Wertschätzung Brasiliens
Handel
Regierungskonsultation mit Brasilien
Heute reisen Vertreter von elf Ressorts, darunter sechs Bundesminister, und Staatsministerin Monika Grütters mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Brasilien. Die Minister Christian Schmidt für das Agrar- und Dr. Gerd Müller für das Entwicklungsministerium sind mit dabei. Schmidt hat seine eigene Südamerikareise und wird zu den Konsultationen in Brasilia dazu stoßen. Fehlen wird Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der durch einen Staatssekretär vertreten wird. Das liege am Urlaubsmonat August, heißt in Berlin und „spielt jetzt keine entscheidende Rolle“.
Während Deutschland mit einigen europäischen und Drittstaaten Konsultationen auf dieser breiten Ebene schon länger führt, ist das für Brasilien Neuland. Neben den breiten und vertieften Kontakten haben solche Regierungskonsultationen den Vorteil, dass Arbeitsaufgaben auf diesen Termin hin zugeschnitten werden. Brasilien dürfte sich geschmeichelt fühlen, denn das Land ist nicht nur das größte in Südamerika und ein globaler Mitspieler neben Deutschland geworden, sondern schon immer ein wichtiger wirtschaftlicher Partner gewesen. Die Aufwertung dürfte ein Signal an die Brasilianer sein, die ohne Abschluss von Mercosur und bei Abschluss des TTIP-Abkommens zwischen den USA und Europa ohne freihandelsstaatlichen Bindungen in den Norden isoliert erscheint. Die Volkswirtschaften in Deutschland und Brasilien sind 3,7 und 2,4 Billionen US-Dollar groß und die Länder kooperieren lediglich über die G20-Gruppe zusammen.
Die Wirtschaft steht im Vordergrund. Diesmal aber weniger die mitgereisten Vertreter, sondern die Vertreter der deutschen Wirtschaft vor Ort. Sie werden bei einem gemeinsamen Frühstück teilnehmen. Rund 1.300 deutsch-brasilianische Unternehmen erwirtschaften etwa zehn bis 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das gemeinsame Handelsvolumen beläuft sich auf 20 Milliarden Euro. „Eine Investitions-Initiative“ ist allerdings nicht vorgesehen. Derzeit haben deutsche Unternehmen rund 19,4 Milliarden Euro in Brasilien investiert. Da aber vor allem die Energiekosten stark angestiegen sind, hat der Standort an Attraktivität verloren.
Weitere Themen sind Wissenschaft, Innovation und Technologie sowie Antworten im Bereich der Klima- und Umweltpolitik. Das Treffen findet vor den beiden Konferenzen in New York zu den Sustainable Development Goals im September und im Dezember in Paris zum Klimavertrag statt. Geplant ist eine Neuzusage im Rahmen der Zusammenarbeit über nachhaltige Entwicklung in Höhe von mehr als 500 Millionen Euro über das BMZ. Die Verhandlungen im Vorfeld sehen das Geld für Klimafragen und für die Unterstützung der internationalen Klimaschutzinitiative vor. Weitere Etatposten sollen biologische Vielfalt, Schutz und nachhaltige Nutzung des Regenwaldes, erneuerbare Energien und Energieeffizienz sein. Mit Brasilien besteht ein Projekt zur Ausweitung von Schutzgebieten. Außerdem soll ein Umwelttechnologiezentrum in Form einer Dreieckskooperation mit Peru aufgebaut werden. Deutschland und Brasilien wollen gemeinsam die Katastrophenvorsorge für Mosambik unterstützen und mit Uruguay die AIDS-Bekämpfung.
Neuland ist das nicht, denn zwischen beiden Ländern findet ein intensiver Akademikeraustausch statt. Aktuell studieren rund 3.000 Brasilianer in Deutschland und es gibt 500 Hochschulpartnerschaften.
Herausforderungen „do Brasil“
Noch vor fünf Jahren konnte Basilien ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent aufweisen. Der IWF sagt in diesem Jahr eine Rezession voraus. Mit einem Wachstum von minus einem Prozent sind dessen Prognosen noch vorsichtig. Als Gründe gelten die mit neun Prozent angegeben Inflationsrate, ein schwacher Konsum bei 200 Millionen Einwohnern, einen Einbruch in der Kfz-Produktion von 18,5 Prozent und ein Rückgang der Industrieproduktion im ersten Halbjahr um 6,3 Prozent [1].
Die Zahlen machen es nicht einfach, Klimaziele zu formulieren. Aus Brasilien fehlen sie noch für Paris. Über BRICS [2] und als Entwicklungsland im Verbund der G77 verzeichnet das Land eine starke Stimme.
Auf der anderen Seite des Atlantiks gibt es mit „buy brasilian“ eine Regionalbewegung wie in Deutschland und Europa, die aber als Vorgabe bei einer Auftragsvergabe den Frieden des Freihandels stört. Ein Unterthema auf der Wirtschaftsagenda. Aus Regierungskreisen heißt es, dass sich Brasilien eher bei den Klimaverhandlungen, als bei den Handelsthemen bewege.
