durchaus legitim, will an dem Beispiel aber auch verdeutlichen, dass es dabei um die Schaffung von Wertschöpfungsketten in den jeweiligen Ländern geht. Rohstoffsouveränität.
Lösung aus der Betrachtungsfalle bieten die Vorschläge von Barbara Unmüßig, die auf die Zersplitterung der Geberländer hinwies. Die EU müsse sich nicht 27 Entwicklungshilfeorganisationen in ihren Mitgliedssaaten leisten, sondern könnte die Aufgaben europäisch einheitlich bündeln. Grundlagen seinen in dem Konzept „Öffentliche Entwicklungshilfe-plus“ bereits vorhanden, in dem der Entwicklungsausschuss im Mai 20105) ein Konzept für die Politikkohärenz vorgestellt hat.
Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg. Zunächst sollten die verschiedenen Ressorts in Deutschland überprüft werden. Im Rahmen der klassischen Entwicklungsarbeit sind längst verschiedene Ministerien beteiligt, die aber nicht alle an einem Strang ziehen. Eine neue Option wäre ein „Ministerium für Globale Aufgaben“, das die Kompetenzen des BMZ, die Kooperation zu den Bereichen Umwelt, Klima und Energie sowie zu Forschung, Wissenschaft und Innovation mit nicht-OECD-Ländern unter einem Dach zusammenführt.
Auch Kitschelt stellte neue Formen vor: So könne er sich vorstellen, einen Fonds mit der Summe X bereitzuhalten und auf einer Webseite verschiedene öffentliche und private Projekte ausführlich vorzustellen. Die Bürger können sich dann über die Entwicklungshilfeprojekte informieren, sehen, wofür ihr Geld ausgegeben wird und darüber abstimmen, wer einen finanziellen Aufschlag erhält.
Lesestoff:
1) Balsen, Rössel: Hoch die internationale Solidarität; Kölner Volksblatt Verlag (1986) ISBN 3-923243-21-9
2) Zweite Bonner Konferenz zur Entwicklungspolitik
Auf dem entwicklungspolitischen Forum war am Vortag das Engagement Chinas und Brasiliens in Afrika Thema
3) GIZ: Reform im BMZ
Dokumente der Entwicklungspolitischen Tagung finden Sie auf der Seite www.boell.de
4) www.cgdev.org
5) www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=REPORT&reference=A7-2010-0140&language=DE
Roland Krieg