Welthandel mit menschlichem Antlitz
Handel
Grüne wollen neue Handels- und Investitionspolitik
Nach über einem Jahr Vorbereitung hat die Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen ein Positionspapier „Für eine Neuausrichtung der Europäischen Handels- und Investitionspolitik am Leitbild einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung“ aus der Arbeitsgruppe Globalisierung und Good Governance von den Autoren Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Frithjof Schmidt und Thilo Hoppe vorgelegt.
Als Sprecher für Welternährung stellte Thilo Hoppe das Positionspapier am Donnerstag Herd-und-Hof.de ausführlich vor.
Handel „tickt“ anders
Vor dem Hintergrund, dass in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum möglich ist und die Wirtschaften der einzelnen Länder im Rahmen einer großen Transformation in eine „Green Economic“ überführt werden müssen [1], zeigt sich nach Hoppe der Welthandel als beratungsresistent. Während die Staaten, wenn auch zäh, über Klima, Biodiversität, Millenniumsentwicklungsziele und Umwelt konferieren, bleibt der Welthandel außen vor.
Vor allem Europa als großer Spieler im internationalen Handel und Deutschland, das mit seinen Ex- und Importen mehr als 1/27 der EU ausmacht komme eine besondere Verantwortung zu.
Die Umsetzung des Positionspapiers soll durchaus an dem großen Rad drehen und ist daher weit mehr als als nur die Ausrichtung auf einen „fairen Handel“.
Weil die WTO mit ihrer Doha-Entwicklungsrunde in der Sackgasse steckt und Hoppe keine Weltwirtschaftspolitiker sieht, die staatsmännisch neue Visionen erwecken können, sprießen überall bilaterale Handelsabkommen hervor [2].
Doch nur die WTO sei in der Lage kohärente, effektive und überall gleichermaßen gültige „Global Governance“ zu gewährleisten. Deshalb solle Deutschland eine Diskussion zur Reform der WTO und Anbindung an die Vereinten Nationen anstoßen. Der Multilateralismus sei nicht per se besser, heißt es in dem Papier, verhindere jedoch Asymmetrien, wie sie in den bilateralen Abkommen immer wieder vorkommen. So bestehe die EU bei den Abkommen mit Peru und Kolumbien auf einen liberalen Banksektor, der am Ende die Maßnahmen gegen die Geldwäsche aus Drogengeschäften unterwandert, während Bundestag und die EU hierzulande Grenzen für die Bankgeschäfte festlegen wollen. Bei dem Abkommen mit Zentralamerika wurde der Export von Milchpulver durchgesetzt, obwohl Milchbauern und Molkereien sich lautstark um die Stabilität ihres Michmarktes sorgten.
Die Grundsätze
So steht ganz oben auf der Agenda die Transparenz. Die bilateralen Verhandlungen werden nach Hoppe in einer „Dunkelkammer“ durchgeführt. Selbst die Parlamentarier haben keine Chance auf einen Blick, was im Einzelnen verhandelt wird – bis das Ergebnis feststehe. Dann sei es schon zu spät, weil einmal eingeführte Liberalisierungen nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Der Verhandlungsprozess sollte vollkommen offen, am besten im Internet, verlaufen. Transparenz ist zudem unerlässlich, weil der zweite Grundsatz eine „obligatorische Folgeabschätzung“ einfordert. Hoppe räumt zwar ein, dass Folgeabschätzungen schwierig und umstritten sind [3], aber auf einer breiten Basis von Gewerkschaften, Instituten und Verbänden zu belastbaren Ergebnissen kommen können.
Der dritte Grundsatz beschreibt die Asymmetrien, die vermieden werden sollen. Damit die Länder ihre Ernährungssouveränität nicht verlieren, sollen Special Safeguard Mechanism eingeführt werden [4].
Weitere Grundsätze sind: Lokale Märkte nicht untergraben, Diversifizierung befördern, Zurückhaltung bei Investitionen und Wettbewerbsrecht, Schutz Geistiger Eigentumsrechte, Kapitalverkehrskontrollen, Ablehnung einer Stillstandsklausel (Einfrieren von Zollsätzen außerhalb der Liberalisierung) und flexible Ursprungsregeln.
Für die Grünen hat das Positionspapier schon Relevanz, weil sie bei anstehenden Bundestagsdebatten ihre Entscheidung an diesen Grundsätzen ausrichten. Ab September 2013 werde das Positionspapier ein „to do“ – Liste, so Hoppe.
Das Papier hat Ähnlichkeit mit der im letzten Jahr vorgestellten Strategie für eine neue Entwicklungshilfe [5]. Hoppe erklärt, dass das durchaus beabsichtigt ist. Entwicklungshilfe solle nicht von der Wirtschaft getrennt werden. Beide Ansätze stellen die Forderungen nach einer sozial-ökologischen Wirtschaft auf der Basis der Menschrechte auf ein breiteres Fundament.
Investitionsschutz
Der zweite Teil des Papiers fordert eine neue Investitionsschutzpolitik. Die Zuständigkeiten gehen langsam auf die europäische Ebene über. Nach Hoppe sollen hier nicht nur die Investoren sondern künftig auch die Menschen vor Willkür geschützt werden. Beispiel:
Ein deutscher Biofarmer in einem Land südlich der Sahara wird von der Regierung wegen eines Infrastrukturprojektes enteignet. Dieser muss sich zunächst einmal an die Bundesregierung wenden, die prüft, ob ein Investitionsschutz mit diesem Land existiert. Dann könne der Bauer gegen die Enteignung vorgehen. Will die Bundesregierung jedoch diesen Weg wegen einer anderen Abhängigkeit nicht gehen, dann habe der Biobauer keine Chance, sein Land zu behalten.
Seit den 1990er Jahren sind jedoch Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeiten vermehrt in den Investitionsschutzabkommen verankert, doch wird der Biobauer dadurch seine Chancen für sein Land nicht steigern können. Er ist zu klein. Hingegen können es multinationale Konzerne durchaus mit einem Staat aufnehmen. So verklagt der Zigarettenkonzern Philip Morris den Staat Uruguay auf zwei Milliarden US-Dollar, weil er sich durch ein strenges Nichtrauchergesetz benachteiligt sieht. Abschreckende Bilder auf den Verpackungen habe zu dem Zeitpunkt neuer Investitionen des amerikanischen Herstellers noch nicht gegeben.
Weltweit gibt es Kanzleien, die sich auf solche Klagen spezialisiert haben. Um horrende Schadenersatzansprüche abzuwehren, einigten sich Länder außergerichtlich – und nehmen zusätzliche Regelungen in Kauf.
Ein internationaler Schiedsgerichtshof könnte die Lösung sein. Hoppe glaubt, dass diese Forderung leicht nachvollziehbar ist, denn Deutschland entdeckt, dass es selber zum Opfer solcher Klagen wird. So klagt Vattenfall die Bundesrepublik derzeit auf 3,5 Milliarden Euro, weil der Energieversorger wegen des Atomausstiegs zwei Meiler abschalten muss.
Lesestoff:
[2] Übersicht über die bilateralen Abkommen der EU
[3] ILUC oder die Getreideeinheit?
[4] Special Safeguard Mechanism
[5] Neue Strategie für die Entwicklungshilfe
Roland Krieg