Windkraft und Rotmilane

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Wie viel Windkraft vetragen Rotmilane?

Kaum ein Deutscher wird den Rotmilan in freier Natur erkennen. Im Gegensatz zum Rotkehlchen macht die Gabelweihe, wie Milvus milvus auch genannt wird, nicht durch eine rote Kennzeichnung auf sich aufmerksam. Dennoch hat der Vogel des Jahres 2000 es schon wieder in die Schlagzeilen geschafft: Als Opfer von Windrädern. Der Greifvogel, der zu den Habichtartigen zählt , frisst gerne Mäuse und Feldhamster, die er in offenen, abwechslungsreichen Landschaften findet. Bevor er sich auf die Beute stürzt, „sitzt“ er nicht auf einem Beobachtungspunkt, sondern sucht im Gleitflug nach den Nagern. Windräder schränken den Flugraum ein, weswegen Kollisionen mit Rotoren schon vor 16 Jahren zu seinen Unfallmöglichkeiten zählten. Zudem kam er 2002 auf die Liste der gefährdeten Brutvögel.

Der Rotmilan ist einer der „deutschesten“ Vögel. 50 Prozent des Weltbestandes sollen hier leben. Zum Überwintern fliegt er an das Mittelmeer. Aber auch die Energiewende ist eines der deutschesten Projekte, die es in den Sprachschatz anderer Kulturen geschafft hat. Windkraftanlagen und Rotmilan: Finden beide ihren Platz in Deutschland?.

Den Vögeln in Deutschland geht es nicht gut

Zersiedelte Landschaften, eine Land- und Forstwirtschaft die es heimischen Tieren alles andere als leicht macht und die allgemeine Umweltverschmutzung belasten Fauna und Flora. Die Vogelschutzwarten haben Freileitungen, Energiepflanzen, Glasanflug, den Anbau von Energiepflanzen sowie Solarparks und Windenergie als Gefährdungen für den Vogelschutz kategorisiert.

Bilder von geköpften Vögeln am Fuße einer Windkraftanlage haben Aufmerksamkeit erregt und nach zahlreichen Diskussionen bei der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) im Jahr 2007 zu dem so genannten „Helgoländer Papier“ geführt. Dahinter verbergen sich „Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten“.

Dem Klima in Deutschland geht es nicht gut

Zunehmende Frühjahrstrockenheit erschwert den Bauern die Aussaat. Milde Winter fördern den Pilzbefall der Winterkulturen. Wetterextreme wie Überflutungen und Tornados richten selbst in Deutschland Schäden in Milliardenhöhe an. Dabei ist der anthropogen verursachte Klimawandel in anderen Teilen der Welt noch extremer und gilt mittlerweile als einer der Ursachen von Flüchtenden, die sich auf den Weg nach Westeuropa machen. Die Energiewende als Abkehr von Atom- und Kohleenergie baut unter anderem auf Windkraft, deren Ausbau, wie zuletzt über den Bundesrat, auch weiterhin eine Regionalisierungskomponente einfordert, um als Bürgerwindenergie einen hohen partizipativen Ansatz in der Fläche zu erreichen.

Das Windrad und der Rotmilan

Hans-Josef Fell, Autor des Erneuerbare Energiengesetzes und Präsident der Energy Watch Group berichtete am Donnerstag in Berlin von einem nicht untypischen Fall. Eine Windkraftanlage im Spessart wurde aus Rücksicht auf ein Schwarzstorchpärchen nicht gebaut. Deren Brut aber verhungerte im Folgesommer aus Nahrungsmangel durch Hitze und Trockenheit. Ist das Klima oder sind die Vögel in größerer Gefahr? Ist das Klima mit weniger Windrädern zu retten oder schreddert das Windrad den letzten Vertreter einer Vogelart?

Die Diskussion wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz geführt. Aus diesem Grunde hat Dr. Oliver Kohle, Geschäftsführer des Umweltbüros KohleNusbaumer in Lausanne die Studie „Windenergie und Rotmilan: Ein Scheinproblem“ erstellt und in Berlin präsentiert. Dr. Kohle geht es um eine belastbare Datenbasis, dass die Windkraft nicht der Hauptschuldige am Vogelsterben ist, das ebenfalls in der Schweiz den Ausbau in einzelnen Regionen zum Stillstand gebracht hat. Umfangreiche Literaturrecherchen und Zählungen internationaler Vogelbeobachtungspunkte in den Pyrenäen und an der Burgundischen Pforte zwischen der Schweiz und Frankreich haben dem Vogelzug auf dem Weg von Nord- und Mitteleuropa in die mediterranen Überwinterungsgebiete in den letzten Jahren erholte Bestände bescheinigt. Der Rotmilan in Deutschland hat sogar Maximalbestände erreicht.

