Welthandel mit neuen Regeln versehen
Handel
Handel und Ernährungssicherheit
In einer Anhörung zum Thema
Handel und Ernährung haben am Mittwoch vier Experten im EU-Ausschuss für
Internationalen Handel ihre Beobachtungen zum Thema Handel und
Ernährungssicherung dargelegt und mehr Rücksicht auf die Belange der
Kleinbauern eingefordert.
Exzessive Marktöffnung
Während in den 1980er Jahren
noch ein Mangel an Nahrungsmitteln für Hunger und Armut verantwortlich
schienen, hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Ursache in
fehlendem Zugang zu Betriebsmitteln und Nahrung liegt. 500 Millionen der 850
Millionen hungernden und fehlernährten Menschen produziert selbst Nahrung –
aber, so Olivier de Schutter, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf
Nahrung, als Subsistenzbauern, Fischer, Hirte oder indigenes Volk, das von den
Erträgen aus dem Wald abhängig ist. Der große Fehler sei die „exzessive
Marktöffnung“ der Entwicklungsländer gewesen, die eher auf Importe von
Nahrungsmitteln aus den Industrieländern setzen, um umgekehrt Cash Crops wie
Kaffee, Bananen oder Baumwolle zu exportieren, als auf die Belange der eigenen
Kleinbauern zu setzen. Diese hatten im Wettbewerb um Wasser, Kredite,
Investitionsmittel und Land keine Chance gegen die exportorientierte
Landwirtschaft. Nach Schutter haben auf diese Weise durchschnittlich nur 16
Prozent der weltweit gehandelten Lebensmittel über das Wohl und Wehe ganzer
Regionen von Kleinbauern entschieden.
Bis zum ersten Preisschock von
Lebensmitteln im Jahr 2008 haben sich die Länder auf preiswerte Importlebensmittel
verlassen und hatten dem Preishoch keine eigene Produktion mehr entgegen zu
setzen.
Schutter fordert eine neue
„Vision des Welthandels“. Der internationale Handel muss die Belange der
Kleinbauern stärker berücksichtigen. Sie können die hohen Standards nicht
erfüllen, haben nur ein geringes Produktionsvolumen und hohe
Transaktionskosten. Vor allem müssen nach Schutter bilaterale Handelsabschlüsse
auf Kohärenz mit der Politik für Kleinbauern geprüft werden.
Hoffnungen auf Bali
Die WTO wird zum Jahresende auf Bali einen neuen Versuch unternehmen, die stockende Doha-Entwicklungsrunde in Gang zu bringen. Jonathan Hepburn vom Internationalen Zentrum für Handel und nachhaltige Entwicklung in der Schweiz, stellt zwar keine großen Erwartungen an die Bali-Konferenz, will aber Signale sehen, die dem Welthandel eine neue Richtung geben können. Für die Preisspitzen 2008 und 2010/2011 sind Produktionsrückgänge, subventionierte Bioenergie und vor allem Exporteinschränkungen verantwortlich. Künftig werde auch der Klimawandel für Volatilitäten am Markt sorgen, die der Handel nur teilweise ausgleichen kann.
Mühsamer Aufbau
Das südliche und östliche Afrika versucht einen intraregionalen Handel aufzubauen. Dadurch sollen die Preisvolatilitäten reduziert und durch ein höheres eigenes Nahrungsangebot die Verfügbarkeit für die Menschen erhöht werden. Regierungen allerdings fehlt das Vertrauen in die eigene Stärke, erläutert James Morrison von der FAO. Vor allem im grenzüberscheitenden Handel als Möglichkeit des Ausgleiches zwischen Überschuss- und Mangelregionen sieht er Probleme. Die Länder scheinen sich zu sehr an „ad hoc“-Hilfen der Geberländer gewöhnt zu haben, als dass sie Lagerkapazitäten aufbauen, um die Ernte auch zeitlich zu verteilen. Die Regierungen müssten dem privaten Sektor mehr Vertrauen entgegenbringen und dieser bräuchte mehr Planungssicherheit für seine Investitionen. „Aid for Trade“ könnte im internationalen Kontext solche inter-regionalen Märkte stärker berücksichtigen. Handelsabkommen sollten offener und flexibler sein, solchen Regionen mehr Zollschutz für die eigene Industrie gewähren.
Öffentliche Wahrnehmung korrigieren
Ingo Pies von der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat zwei Studien vorgestellt, die
auch zusammen mit dem IAMO (Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und
Osteuropa in Halle) die Preisentwicklungen für die Jahre 2008 und 2010/11
analysiert haben. Ein ganzes Bündel an Ursachen hat der Professor ausgemacht:
Wachsendes Einkommen und veränderte Diäten zu tierischen Lebensmitteln haben
einen anhaltenden Nachfrageschub ausgelöst, der auf ein Umfeld gewohnter
Niedrigpreise stieß. Der subventionierte Biomasseanbau hat der
Nahrungsmittelproduktion Flächen entzogen und vor allem die Entwicklungsländer
haben in den Dekaden vorher keine wirklichen Fortschritte in der Steigerung der
Produktion erzielt. Die ersten Ansätze steigender Preise haben zu einem
kollektiven Politikversagen geführt: Exporte wurden eingeschränkt, was bei den
Importländern zur Förderung von Importanreizen geführt hat. Dieser zusätzliche
Nachfragesog hat den Teufelskreis steigender Preise weiter angeheizt. Prof.
Pies hat auch eine klare Aussage parat, ob neue Finanzprodukte und
Finanzakteure die Preisblasen gefüttert haben: „Nein, das ist nicht der Fall!“
Hier klafften öffentliche Wahrnehmung und sachliche Analyse auseinander. Fatal
werde das, wenn Politikempfehlungen auf der Basis der öffentlichen Meinung
mögliche Marktkräfte im Kampf gegen den Hunger ausklammern.
Der Wirtschaftsethiker betont,
dass die Einbeziehung des menschenrechtsbasierte Ansatzes von Handelslösungen
überfällig sei - aber genau abgewogen sein muss. Kleinbauern brauchen Hilfe und
Solidarität, aber nicht weil sie Kleinbauern und Dorfbewohner sind, sondern
weil Hunger und Armut ihre Würde als Mensch verletzt. Regionaler und sektoraler
Strukturwandel müssten dafür sorgen, dass sich die Kleinbauern aus ihrer
Subsistenzfalle befreien können.
Roland Krieg