Wie viel Liberalisierung für die Landwirtschaft
Handel
Diskussionsrunde in der Rosa-Luxemburg-Stiftung
> Das Jahr 2005 ist das Jahr der Armutsbekämpfung, um im fünften Jahr nach Festsetzung der Milleniums-Enwicklungsziele den drei Milliarden armen Menschen auf diesem Planeten ein Leben ohne Hunger und Armut zu ermöglichen. Fast drei Viertel der Ärmsten leben im ländlichen Raum, 300 Milliarden US-Dollar stecken die OECD-Länder in ihre Landwirtschaft und zerstören Agrarmärkte durch den Export von Produkten zu Dumpingpreisen. Globalisierung soll den Armen über einen Marktzugang Einkommen geben – auf der anderen Seite warnen die Globalisierungsgegner vor ungerechten Marktstrukturen. Fairness ist gefordert, weshalb die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin gestern Abend zu der Gesprächsrunde „Wie viel Liberalisierung verträgt die Landwirtschaft?“ einlud. Der ehrenamtliche Leiter des Landespolitischen Podiums der Stiftung, Dr. Wolfgang Jahn, verwies in seiner Einführung auch auf den Ratschlag bei der Vorbereitung der Runde, dass „eine links orientierte Stiftung gegen die Globalisierung“ sein müsse. Doch das Wort des „diskriminierenden Protektionismus“ angesichts der Schutzzölle in der EU und den USA, ist schon längst keine Bezeichnung mehr aus der linken Ecke der Republik. Dr. Jahn will die Globalisierung auch nicht als „verklärten allgemeinen Wohlstand“ verstanden wissen, sondern forderte Fairness in der Umsetzung der Globalisierung ein. Wie und nicht mehr wozu
Brandenburgs Landwirtschaftsminister Dr. Dietmar Woidke sieht mit der Umsetzung der laufenden Agrarreform das Thema tagesaktuell auf der politischen Agenda. Liberalisierung ist kein gottgegebener Prozess, sondern wird durch Menschen gestaltet, die deshalb auch den Einfluss haben, die Umsetzung zu gestalten. Es wird Gewinner und Verlierer geben, aber nicht mehr die Frage, ob die Globalisierung noch aufzuhalten ist, sondern nur „wer gestaltet auf wessen Kosten“. 300 Millionen Chinesen gibt es bereits, die durchschnittlich mehr Geld verdienen als der Durchschnittseuropäer. Dieses Nachfragepotenzial fordert einen gemeinsamen Weltmarkt. Dr. Woidke sieht allerdings auch Befürchtungen, wenn seine Bundesministerin 1 Million Tonnen Bioethanol in die EU hineinlassen will, obwohl gerade die Biomasseproduktion für die Bauern ein neues wirtschaftliches Standbein garantieren könnte. Daher sind Standards in den Bereichen Umwelt, Qualität und soziale Standards ein guter Regulator für fairen Warenverkehr.
Im Emsland gibt es etwa 140 Millionen Masthühner und Oldenburg ist eine der acht starken Wachstumsregionen in Deutschland. Wiesenhof kauft Futter weltweit ein, mischt in Cuxhaven, schlachtet im Emsland und schafft Arbeitsplätze. Aus dieser Region stammt Hans-Michael Goldmann, Sprecher für Ernährung und Landwirtschaft der FDP im Deutschen Bundestag. Für ihn lebt das Emsland bereits seit vielen Jahren in der Globalisierung. „Wenn Brasilien besser Zucker produzieren kann als Deutschland“, dann soll es so sein. Die europäischen Zuckerzölle von 300 Prozent und „abenteuerliche“ Reiszölle in Japan sind Hindernisse im Welthandel, die harmonisiert werden müssen, so Goldmann: „Zum Abbau gibt es keine Alternativen.“ Er vergleicht die Globalisierung mit der EU-Erweiterung und sieht dort in der deutschen Agrarwirtschaft zur Zeit die einzigen Gewinner. Einer von den Globalisierungsgegnern oft geforderten Regionalisierung der Produktion erteilt der Politiker eine Abfuhr. Die Verbraucherwünsche sind mittlerweile so differenziert, dass sie mit ausschließlich regionalen Produktion gar nicht mehr zu erfüllen sind. Die Regionalisierung „ist ganz niedlich, aber keine Antwort auf die internationalen Herausforderungen vor denen wir stehen.“ Schließlich gibt es auch schon weder bei Milch und bei Getreide oder Schlachtvieh noch nationale Märkte.
