Warenströme für Obst und Gemüse

Handel

Veränderungen seit der EU-Erweiterung

Deutschland importiert jährlich 4,68 Millionen Tonnen Frischobst, davon kommen 0,94 Millionen Tonnen aus den neuen Mitgliedsländern (NMS). Die wichtigsten Obstarten aus deutscher Produktion stellen Tafeläpfel und Erdbeeren dar, wobei 2004 die deutschen Erzeugerorganisationen einen Umsatz von 148 Millionen Euro bei Äpfeln erzielten und 25,8 Millionen bei Erdbeeren. Alle anderen Obstarten bewegen sich im einstelligen Millionenbereich, wusste Helwig Schwartau letzte Woche auf dem ersten ZMP Obst- und Gemüseforum zu berichten.

Warenfluss bei Äpfeln
700.000 Tonnen Äpfel werden in jedem Jahr nach Deutschland importiert, wobei die meisten aus Italien kommen (270.000 t), der Südhalbkugel (200.000 t) und Frankreich (58.000 t). Mit dem Wegfall des Mindestpreissystems zur Osterweiterung exportiert Polen mittlerweile auch schon nennenswerte Mengen von 25.000 t nach Deutschland. Polen ist durch seine geografische Lage "wie die Spinne im Netz", beschreibt Schwartau die künftige Entwicklung der Apfelproduktion. Von der Jahresproduktion von rund 2,5 Millionen Tonnen Äpfeln geht der Löwenanteil des Exports noch in die GUS-Staaten (243.000 t) und Polen blockiert mit seinem Export nach Skandinavien die nördliche Ausfuhrroute Deutschlands. Bei diesen Mengen und bei Produktionskosten die mit 30 Eurocent pro Kilogramm rund 50 Prozent unter den deutschen Kosten liegen, sieht Schwartau "schwierige Zeiten" für die deutschen Apfelproduzenten aufziehen.
Die polnischen Vermarkter üben mit Preisfaxe an den deutschen Handel einen Preisdruck aus. Vermehrt wenden sie sich direkt an den Großhandel und suchen nicht mehr den einzelnen Weg über den Lebensmittelhandel. Chilenische und brasilianische Ware ist zwar noch günstiger, aber sie müssen über einen höheren Werbeaufwand verkauft werde, der sie zumindest gegenüber der polnischen Ware ihren Preisvorteil beraubt.
Druck wird von den Discountern ausgeübt, denen die Herkunft der Ware egal erscheint. Schwartau wies dabei auf Anzeigen hin, die Äpfel, Kirschen oder Trauben bunt durcheinandergewürfelt anbieten: Die "Herkunftsbezeichnung" Deutschland/Griechenland/Türkei für eine Stiege Äpfel oder Packung Trauben bietet dem Verbraucher zudem keine weitere Qualitätsdifferenzierung mehr an. Anbauregionen werden es schwer haben, ihre Qualität zu präsentieren.
Dr. Hans-Christoph Behr von der ZMP zeigte am Beispiel Gemüse den Handelsdruck: Bei Gemüse ist Deutschland nur zu 33 Prozent Selbstversorger (Frischgemüse: fast 50 Prozent) und daher von Importware abhängig. Gemüse aus den NMS ist zwar billiger, spielt aber mengenmäßig nur eine untergeordnete Menge. Aktionsangebote sind bisher immer nur regional oder sogar nur in einzelnen Geschäften zu finden. Für eine bundesweite Kampagne reicht die Menge nicht aus. Trotzdem weisen die Händler die deutschen Lieferanten immer mehr auf den günstigeren Preis hin, um mit einem Lieferantenwechsel zu drohen. Welche Auswirkungen sich langfristig ergeben, bleibt allerdings unklar: Es zeigt sich in der gesamten erweiterten EU, dass der Verbrauch als entscheidendes Marktkriterium überall ansteigt. Mit steigendem Lohnniveau in den NMS steigt das Interesse an hochwertigem Gemüse. Damit haben deutsche Produzenten wiederum Absatzmöglichkeiten auf den neuen Märkten.

