„Wettstreit um die Opferrolle“

Handel

Jeder in der Ernährungsbranche fühlt sich im Recht

„Wir befinden uns in einem semantischen Krieg“ stellte Christoph Minhoff, Kommunikationsexperte, früherer Medienschaffender und neuer Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) auf dem 28. Frische Forum Fleisch während der Grünen Woche in Berlin fest. Erzeuger, Händler und Lebensmittel werden in „Gut und Böse“ eingeteilt, ohne dass die Verbraucher eine Chance erhalten, sich ein ganzes Bild zu machen. Es sei ein „Wettstreit um die Opferrolle“ entbrannt.

Probleme auch hausgemacht

Marketingexperte Thomas Herschel hinterfragte die aktuellen Beziehungen zwischen Handel und Produzenten. Erfahrungen ließen sich in einzelne Sätze des Handels zusammenfassen: „Wir verhandeln nicht, wir diktieren.“ Wertschöpfung durch Wert-ab-schöpfung beim Hersteller“. „Wir reagieren nicht bei allgemeinen Kostensteigerungen.“
Am Ende liegt die Gewinnspanne in der Fleischbranche bei 1,5 Prozent vor Steuern, weswegen es Zeit wäre einen „Fair Trade“ auch in Deutschland einzuführen. Zwei Lösungen bietet Herschel an: „Kostensteigerungen müssen wieder Teil der Verhandlungen zwischen Handel und Erzeuger werden“ und Verzicht auf Markenprogramme. Zu viele Markenprogramme schafften Qualitäten zweiter Wahl, die Druck auf die Preise der Qualitätswaren ausüben.

Verbraucher zum Fan machen

Die Böseler Goldschmaus aus Garrel produziert mit 395 Erzeugern Qualitätsfleisch. Die Bauern halten einen Anteil von 50 Prozent, bei der Futtermühle von 24 Prozent, erklärte Marketingleiterin Dr. Martina Oetjen. Die Bauern haben eine eigene Tierschutzgruppe gebildet und tauschen sich regelmäßig über die neuesten Erkenntnisse aus. Pro Jahr werden die Betriebe drei- bis viermal kontrolliert, während der konventionelle Standard bei jedem dritten Jahr liege.
Der Erfolg bei den Verbrauchern führe nicht über rationale Sachargumente, sondern über Emotionen. Aus diesem Grunde hat sich Böseler Goldschmaus mit Thönes und Tönnies, einem Biofleisch-Produzenten und Deutschlands größtem Schweineschlachter, der Tierschutzorganisation „pro Vieh“ angeschlossen und erarbeitet seit 2011 ein Punktesystem für eine bessere Schweinehaltung.
Kommunikation steht dabei im Vordergrund. Oftmals können Verbraucher keine eigenständige Kritik an der Tierhaltung wiederholen, beklagt Dr. Oetjen. Sie kennen nur die knappen Vorgaben der Umwelt- und Tierschutzverbände. Dadurch sind auch die Grenzen für manche Wünsche nicht bekannt.

Beispiel Ebermast

So sei Böseler Goldschmaus euphorisch in die Ebermast eingestiegen und die ersten 1.500 Tiere unterstrichen die Entscheidung. Keine Stinker. Der Ausbau der Produktion gelang aber nicht mehr. Bei 1.000 Eber pro Woche wurden mehr Stinker gefunden, die mit dem Ebergeruch das Fleisch verderben. Am Ende lag der Anteil dieser Tiere bei acht Prozent und niemand wusste, „wohin damit“.
Das Beispiel zeigt, dass Tierschutz durchaus seine Grenzen hat, die noch überwunden werden müssen. Der Verbraucher müsse sich darüber im Klaren sein, dass seine Tierschutzwünsche zu geringerer Produktivität führten, die entlohnt werden muss.

Roland Krieg

[Sie können sich alle Artikel über die diesjährige Grüne Woche mit dem Suchbegriff „IGW-13“ im Archiv anzeigen lassen]

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