Werbung ist kein Beipackzettel

Handel

Wie sollen Lebensmittel beworben werden?

„Der totalen Idylle folgt der totale Absturz!“. Filmemacher Kersten Schüßler beschrieb dieses Jahr auf der Grünen Woche die Differenz zwischen Werbung und Realität in der Lebensmittelerzeugung. Grasende Kühe, Melkerinnen im Dirndl oder ein Brotaufstrich, der Familien gesund und glücklich macht haben mit Teiglingen von internationalen Backstraßen, die in Aufwärmautomaten angeboten werden oder Melkkarussels für 60 Milchkühen wenig zu tun. Wenn der Verbraucher dahinter kommt, dann gilt die Werbung gleich als Mogelpackung.
Wie Werbung und Lebensmittelinformationen zueinander stehen, diskutierte der Verein der Lebensmittelwirtschaft am Dienstag mit einem Marketingexpertin, einer Verbraucherschützerin und einem Journalisten im Kreis der Fachmedien. Ein Ergebnis: Werbung ist kein Beipackzettel.

Wie Werbung entsteht

Marketingfachmann Marcel Loko gab einen Überblick, wie Werbung entsteht. Firmen fragen die Agenturen an, die nach einem Gespräch über Zieldefinition und Selbstdarstellung der Firma Vorlagen erarbeiten. Davon werden einige ausgewählt und die Agentur bekommt die Chance für eine Präsentation im Wettbewerb mit anderen Marketingagenturen. Erst der Gewinner macht sich an die Umsetzung und muss eventuell nachgebessert werden, wen Testläufe mit Konsumenten zeigen, dass die Werbung durchgefallen ist.
Dabei gewinnt die intelligente Idee. Das kann durchaus realitätsfern sein, wenn die Fernsehmutter Rohstoffe in den Kühlschrank packt und am nächsten Tag das fertige Produkt entnimmt. Lebensmittel gehören zu den Fast Moving Consumer Goods, die so genannten Schnelldreher im Geschäft. Waren des alltäglichen Bedarfs die schnell konsumiert werden: „low cost, low intent“: einfach, simpel und direkt. Ganz im Gegenteil zur Autowerbung, die fast nur noch die Emotionen anspricht und bei denen Kunden monatelang Angebote prüfen und vergleichen, bevor sie sich entscheiden. „High price, high envolvement“, sagt Loko.

Welches Mogeln ist erlaubt?

Das Werbung kein Abbild der Realität ist, verstehen wohl die meisten Verbraucher. Selbst Marcel Loko gibt zu, dass der Einfluss von Werbung überschätzt werde.
Aber die Zeiten haben sich geändert. In der Gesellschaft hat ein Wertewandel stattgefunden. Der Bauer soll gleichzeitig Naturpark-Ranger sein und einen Streichelzoo für die Kleinen führen. Der Lebensmittelindustrie wird Verantwortung übertragen, nicht nur satt zu machen, sondern mit Functional Food und ordentlichen Rezepturen auch für die Gesunderhaltung ein Stück weit mitzutragen. Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg führt an, dass der Kunde zu 80 Prozent emotional über ein Produkt entscheidet und sich nur 1,6 Sekunden Zeit nimmt, um ein Lebensmittel aus dem Regal zu nehmen. Der Kunde will beim Kauf ein gutes Gefühl erleben, wenn er den Tierschutz gleich mitbezahlt, oder sich mit Süßwaren belohnt. Mittlerweile leidet er jedoch unter der „Werbedusche“: er findet offline und online, selbst in den Arztpraxen kaum mehr ein werbefreies Gebiet. Daher fühlt der Kunde sich zunehmend enttäuscht, wenn statt Früchte nur noch Aromen im Joghurt sind. Die Grenze zur Irreführung ist oft überschritten, so Schwartau. Firmen verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil mit unredlicher Werbung. Darunter leiden die ehrlichen Unternehmen.
Journalist Hugo Müller-Vogg sieht das ähnlich. Der Kunde hat lernen müssen, dass Schinken und Formschinken zweierlei Dinge sind. Die Lebensmittelindustrie verteidigt manche „Irrtümer“, weil sie im Lebensmittelbuch gesetzlich abgesichert sind [1] – doch Firmen nutzten den Freiraum leidlich aus. Das sei aber kein Problem der Werbung, sondern vielmehr der Gesetzgebung, erläuterte Müller-Vogg.

