Wie nachhaltig ist Deutschland?

Handel

Nachhaltigkeit – Made by Germany

Reicht das Regionalfenster aus, die lokale Wirtschaft zu fördern oder den Kunden Orientierung für ihren täglichen Einkauf zu geben? Oder fehlt es nicht doch an regionaler Strukturpolitik? Ist die Energiewende auf einem guten Weg oder liegen die verschiedenen Positionen schon so weit auseinander, dass die Energiewende gescheitert ist?
Die Argumentationen sind Jammern auf höchstem Niveau, denn der zweite Nachhaltigkeitsbericht über Deutschland weist der Arbeit gute Noten aus. Und fordert das Land auf, seine Vorreiterrolle in Sachen grüner Wirtschaft auch auf der Weltbühne wahrzunehmen.
Das ist ein Fazit des von der Bundesregierung beauftragten nach 2009 zweiten Nachhaltigkeitsberichtes, der bereits dem Bundeskanzleramt vorliegt, aber nicht vor der Bundestagswahl veröffentlicht werden sollte, um den Wahlausgang nicht zu beeinflussen. Das berichtete Prof. Dr. Björn Stigson, Vorsitzender der internationalen Expertengruppe, die ein Jahr lang Wirtschaft, Nichtregierungsorganisationen und die Politik frei befragen durfte, um ihren unabhängigen Bericht zu erstellen. So weit ist noch kein Land gegangen, unterstrich Prof. Stigson.

Auf dem Weg zum „Grand Design“

„Gegenwärtig ist die Welt als Ganzes eindeutig weit vom Gelingen des Wandels hin zur Nachhaltigkeit entfernt“, heißt es in dem Bericht. Das gilt demnach auch für Deutschland; doch zeigen sich die Experten tief beeindruckt, was die Bundesrepublik seit 2009 auf den Weg gebracht hat. Es reicht nicht für eine „Eins mit Sternchen“, aber als Blaupause für die vielen Länder, die von der biobasierten Wirtschaft weiter entfernt sind.
Im Zentrum steht die Energiewende, die es mittlerweile auch als eigenständiges Wort in den englischen Sprachschatz gebracht hat – zentral wie das Butterbrot im Russischen. Die Energiewende sei die umfassendste Umwälzung der gesamten Gesellschaft seit der Wiedervereinigung. Zahlreiche Empfehlungen aus dem ersten Bericht wurden umgesetzt. Sichtbar sei das zwar weniger auf der Bundes-, aber umso mehr auf der lokalen Ebene, wo nach Prof. Stigson auch weltweit mehr passiert, als wahrgenommen wird. In Deutschland werde das sichtbar durch die Vorbereitungen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie 2016, mit der im nächsten Jahr begonnen wird.

Ein Energiewendeministerium

Der zweite Bericht kommt dennoch nicht ohne Empfehlungen aus. So sollen die Kapazitäten für mehr Nachhaltigkeit besser gebündelt und koordiniert werden. Das gelte vor allem für die Energiewende, für die schon im ersten Bericht ein eigenständiges Ministerium vorgeschlagen wurde. Die Politik aus allen Ressorts müsse kohärenter auf die Nachhaltigkeit hin überprüft werden. Oft werde die soziale Dimension vergessen, was sich in neuen Bewertungsmaßstäben für ein alternatives Bruttosozialprodukt widerspiegeln kann [1].