Weitere Märkte
Unsicherheit, wie sich die Warenströme in Zukunft entwickeln werden, zeigen die Märkte vor Europas Haustür. So bildet sich in Russland eine neue Mittelschicht heraus. Nur ein Prozent der Bevölkerung verfügt über 1.000 US-Dollar pro Monat, während 90 Prozent weniger als 200 Dollar zur Verfügung haben. Immerhin bildet sich dazwischen eine neue Mittelschicht aus, die über 22 Prozent aller Einkommen auf sich zieht. Judith Kons, Leiterin des Referats für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft an der Deutschen Botschaft in Moskau weist zwar darauf hin , dass die Russen nur 42 Kilogramm Obst pro Kopf und Jahr verzehren, aber vor fünf Jahren waren es nur 34 kg. Der Verzehr steigt auch deshalb, weil russische Wissenschaftler die Verzehrsmenge von 71 kg empfehlen. Allerdings findet diese Absatzentwicklung nur in den Großstädten und deren Einzugsgebieten statt. Auf dem Land sind die privaten Hauswirtschaften noch von herausragender Bedeutung. 85 Prozent des Gemüses auf den Märkten stammt aus privaten Gärten.
Seit der Bankenkrise Ende der 1990er Jahre befindet sich der russische Verbrauch im Umbruch. Seit dem sinkt der Anteil des häuslichen Lebensmittelausgaben auf zur Zeit 42 Prozent ? Tendenz fallend. Der Non-Food - Sektor verzeichnet mittlerweile höhere Wachstumsraten als die landwirtschaftliche Produktion. Die Menschen beginnen, sich etwa besonderes zu gönnen und fragen Feingemüse vermehrt nach. Bananen und Zitrusfrüchte zeigen boomende Absatzmärkte und Äpfel haben die größte Verkaufschancen, wenn sie hochwertige Qualität haben. Auf der größten russischen Agrarmesse "Goldener Herbst" bewerteten Politiker die Landwirtschaft neu: "Ein reiches Land könne nur dann als solches betrachtet werden, wenn es in der Lage ist, seine Bevölkerung aus eigener Produktion zu versorgen." Erstmals seit 15 Jahren hat sich mit Putin ein russischer Präsident wieder mit der Agrarpolitik befasst. Die ehemaligen Großbetriebe belasten die Angebotsentwicklung mit ihren sozialen Verpflichtungen, wie Kindergärten und Rentenzahlungen, so Kohns. Putin hat Förderprogramme aufgelegt, welche die Tierproduktion, kleinbäuerliche Betriebe und Hauswirtschaften sowie generell den ländlichen Raum entwickeln sollen. Im Gespräch sind auch Sonderzonen, in denen ausländische Firmen ihre Technologie transferieren können. Mit Russland bietet sich der EU und den NMS durchaus ein neuer Markt. Hinderlich sind allerdings die ständigen Im- und Exportverbote, die Russland ausspricht und die nach Kohns ?als Maßnahmen häufig überzogen sind?. Deren Aufrechterhaltung ist meist nur von dem Leidensdruck in Russland abhängig, wie lange sie auf die Ware verzichten können.

Die Zukunft gehört den Vermarktern
Die Warenströme nehmen zwischen den Ländern zu, Verbraucher wollen immer höhere Qualitäten und Discounter vermischen alle Waren und sortieren nur nach dem Preis. Der einzelne Obstbauer hat kaum noch eine Chance, seine Produkte abzusetzen. Gerhard Dichgans, Direktor des Verbandes Südtiroler Obstgenossenschaften präsentierte seine Strategien zur Eroberung der Märkte. Entlang der Etsch gibt es seit rund 100 Jahren Obstwiesen von denen in diesem Jahr gut 900.000 t Obst geerntet werden konnte. In 22 Genossenschaften sind 5.700 Erzeuger zusammen geschlossen, die mit 10.600 Hektar Äpfel und Birnen und 26 Hektar Gemüse rund 300 Millionen Euro Umsatz erzielen. Die Hälfte der Ernte geht nach Italien, etwa 30 Prozent nach Deutschland und Großbritannien, Skandinavien, Portugal und Zypern bezeichnet Dichgans als Zukunftsmärkte. Für die Vermarktung der Marken Südtirol oder Marlene gibt der Verband rund 500.000 Euro aus, was pro Kilogramm Äpfel beispielsweise einen Anteil von einem Eurocent entspricht.
Die Bruttoerlösen liegen bei 60 - 70 Cent je kg, wobei der Standardapfel in der Regel 40 Cent erzielt und die Premiumsorten 70 und mehr erreichen. Es zeigt sich in der Vergangenheit, dass die Innovationskurven immer schneller abflachen. Eine neu eingeführte Sorte erreicht die 70 Cent und fällt im Zeitverlauf auf den Standardwert von 40 Cent zurück. Dann sind alle Äpfel gleich und es gibt keine Differenzierungen mehr, wie der Marketingexperte feststellt. Es müsse gelingen die Innovationskurven für neue Sorten hoch zu halten.
Neben der üblichen Kostendegression bei der Zusammenlegung von Lager- und Packhäusern, spielt daher die Sortenpolitik in Südtirol eine wichtige Rolle. Bis 2008 werden "neue" Sorten einen Anteil von 40 Prozent halten. Zu den "neuen" Sorten zählt Dichgans Gala, Braeburn und Fuji. Seine Bauern haben insgesamt über 16 verschiedene Sorten im Angebot, die für das jeweilige Absatzland speziell angeboten werden können. Diese Flexibilität ist ein Vermarktungsvorteil Südtirols.
"Pink Lady" war so eine neue Sorte aus Neuseeland, die allerdings keinen Innovationspreis mehr erzielt. Der Apfel war im Anbau frei verfügbar und rutschte dadurch schnell auf den Standardpreis zurück. Südtirol will das besser machen. Zur Entwicklung einer neuen Sorte gehört der Sortenschutz und ein begrenzter Anbau. Nur maximal sieben Prozent eines Bestandes sollen mit einer neuen Sorte bepflanzt werden, um das Angebot knapp und damit den Preis hoch zu halten. Ab einer Vermarktungsmenge von 50.000 bis 60.000 Tonnen können sich die Innovationspreise bezahlbar machen und mehr als 200.000 Tonnen von einer Sorte, sollte es nicht geben. Für Dichgans ist es klar, wer die Mengensteuerung übernimmt: Die Vermarktungsorganisation. Sie werde die Zukunft überleben und nicht ein bestimmtes Anbaugebiet.

Roland Krieg

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