Deutliche Kritik an der Globalisierung gab es dann von Hans-Jörg Krause, agrarpolitischer Sprecher der PDS im Landtag Sachsen-Anhalt. Im bisherigen Verlauf der Globalisierung ist die Zahl der hungernden Menschen größer geworden. Er weiß auch warum: Die Globalisierung beschäftigt sich nur noch um das weltweite Management von Warenströmen. Es werden die Ziele des Handels formuliert. Deren Folgen sind nicht abschätzbar und werden gar nicht erst betrachtet.
Über die Folgen sprach Dr. Rudolf Bunzel-Cano, Beauftragter für Welternährungsfragen des evangelischen Entwicklungsdienstes. Realpolitisch geht es tatsächlich nur noch um die Frage, wie die Globalisierung gestaltet werden kann. Der deutsche Verbraucher verzehrt beim Hähnchen am liebsten Brust und Keule. Da seit der BSE-Krise kein Tiermehl mehr verfüttert werden kann, wird der Rest des Schlachtkörpers, quasi als Abfall, nach Westafrika exportiert und konkurriert dort mit heimischer Ware. „Destruktive Auswirkungen“ der Globalisierung ist der Zusammenbruch für heimisches Geflügelfleisch durch billigste EU-Ware. Über die Verschuldungsproblematik habe der Internationale Währungsfonds schon vor der Globalisierung auf reduzierte Zölle bei den Entwicklungsländern gedrungen, so dass bei den aktuellen Verhandlungen, die im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) geführt werden, ein gleichgerichteter Abbau aller Zölle die Industrieländer bevorzuge, so Dr. Bunzel-Cano: „Die größten Sünder müssten die größeren Schritte machen.“
Standardlösung
Arbeitsschutz, tarifliche Bezahlung, Ausbildung, Mutterschutz und Arbeitsrecht sind beispielsweise als soziale Standards festgelegt. Zusammen mit Umweltstandards können rechtliche Rahmenbedingungen oder die Agrardieselbesteuerung Kosten im Produktionsrahmen erhöhen. Wer also die Standards nicht hat, produziert billiger. Krause sieht darin ein Argument, dass Brasilien durchaus billiger Zucker produzieren kann als Deutschland, jedoch: ist das vergleichbar? Bei den WTO-Verhandlungsrunden gibt es grüne, blaue und violette Boxen denen Direktzahlungen und Subventionsleistungen zugeordnet werden. Die Ökonomen und Politiker versuchen damit einzelne Maßnahmen in nicht, weniger oder stark wettbewerbsverzerrende einzuteilen. Dr. Bunzel-Cano sieht das allerdings nur als Trick, die Öffentlichkeit zu verwirren.
Allerdings sind sich alle darüber einig gewesen, dass Standards die Möglichkeit bieten, Produktionen miteinander vergleichbar zu machen und darüber einen fairen Warenaustausch für alle Beteiligten zu gewährleisten.
Braucht Europa Schutz?
Meist wird in der Globalisierungsdebatte der Schutz für die Entwicklungsländer in den Vordergrund gestellt. Goldmann hingegen wird deutlich. Bei Abbau aller Schutzzölle und Direktzahlungen ist die Milchproduktion in Ostdeutschland wegen der höheren Lohnkosten gegenüber dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. Er fürchtet die Aufgabe einer flächendeckenden Landwirtschaft. So würden in Europa bei Aufgabe der Zuckermarktordnung die süßen Kristalle nur noch in Teilen Deutschlands und Nordfrankreich produziert werden.