Forschung und Bildung

„Mehr Forschung und Bildung“ heißt die Abschlusswendung fast aller Reden. Auch der Nachhaltigkeitsbericht fordert das ein. Ein Blick auf die Forschungslandschaft aber zeigt, dass es an Forschung nicht mangelt [2]. Den Einwand ließ Prof. Stigson aber nicht gelten. Die Experten haben mit verschiedenen Forschungseinrichtungen und dem Forschungsministerium gesprochen. Die Wissenschaftler wünschen sich eine allgemeine Vorgabe, an was sie forschen sollen, was die Politik als Engpass definiert. Sonst bieten sie Lösungen an, die nicht auf bestehende Probleme zugeschnitten sind. Allerdings investiert Deutschland mehr in Institutionen und Rahmenbedingungen als in direkte Projekte, kritisiert Prof. Stigson. Dabei können Innovationen wie neue Speichertechnologien wirklich neue Zeitenwenden herbei entwickeln. Das technologieorientierte Deutschland sollte diese Möglichkeiten mehr nutzen. Das Forschungsministerium sei bemüht, mehr Partner aus der Wirtschaft zu gewinnen [3].
Generell fehle es aber der Welt an neuen Studiengängen, die einen Abschluss im Bereich der Nachhaltigkeit anbieten, bemängelte Prof. Stigson.

„Der grüne Wettbewerb“

Meist werden die Streitpunkte über den richtigen Weg zur Nachhaltigkeit aus dem Blickwinkel eines Rennens zwischen „grüner Wirtschaft“ und „fossiler „Wirtschaft“ aufgefasst. Nach Ausführungen von Prof. Stigson verschleiert das den Blick auf den „grünen Wettbewerb“. Genauso schief ist der Blick auf China. Das Land mit vielen neuen Kohlekraftwerken ist auch ein Land mit vielen, neuen Umweltprogrammen [4]. Nach Besuchen in China weiß Prof. Stigson, dass das Land auch bei Solar- und Windkraft die Vorreiterrolle auf dem Weltmarkt übernehmen will. Wer das verpasst, endet wie Detroit, der Autostadt, deren Automobilindustrie sich gegen Benzineffiziente Fahrzeuge wehrte. Deutschland dürfe Nachhaltigkeit nicht nur im moralischen Sinne verstehen, sondern auch als Marktchance für Technologien interpretieren, die verkauft werden können.

Vorreiter Deutschland

Europas Anteil an innovativer Technik am Weltmarkt beträgt 30 Prozent. Die Hälfte davon kommt aus Deutschland. Schon deshalb sollte Deutschland die Vorreiterrolle auf der Nachhaltigkeitsbühne aktiver wahrnehmen, fordert der Bericht. Er führt den Leser von der globalen über die europäische auf die deutsche Ebene und sieht die Bundesrepublik in der Position, aus dem Qualitätszeichen „Made in Germany“ ein Nachhaltigkeitsversprechen „Made by Germany“ zu machen. Prof. Stigson glaubt, dass die anderen Länder sich das auch Wünschen. Aus diesem Grunde schauen sie auf die „Energiewende“ und wie die Deutschen das trotz Finanz- und Wirtschaftskrise hinbekommen.

Label: Weniger ist mehr

Rund 400 Nachhaltigkeitssiegel gibt es Deutschland und ständig kommen neue hinzu. Die Verbraucher haben längst die Orientierung verloren. Vor allem die jungen Menschen wünschen sich nach Prof. Stigson einfachere und weniger Systeme [5]. Die vielen Label sind durchaus glaubwürdig, aber spiegeln zu viele mögliche Lösungswege wider. Der Schwede hat für Deutschland einen einfachen Rat: Sich mehr an den europäischen Vorgaben halten.

Lesestoff:

Den Nachhaltigkeitsbericht finden Sie auf www.nachhaltigkeitsrat.de -> Projekte (Peer Review)

Interview 2012 mit Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für nachhaltige Entwicklung

[1] Hier hat die Enquete-Kommission des Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ über zwei Jahre hinweg interfraktionelle Vorarbeit geleistet, die von der Bundesregierung umgesetzt werden soll

[2] Energie: Die unbekannte Wende: Sozialwissenschaftliche Aspekte

[3] Das die Technologieorientierung in Deutschland auch Grenzen hat, zeigte Umweltminister Peter Altmaier erst kürzlich auf dem EU-Umweltrat: Kiosk zur Kritik an CO2-Politik

[4] Vielfältige Ökosystemleistungen in China

[5] Wie viel Label braucht die Nachhaltigkeit

Roland Krieg

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