Weltwirtschaft 2018

Handel

Containerumschlag-Index

Der Konsum heilt alle Wunden

Der Blick auf die Wirtschaft zum Jahreswechsel macht die einen zufrieden, die anderen unglücklich. Trotz Brexit, Trump und Nordkorea konsumieren die Deutschen so viel wie lange nicht mehr. Sowohl der Handel als auch die GfK melden hin und wieder „Eintrübungen“, „Dellen“ und „Flauten“ beim Konsum; doch die die Stimmungskurven verlaufen minimal schwankend auf hohem Niveau. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht in seiner Dezember-Prognose von einer Hochkonjunktur für Deutschland, ohne Gefahr einer Überhitzung. Auch wenn DIW-Präsident Marcel Fratscher über die deutsche Wirtschaft von einem „Scheinriesen“ spricht. Deutschland profitiere derzeit von niedrigen Zinsen und einer starken Weltkonjunktur. Die Politik müsse die richtigen Zeichen für Zukunftsinvestitionen setzen. Dann brummt es wohl weiter.

Handel und Konsum unbeirrt

Tatsächlich ist die Weltwirtschaft auf Erholungskurs. Nur Argentinien und Brasilien bleiben als nach vorne stolpernde Sorgenkinder mit 1,5 Prozent Wachstum für 2018 hinter den anderen Weltregionen zurück. Russland, China und Indonesien wachen mit jeweils über vier Prozent. Sogar in den beiden nächsten Jahren, prognostiziert das DIW.

Der Handel kann also seine ganze Kraft entfalten und Wohlstand in neue Bevölkerungsschichten bringen. Trotz US-Präsidenten Donald Trump. Je mehr er die USA in den Vordergrund rückt, desto mehr suchen US-Kunden neue Absatzmärkte. Und sie finden sie auch. Der Containerumschlag-Index des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen hat Ende 2017 neues Allzeit-Hoch erreicht. Von Abschottung und Renationalisierung scheint der Welthandel weit entfernt. Und lässt sich wohl auch 2018 durch Brexit, Trump und anderen Kalamitäten kaum schrecken.

Azevedo
WTO Generaldirektor Roberto Azevedo auf der 11. WTO-Ministerkonfernez in Buenos Aires

Bi statt Multi

Und dennoch sehen andere den Welthandel in einer Krise. Neue Freihandelsabkommen stehen bereits auf der Türschwelle [1]. Bilateral soll möglich sein, was multilateral auf einem Abschiebegleis steht. Die 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO endete im Dezember in Buenos Aires ergebnislos. Viel Hoffnung hatten die Spezialisten ohnehin nicht [2]. In Argentinien hatten sich die Minister auf Prüfung der Fischereisubventionen verständigt, doch soll erst im nächsten Jahr ein Beschluss dazu gefasst werden. Für zwei weitere Jahre wird die WTO die Tarife beim E-Commerce nicht infrage stellen, Vorschläge für die Einhaltung von Eigentumsrechten (TRIPS) und die Frage über Subventionen für die Lagerhaltung wurden weiter verschoben.

Wer, wenn nicht die WTO kann verbindliche Handelsregeln für alle festlegen? So aktiv deutsche Politiker an den bilateralen Handelsabkommen der EU mitarbeiten, so aktiv bleibt auch die Worthülse, doch eigentlich lieber über multilaterale Handelsbedingungen reden zu wollen. Gerade der Bereich Landwirtschaft beklagt sich über die wettbewerbsverzerrenden hohen Standards gegenüber Drittländern. Nahezu jeder Schutzmechanismus muss bei der WTO notifiziert werden. Da ist die WTO auch heute noch sehr erfolgreich. Der Streitbeilegungsmechanismus wird gerne und erfolgreich in Anspruch genommen. Im multilateralen Prozess können kleine Länder auch Koalitionen schmieden, verteidigte Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) die WTO bei der Deutschen Welle im letzten Jahr.

Doch genau das gilt auch als Problem. Im Gegensatz zu IWF und Weltbank ist die WTO „Mitgliedergetrieben“, wie es Martin Klein von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ schon 2009 beschrieben hat. Die Regeln werden für oder gegen andere Mitglieder gemacht. Das Sekretariat komme nie in die Gelegenheit, „besser Bescheid zu wissen, einen Vorsprung an Informationen zu haben“. Das führe zur „Machtlosigkeit der WTO als Organisation gegenüber ihren Mitgliedern“. Diese schließen lieber bilaterale Abkommen ab. Und halten untereinander still, wenn es um die multilaterale Bindung von Regeln und Standards geht. So wurde die WTO in der Finanzkrise durch regionale EU-Rettungsschirme und US-Garantien für Firmen marginalisiert, statt gemeinsame Lösungen zu schaffen. Vor dem WTO-Schiedsgericht landen dann eher Absurditäten, ob die peruanische Sardine in der EU auch als Sardine verkauft werden darf? [3]

Als Lösung schlägt Ökonom Klein eine Stärkung des Sekretariats zu mehr Eigenentscheidungen vor. Dann könne sich die WTO den Aufgaben widmen, die sie vor jedem Ministertreffen auch ankündigt. Und die von vielen Mitgliedern als bereits für beendet erklärte DOHA-Entwicklungsrunde vor dem Hintergrund der Pariser Klimaverträge und der UN-Agenda 2020 doch noch beenden.

Warum ist das wichtig?