Dr. Woidke sieht die seit Januar laufende Agrarreform der EU bereits als Umsetzung der WTO-Ergebnisse: Die Forderung nach einer weltweiten wettbewerbsfähigen Produktion benachteiligt die deutsche Agrarwirtschaft. Zwar könne die Reform zu einem „bürokratischen Monstrum“ werden, wenn die Bauern alles aufzeichnen und angeben müssen, aber generell ist die Zeit der prämienoptimierten Produktion vorbei. Die Entkoppelung der Gelder von der Produktion verändert Brandenburg, so der Minister. Es werden Flächen aus der Produktion genommen werden. Vor allem dort, wo nur Rohstoffe angebaut werden. Regionen mit Veredlung und Verarbeitung werden die Landwirtschaft behalten können. 19 Gesetze im Bereich des Cross Compliance gibt es, bei denen Gelder auch für Umweltaufgaben gezahlt werden können.
Er verspricht jedoch, dass nur die Bauern auch Gelder bekommen sollen, die auch eine Fläche bewirtschaften. Land, dass nur alle zwei Jahre einmal gemulcht werden muss, ist nicht förderungswürdig. Gelder werden gebraucht, um im ländlichen Raum wieder Arbeitseinkommen erzielen zu können.
Das allerdings ist nicht einfach, denn die nächste große Aufgabe der EU ist die Zuckermarktordnung (Herd-und-Hof.de 12.11.2004). Mit einem Selbstversorgungsgrad von 150 Prozent hat die Branche diesen Markt selbst „an die Wand gefahren“, wie Dr. Bunzel-Cano feststellt. Er hat für das Bundeslandwirtschaftsministerium ein Gutachten über die Reformideen ausgearbeitet. Am wichtigsten ist die Mengenreduzierung. Die EU möchte in einem zweiten Schritt auch die Preise um 36 Prozent senken. Damit wären alle Rübenbauern in Südeuropa und Skandinavien aus der Produktion. Der Entwicklungspolitiker sieht dieses Ziel in der Reform enthalten. Draußen wären auch die ehemaligen Kolonialstaaten, die über Handelspräferenzen bevorzugt in die EU liefern dürfen. Das absurde System des Zuckermarktes muss reformiert werden. Dr. Bunzel-Cano akzeptiert die Mengen-, nicht jedoch die Preisreduzierung. Dem Weltmarkt gingen rund 5 bis 6 Millionen Tonnen europäischer Zucker verloren, was dann von Brasilien ausgeglichen werden kann ohne den europäischen Markt durch Importzucker zu belasten. Goldmann sieht in dem Verzicht auf die Preisreduzierung die Gefahr, dass vor allem Mauritius Zuckerquoten aufkauft und dann zu hohen Preisen zusätzlich nach Europa verkaufen kann. Die alten Kolonien kommen auf diese Weise gar nicht mehr dazu, etwas anderes zu produzieren als Zucker.
Minister fordert Zeit
Wie die Zuckermarktordnung aussehen soll, steht noch lange nicht fest. Am 28.04. sind die Vorschläge der EU auf dem Tisch. Welche Verhandlungsergebnisse in der nächsten WTO-Runde Ende 2005 erzielt werden steht auch noch nicht fest. Die Tagung machte deutlich, dass auch die Industrieländer ernste Sorgen bei der Liberalisierung der Agrarmärkte haben. Dr. Woidke hat in seinem Land 500 Hektar Rüben und 500 Arbeitskräfte in der Zuckerproduktion. Er möchte so früh als möglich wissen unter welchen Rahmenbedingungen die Reform des Zuckermarktes verlaufen soll, damit er Boden und Arbeit anderweitig unterbringen kann.
roRo