Mogeln, Lügen, Information

Auch wenn die Werbung kein Beipackzettel ist: Die Verbraucher werden Werbung als Werbung einordnen können. Unternehmen haben nach Müller-Vogg auch das Recht auf schlechte Werbung. Was Verbraucher aber auf das Portal Lebensmittelklarheit zieht, ist die Mimese von Sachinformationen. So hat die Verbraucherzentrale Niedersachsen ein zweiseitiges Informationsblatt zu den Versprechen „Ohne Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Aromen, Konservierungsstoffen etc“ herausgegeben. Sie listet penibel auf, welche Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Aromen und Konservierungsstoffe dennoch vorhanden sind.
Ebenfalls am Dienstag haben die Verbraucherzentralen die „Top Ten“ der Lebensmittel-Lügen“ herausgebracht: Light-Produkte als Kalorienbomben, Alkohol in Kindersnacks oder Luft statt Inhalt in den Verpackungen [2]. Die Werbegags sind nicht das entscheidende. Die Fehler bei den Sachinformationen sind der Aufreger. Da versagt die interne Branchenkommunikation. Auf der Jahrestagung hat der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde ein umfangreiches aber defensives Kommunikationspaket als Wahlprüfsteine vorgestellt. Dass einzelne Firmen umfangreiche Zutatenlisten bei verarbeiteten Lebensmitteln im Internet veröffentlichen, muss erst durch „investigative“ Interviews ans Tageslicht gebracht werden [3]. Beim Empfänger der Kommunikation kommt das Verdecken der Mogler und nicht das Loben der guten Beispiele an.
Dahinter steht aber noch etwas: Es fehlt das Binnenmarketing. Die CMA hatte bei den Verbrauchern einen guten Ruf. Rezepte, Tipps für das Kochen und Informationen über Begrifflichkeiten waren ein generischer Quell der Aufklärung. Das Fehlen einer übergeordneten Kommunikationsorganisation hat Platz für Kritiker geschaffen.
Die Gesellschaft erwartet auch von der Lebensmittelindustrie Antworten auf gemeinsame Probleme. Die Weltgesundheitsorganisation WHO will angesichts der Adipositas-Epidemie zumindest die Werbung für Kinder deutlich einschränken [4]. Stephan Becker-Sonnenschein, Geschäftsführer des Vereins "Die Lebensmittelwirtschaft", verweist zwar auf die europäische PLEDGE-Initiative, wo sich Fast Food Unternehmen und Lebensmittelindustrie auf freiwillige Selbstbeschränkungen geeinigt haben, aber nach Silke Schwartau reicht das nicht aus.

Die Werbung der Zukunft

„Werbung macht den Markt übersichtlicher“, sagte Müller-Vogg. Er meinte das zwar im Sinne der Transparenz, aber das Wort „übersichtlich“ beinhaltet auch eine „Vereinzelungsperspektive“. Die meisten Menschen nehmen nur einen kleinen Teil der Werbung wahr. Es sind immer die gleichen Firmen, die sich teure Werbung im Abendprogramm oder bei der Formel 1 leisten können. Das Handwerk hat keine Chance dort präsent zu sein. Verbraucher informieren sich mittlerweile über die sozialen Netzwerke über Produkte. Da findet auch der traditionelle Bäcker und der Fleischermeister seinen Platz. Und die „kleinen“ finden dort die Balance zwischen Werbung und Sachinformationen. Für Botschaften, die nicht mehr in einen TV-Spot passen. „Das ist ein Riesentrend“, blickt Marcel Loko in die Zukunft. Für den Blick abseits des Mainstreams ist der Konsument selbst verantwortlich.

Lesestoff:

www.lebensmittelwirtschaft.org

[1] Kundenirrtümer aus Sicht der Lebensmittelindustrie

[2] „So trickst und täuscht die Lebensmittelbranche“; www.vz-nrw.de

[3] BLL-Jahrestagung 2013

[4] WHO-Konferenz in Wien

Dialog statt Klagen: Zwei JahreLebensmittelklarheit

Roland Krieg

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