Handel ist nicht mit steigendem Wohlstand gleichzusetzen. Aber Handel führt zur Integration in die Weltökonomie und leistet über verschiedene Kanäle einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Alexander Keck von der WTO konnte Anfang Dezember in Berlin den Anstieg der Löhne im untersten Arbeitsbereich in Vietnam, Thailand, aber auch in Rumänien und Ägypten nachweisen. In Deutschland würden nach der jüngsten Studie von WTO, IWF und Weltbank die Löhne der zehn Prozent Ärmsten um 56 Prozent unter dem heutigen Niveau liegen. Keck sprach sich auf der Wirtschaftsdienst-Konferenz „Weltmärkte im Wandel“ für Lockerungen auch in traditionell stark geschützten Bereichen wie der Landwirtschaft aus.

EU-Abdruck in der Globalisierung

Das europäische Statistikamt Eurostat hat zu Weihnachten mit der „brandneuen Veröffentlichung“ das Globalisierungsmuster des EU-Handels,  den Wirtschaftsabdruck in anderen Ländern zusammengetragen. Bei diesem Werk stehen nach Eurostat-Direktorin Mariana Kotzeva „die zunehmenden Handels- und Finanzströme zwischen der EU und der übrigen Welt, eine der wichtigsten Facetten der Globalisierung, im Mittelpunkt. Eine ausgewogene und fortschrittliche Handelspolitik ist eine der zehn Prioritäten der Europäischen Kommission.“

So hat die EU 2016 mit 304 Milliarden Euro noch vor China mit 226 Milliarden Euro den weltweit größten Handelsüberschuss erzielt. Die USA wiesen mit - 456 Milliarden das größte Defizit auf. Nach China mit 17 Prozent Anteil am Exportvolumen, ist die EU mit einem Anteil von 16 Prozent der zweitwichtigste Exporteur der Welt. Europa bewegt sich im Rahmen einer postindustriellen Wirtschaft hin zu einem Exporteuer von Dienstleistungen. Deren Steigerungsraten in Richtung Drittstaaten haben das Wachstum der gewerblichen Wirtschaft überholt.

Am Ende der Veröffentlichung sind Pilotstudien über globale Wertschöpfungsketten angefügt. So ist die eigene Wertschöpfung der 28 EU-Mitgliedsländer zwischen 2001 und 2011  immer stärker durch den Import von in Drittstaaten erzeugten Halbprodukten gestiegen. Umgekehrt haben die Länder mit eigenen Rohstoffen, wie Russland, Brasilien, Indonesien oder Australien die Erhöhung ihres Bruttosozialproduktes vermehrt über den Export gesteigert [4].

Offen mit geschlossenem Visier

Am 20. Dezember ist das neueste Schutzpaket der EU für die eigene Produktion und gegen Dumping aus Drittstaaten in Kraft getreten. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: „Die EU ist und bleibt einer der offensten Märkte der Welt. Sie ist und bleibt auch Vorreiter, wenn es darum geht, offenen, fairen und regelbasierten Handel zu verteidigen. Das darf jedoch nicht als Naivität missverstanden werden.“ EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström betont den Moment des Handelsschutzes: „Er unterstreicht die Entschlossenheit der EU, schlagkräftige und wirksame Handelsschutzinstrumente zur Anwendung zu bringen. Die EU setzt auf eine offene Wirtschaft. Aber wir müssen unsere Industrie auch vor unlauterem Wettbewerb durch Einfuhren schützen, vor allem aus Ländern, deren Volkswirtschaften aufgrund staatlicher Eingriffe erheblich verzerrt sind.“

Ein Jahr lang haben die Beratungen über handelspolitische Schutzelemente gedauert. Für die Berechnung von Dumping werden die unter Verdacht stehenden Produkte mit inländischen Preisen oder Kosten verglichen. Sind die inländischen Preise selbst durch Stützungsmaßnahmen verzerrt, sucht sich die Kommission andere Vergleichswerte. Diese Methodik könne WTO-konform bei jedem Welthandelsmitglied angewandt werden. Zuerst müsse aber der Nachweis gelingen, dass die Exportware des Ursprungslandes auch wettbewerbsverzerrend ist. Damit die Öffentlichkeit die Entscheidungen nachvollziehen können, sollen Länderberichte veröffentlicht werden. Als ersten Länderbericht hat die EU China ausgewählt, weil über deren Produktion die meisten Anti-Dumpingvorwürfe laufen. Die betroffenen Wirtschaftsbereiche sollen sich auf diese Länderberichte berufen können. Schon alleine die Fünf-Jahrespläne gelten als Eingriff in die Ökonomie [5].

Lesestoff:

https://www.wto.org/english/news_e/news17_e/mc11_13dec17_e.htm

[1] Internationale Handelsabkommen: https://herd-und-hof.de/handel-/jefta-mercosur-und-nafta.html

[2] EU bei der WTO nicht mehr in der Defensive https://herd-und-hof.de/handel-/kommission-erwartet-wenig-von-der-wto-ministerkonferenz.html

[3] Die Sardine vor Peru heißt Sardinops sagax sagax, während die Mittelmeersardine als Art Sardina pilchardus walbaum den Schutz der EU genießt, die wahre und einzige Sardine sein zu dürfen. Daher kommt die peruanische Verwandte in der EU nur als „sardinenartiges Produkt auf den Markt. https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds231_e.htm

[4] Eurostat: Globalisation patterns in EU trade and investment, 2017: http://ec.europa.eu/eurostat    

[5] Neues Anti-Dumpingpaket http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32017R2321

Roland Krieg; Grafik: RWI; Foto: WTO

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