Zittern am Zuckerhut
In den letzten Tagen demonstrierten Hunderttausende in Brasilien gegen die Präsidentin Dilma Rousseff. Es ging nicht nur um die schlechte wirtschaftliche Lage, sondern vor allem um den Schmiergeldskandal bei Petrobas in Höhe von 723 Millionen US-Dollar. Rousseff saß sich zwischen 2003 und 2010 im Aufsichtsrat der Firma. Da flossen bereits die Gelder, doch Rousseff bestreitet, davon gewusst zu haben.
Das alles bleibt der deutschen Wirtschaft nicht verborgen. Sparmaßnahmen laufen, doch weitere notwendige Pakete werden im Kongress von der Opposition blockiert. Der Ausbau der Infrastruktur für die Olympischen Spiele 2016 ist ins Stocken geraten, vermeldet German Trade and Invest. Nicht nur ausländische, sondern selbst heimische Unternehmen zögern, zu investieren. „Viele Unternehmen vertagen neue Investitionen, bis sich eine bessere Konjunktur abzeichnet. Der Sparkurs der Regierung wird kurzfristig womöglich noch mehr auf die Stimmung drücken“, prognostiziert Brasilienexperte Oliver Döhne. Ein Tropfen Hoffnung bleibt: Brasiliens Ressourcen sind für einen dauerhaften Absturz zu groß.
Defizitär ist die Forschung. Brasilien gibt nicht mehr als 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung aus. Ein Großteil komme dazu aus dem öffentlichen Sektor. In Deutschland sind es drei Prozent. Innovationen gelten Döhne als ein Weg aus der Krise. Die Fraunhofer-Gesellschaft arbeitet an Projekten, die eine Brücke zwischen Forschung und Wirtschaft bauen. Im Bereich der Kreislaufwirtschaft arbeiten mehr als 30 Forschungsinstitute im Verbundprojekt „Bragecrim“ seit 2009 zusammen [3].
Als Hindernis für Innovationen gelten überbordende Bürokratie und Reglementierungen, niedrige Qualifikationen von Arbeitskräften sowie fehlende Anreize und eine schwierige Finanzierung.
Schmidt in Südamerika
Christian Schmidt reist nicht alleine. Er wird von Prof. Dr. Hensel (Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR), Prof. Dr. Backhaus (Julius Kühn-Institut, JKI) und Dr. Heinrich Graf von Bassewitz (Ökobeauftragter des Deutschen Bauernverbandes, DBV) begleitet. In Brasilia trifft er seine Amtskollegin Kátia Abreu. Themen sind die Rolle beider Länder für die Welternährung und Herausforderungen durch den Klimawandel. Beide Länder haben eine Bioökonomie-Strategie entwickelt. „Wir wollen unsere Anstrengungen im Bereich der Agrarforschung noch besser miteinander verzahnen und vor allem bei der Bioökonomie voneinander profitieren“, sagte Schmidt zur Abreise nach Südamerika. Der Agrarhandel ist für beide Länder wichtig. Schmidt will sich vor allem über das Angebot von gentechnikfreier Soja erkundigen.
Vorher wird er Uruguay besucht haben. Schon dort will er sich nach GV-freiem Soja erkundigen. Dieser Markt könnte von Uruguay künftig bedient werden. Derzeit wird ausschließlich herbizidresistente Soja angebaut. Mit seinem Amtskollegen Tabaré Aguerre besucht er die älteste Forschungseinrichtung La Estanzuela in Colonia. Deren Themenschwerpunkt liegt auf der Pflanzengenetik.
Schmidt wird drei Gastwissenschaftler für das BfR in Berlin berufen. Für drei Monate werden sie die Themen Forstwirtschaft, Saatgutzertifizierung, Lebensmittelsicherheit und Risikoanalyse sowie Pflanzenzucht bearbeiten.
Zum Abschluss reist Schmidt nach Argentinien. Bei Agrarminister Carlos Horcia Casamiquela geht es ebenfalls um Welternährung und Nachhaltigkeit sowie um Ökolandbau. Umgerechnet kann Argentinien mit 400 Millionen Menschen 80 Prozent der europäischen Bewohner ernähren. Der freie Agrarhandel ist Voraussetzung dafür. In Argentinien hat Schmidt dann auch das Thema Mercosur auf der Agenda. Er will sich für einen zügigen Abschluss einsetzen.
Das Ökothema ist wichtig. Argentinien hat hohe Standards und steht seit 1996 als eines der ersten Länder auf der EU-Drittlandliste. Die Produktions- und Kontrollstandards dieser Listenländer gelten als gleichwertig mit denen der EU. Das Thema ist heikel, da die Kommission im Rahmen der EU-Ökoverordnung keine Vergleichbarkeit, sondern identische Standards vorgesehen hatte.
Lesestoff:
[1] Nur der Agrarsektor macht Brasilien glücklich
[2] BRICS wird Mitspieler in der Weltökonomie
[3] www.bragecrim.rwth-aachen.de
Roland Krieg