Das wird beim Naturschutzbund Deutschland nicht geleugnet. Doch NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann diskutierte bereits vor der Pressekonferenz mit Dr. Kohle heftig um die Lesart der Zahlen. Erst seitdem der Rotmilan von größerem Interesse geworden ist, wird er mehr beobachtet, bemerkt und gezählt. Der langfristige Trend sei trotz hoher absoluter Zahlen sinkend.

So läuft der Faktencheck „Rotmilan und Windenergie“ erst einmal ins Leere, wie die Diskussion um den Wolf, den Biber oder selbst um den Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat. Mehr Windräder, mehr Vogelleichen. Mehr Vogelleichen gleich Ende der Art? Gutachten gegen Gegengutachten und kein Schiedsrichter in Sicht. Selbst die Zeitlupenaufnahme führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Es gibt Vögel, die zeigen ein ausgeprägtes Ausweichverhalten gegenüber Windrädern und nisten sogar unter den Rotoren.

Artenschutz durch Windräder

Wie viele Rotmilane durch Windräder sterben, ist keine ausreichende Aussage. Der Braunkohletagebau hinterlässt riesige Löcher im Habitat, in dem anschließend mühsam noch nicht einmal der ursprüngliche Lebensraum rekonstruiert wird und möglicherweise mehr Rotmilane bedrängt als ein Dutzend Windräder. Wie viele Rotmilane verenden durch den täglichen Flächenverlust von 73 Hektar, den Deutschland sich noch immer leistet, ohne das die Vogelleichen sichtbar werden? Hinter Stromleitungen, Kohlebergbau, Windrädern und Autobahnen steht weiterhin der Mensch, der im neu definierten Zeitalter des Anthropozäns in die Natur eingreift wie noch kein einzelnes Lebewesen vor ihm. Zudem erlernt das menschliche Individuum eine Nutzenmaximimierung, die politisch und wirtschaftlich gewollt ist, und Rücksichten nur freiwillig abverlangt. Wie viele Verluste an Fauna und Flora darf die „Zivilisation“ kosten? Wie viel „Zivilisation“ lässt die Berücksichtigung von Rotmilan und Acker-Rittersporn übrig?

„Artenschutz ist wichtig“, unterstreicht Fell mehrfach. Die Windenergie erfährt vor Ort viel Opposition, obwohl Windräder und Vogelbestände gleichermaßen ansteigen: Der Windkraft kann nicht die Hauptschuld gegeben werden. Das die Windkraft im Umkehrschluss gar keine Schuld trage sei allerdings ebenfalls trügerisch, sagt Fell. Aber es gebe andere, größere Gefährdungen. Wie beispielsweise der Klimawandel, der Ökosysteme verändert und zu einem nicht mehr umkehrbaren Artensterben führe, ergänzt Günter Ratzbor, Beiratsmitglied natuschutzfachlicher Forschungsvorhaben.

Im Grunde laufe beim Artenschutz etwas falsch, sagte er. Die Beispiele vor Ort zeigen, dass es um den Schutz einzelner Tiere und nicht um den Schutz der ganzen Art gehe. Das werde fälschlicherweise schon auf der Planungsebene hochgerechnet. Die „Schieflage der Diskussion“ ist nach Fell ein politisches Versagen, da der Hauptwunsch nicht definiert wird.

Wo ist die Lösung?

Das Helgoländer Papier wurde 2015 neu aufgelegt. Es bestehe aber nach Ratzbor aus einer Auflistung von Aspekten, Schlussfolgerungen und Meinungen der Vorgelschutzwarten und werde von den Bundesländern uneinheitlich betrachtet. So gilt der Rotmilan in den meisten Bundesländern als kollisionsgefährdet. Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt hingegen haben diesen Aspekt entfernt. Auch die Meideeffekte werden uneinheitlich beschrieben. Nach Dr. Kohle sind dort Vögel aufgeführt, denen keine Gefahr durch Windräder droht. Er spricht von „Uferlosigkeit“.

Der Nabu will auch die gleiche Energiewende wie Fell. Der Ausbau der Windenergie mit Berücksichtigung des Artenschutzzieles sei möglich. Repowering beispielsweise vergrößert einzelne Anlagen und spart mehrfach andere, kleinere ein. Weniger Windräder, weniger Kollisionen.

Hoffnungslos ist der Streit also nicht. Doch zu Beginn müssen sich die Beteiligten über die Datenbasis einig werden. Und, das ist das Wesen des Kompromisses, „Verluste“ hinnehmen.

Lesestoff:

Die Studie vom Umweltbüro KohleNusbaumer finden Sie unter www.kn-sa.ch

Den Faktencheck Rotmilan und Windenergie finden Sie unter www.nabu.de

Das Helgoländer Papier finden Sie unter www.vogelschutzwarten.de

Roland Krieg

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