Wer pennt auf dem Milchmarkt?
Handel
Molkereien nutzen Intervention nicht
Der Milchmarkt bleibt auch ohne Milchlieferstreik in
Aufruhr. Derzeit verlangt Aldi für einen Liter fettarme Milch nur noch 45 Cent,
für einen Liter mit 3,5 Prozent Fett mit 51 Cent nur wenig mehr. Der Discounter
kann sich das leisten, weil er nach Einschätzung des Bundesverbands Deutscher
Milchviehhalter (BDM) in der jüngsten Preisverhandlungsrunde die Preise nach
unten hat drücken können. Bis zu 4,5 Cent je Kilogramm haben die Molkereien
hinnehmen müssen. Ein Tiefpunkt, so der BDM, der das Milchpreisniveau gegen 30
Cent auf der Erzeugerstufe drückt. Für die zweite Jahreshälfte fürchtet der
Verband ein Preisniveau von 25 bis 27 Cent.
Unzufrieden ist auch der Deutsche Bauernverband (DBV).
Die Absenkung gehe gegen den Markttrend, Produkten mit gesonderten Umwelt- und
Nachhaltigkeitsanforderungen zu liefern und sei „ein Schlag ins Gesicht für
Verbraucher und Milchbauern“. Dem Verbraucher sei nicht zu vermitteln, dass
hochwertige Lebensmittel verramscht werden, während die Werbung „eine heile
Welt“ vorgaukele.
Die jüngste Preisrunde zeige, wer auf dem Milchmarkt
die Macht besitze, erklärte der Rheinische Landwirtschafts-Verband (RLV). Den
Molkereien stehen nur noch fünf Einkäufer gegenüber, so dass die Auswahl des
Verkaufskanals bescheiden bleibt. Das ist nicht nur ein deutsches Problem. Die
Käserei Beemster hat in der vergangenen Woche die Geschicke selbst in die Hand
genommen und bietet ihren Bauern eine Verdoppelung der Weidegangprämie an. Dort
wird eine erfolgreiche Marke für den Erfolg gerade stehen.
„Milch und Milchprodukte
müssen teurer werden, wenn wir uns in Zukunft noch mit heimischer Produktion
versorgen wollen“, forderte Hessens Landesbauernpräsident Friedhelm Schneider.
Nur das halte die derzeitige Erzeugungsstruktur aufrecht. Um mit dem Handel auf
Augenhöhe zu verhandeln, müssten sich die Molkereien mehr Marktmacht
erarbeiten. Das sei mit neuen, frischen und innovativen Produkten, die eine
höhere Wertschöpfung sichern zu erreichen.
Verarbeiter sind schuld
Die Bundesregierung hat den Preisdruck auf den Märkten
durch eine starke Produktionsausweitung erwartet, erklärte der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Gerd Müller aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium letzte Woche auf Anfrage der Bundesgrünen. Er
würde jedoch nicht von einer Krise sprechen.
Zum Jahresbeginn haben die europäischen Milchbauern
etwa vier Prozent mehr Milch als vor einem Jahr produziert. In den ersten
beiden Monaten kamen 22,20 Millionen Tonnen, rund 846.000 Tonnen mehr, auf den
Milchmarkt. In Deutschland nahm die Milchanlieferung sogar überdurchschnittlich
um 4,6 Prozent zu. Innerhalb der EU haben vor allem die osteuropäischen Länder
vom Baltikum bis Rumänien ihre Milchliefermengen um 10 Prozent erhöht.
Als Marktregulierung könne derzeit die private
Lagerhaltung genutzt werden, um überschüssige Milch vom Markt zu nehmen. Für
Butter liegen EU-weit nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums
Anträge für 50.000 Tonnen vor. Das sind rund 20.000 Tonnen mehr als im Vorjahr.
Die Intervention von Butter und Magermilchpulver, die seit dem 01. März
eröffnet ist, werde nach Einschätzung des BMELV von den Verarbeitern jedoch
nicht genutzt. Daher sei die Bundesregierung nicht gefordert, weitergehende
Maßnahmen in Absprache mit der EU zu initialisieren.
Die „Billigmilch“ ruiniert bei steigenden Kosten für
Futter und Energie die Existenz vieler Milchbauern, erklärte der BDM. Wegen
extremer Liquiditätsprobleme geben mehr Bauern als üblich, die Milchproduktion
auf.
Ohne Panik unzufrieden
Trotz Unzufriedenheit möchte aber auch der DBV nicht
zwingend von einer Krise sprechen. Die Abschlüsse beziehen sich lediglich auf
kurzfristige Vereinbarungen zwischen zwei und sechs Monaten. Panikmache würde
die Marktorientierung des Milchmarktes weder erleichtern noch eine starke
Position gegenüber dem Handel aufbauen. Absturzszenarien würden dem Handel in
die Hände spielen, erklärte der DBV Ende April. Die Grunddaten des Milchmarktes
seien „unverändert gut“, teilte der Verband am 25. April mit. Die weltweiten
Absatzchancen seien unverändert gut und der deutsche Käsemarkt stabil.
Milchreferent des Bauernverbands Schleswig-Holsteins Ulrich Goullon sieht
in einem Interview des Verbandes ein auseinanderdriften der Molkereien.
Spezialisierte Käsereien würden weiterhin hohe Auszahlungspreise festlegen
können, sinken werden die Preise bei den Molkereien mit hohem
Frischmilchanteil.
Lesestoff:
Wer hat die Marktmacht?
Beemster erhöht die Weidegangprämie