Zehn Jahre Koexistenz

Handel

Percy Schmeiser berichtet über Kanada

Auf der internationalen politischen Bühne bleibt die Grüne Gentechnik indifferent. Während sich die Extreme zwischen genereller Ablehnung und radikaler Durchsetzung bewegen, setzt sich, wie zuletzt im Ministergespräch mit den ökologischen Verbänden der Begriff der „Koexistenz“ als gemeinsame Klammer durch, sich an einen gemeinsamen Tisch setzen zu können. Die Koexistenz, also der gleichzeitige Landbau mit und ohne gentechnisch veränderten Pflanzen in gemeinsamer Nachbarschaft, resultiert aus dem Balanceakt der EU: Das Moratorium gegen die Gentechnik musste auf Druck der WTO 2004 als Handelshemmnis wieder aufgegeben werden. Auf der anderen Seite wollen alle Länder nach dem föderalistischen Prinzip eigene Regeln aufstellen. Weltweit wächst die Anbaufläche mit gentechnisch veränderten Pflanzen und in den EU-Staaten haben die Verbraucher noch keinen überzeugenden Nachfragemarkt induziert und lehnen die Grüne Gentechnik vielfach ab. Das Ergebnis fehlende einheitliche „Gute Fachliche Praxis“ und der Rückzug der EU auf die Kontrolle der individuellen Regeln auf Handelsverzerrung. So gelten in den Niederlanden Mindestabstände von 25 Metern zu konventionellen Flächen. Zu Flächen mit ökologischem Anbau müssen es 75 Meter sein und zu Flächen mit Saatgutvermehrung werden sogar 250 Meter angegeben. Die meisten Länder haben voneinander abweichende Abstandsangaben, wie die Bauernstimme zusammen getragen hat, als würde der Pollenflug je nach Standort und Anbauform in seiner Weite variieren.

10 Jahre Koexistenz
In Deutschland ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen noch im Promillebereich. Bt-Mais, der ein Gift gegen den Maiszünsler in sich trägt, wird bundesweit auf 1.400 Hektar angebaut, wovon etwa die Hälfte in Brandenburg liegt. Nora Mannhardt vom Gen-ethischen Netzwerk begründete das gestern in Berlin mit dem starken Engagement der Märkischen Kraftfutter GmbH aus Eberswalde (Märka). Bauern werden mit einem Fax angeschrieben: „Haben Sie Probleme mit dem Maiszünsler?“
In der „alten Mälzerei“ des Umweltforums Berlin berichtete Percy Schmeiser über seine Erfahrungen mit der Koexistenz. Der kanadische Bauer mit europäischen Wurzeln befand sich im Anschluss an seinem Vortrag vor dem UN-Ausschuss für Menschenrechte in Genf auf einer mehrtägigen Reise durch Deutschland. Als Vertreter kanadischer Bauern berichtete er über die Situation in Kanada.
1996 wurden gentechnisch veränderter Raps und Soja eingeführt, was dazu führte, dass zwei Jahre später Percy Schmeiser eine Klage des Saatgutherstellers Monsanto erhielt, widerrechtlich dessen Raps anzubauen. Schmeiser allerdings hatte niemals diesen Raps gekauft und lediglich an Feldrändern fand sich die Monsanto-Sorte, die sich auf natürlichem Wege ausgebreitet hatte.
Sieben Jahre Kampf vor Gerichte und mit Prozesskosten in Höhe von 400.000 kanadischen Dollar allein gelassen, musste sich Schmeiser zunächst gefallen lassen, dass seine 500 Hektar Raps an Monsanto übergegangen waren. Auch wenn er den Raps nicht angebaut hatte und dieser über den Wind in seine Felder gelangte: Die eingekreuzte Form gehört zu Monsanto und erfordert eine Lizenzvergabe. Er verlor seine wirtschaftliche Basis, denn Schmeiser war vorher in Saskatchewan 50 Jahre lang als Saatgutvermehrer tätig gewesen und versorgte sowohl heimische als auch Exportmärkte. Gentechnikfreies Saatgut konnte er nicht mehr anbieten.

Verlust bäuerlicher Rechte
Nach allen Prozessen bleiben für Schmeiser mehr Fragen als Antworten. Für ihn gibt es keine Koexistenz, denn die Pollen übertragenen Wind und Bienen sind nicht zu kontrollieren. Dadurch „werde das gentechnisch veränderte Gen zum dominanten Gen“, weil Monsanto die Patentrechte behält – auch für die Lebewesen, in die das Gen einkreuzt. Die Wahlfreiheit etwas eigenes anzubauen, die Grundlage der Koexistenz ist, ist dann verloren, beklagt Schmeiser.
Die Bauern verlieren sogar noch weitere Rechte: Sie können das Saatgut von Monsanto nicht mehr nachbauen und müssen jedes Jahr neues kaufen und in Kanada ist das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt. Denn der Konzern stellt in seinem Verträgen unter Strafe, dass Bauern ihren Nachbarn über den Anbau berichten. Auch bietet Monsanto eine Hotline an, bei der Nachbarn angezeigt werden könne, bestehe der Verdacht, dass sie ohne Lizenzvereinbarung Monsantosaatgut anbauen. Als Belohung gebe es freie Pflanzenschutzmittel und eine Lederjacke. Der Kanadier, der mittlerweile in mehr als 70 Ländern über die Situation in Kanada berichtet, hat die Verträge auf seiner Homepage www.percyschmeiser.com veröffentlicht.
Er wolle den Deutschen nicht vorschreiben, wie sich in der Frage über die Gentechnik verhalten sollen, aber die Diskussion erinnere ihn an jene vor 10 Jahren in Kanada. Man habe den Bauern versprochen, dass die Gentechnik die Erträge und den Nährwert erhöht sowie weniger Pflanzenschutz notwendig sei. Alle drei Versprechen haben sich in das Gegenteil gekehrt, so Schmeiser.
Er kämpft mittlerweile gegen die nächste Generation gentechnisch veränderter Pflanzen. Die Pharmaindustrie baue unerlaubterweise Pflanzen mit Kontrarezeptiva, Wachstumshormonen und Blutgerinnungshemmer an. Weil es keine Etikettierungspflicht in Kanada gebe, fürchtet Schmeiser, dass die Menschen das Recht verlieren werden, zu bestimmen, was sie mit der Nahrung zu sich nehmen.

Auf Deutschland übertragbar?
Percy Schmeiser wies darauf hin, dass die manchmal unglaublichen erscheinenden Berichte über konzerneigene Polizei, die Bauern beobachten und unangemeldet auf die Höfe kommen, mehr an Entwicklungsländer als an ein demokratisches Land wie Kanada erinnern. Ulrike Höfgen, verbraucherpolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen beruhigte auch, dass vergleichbare Gesetze in Deutschland nicht möglich sind. Sittenwidrige Verträge, die zu Diskriminierung und Stillschweigen auffordern, dürften in Deutschland auch keinen Bestand haben. Aber die Vortragsreise von Percy Schmeiser weist darauf hin, dass es bei der Koexistenz viel mehr Fragen als Gemeinsamkeiten gibt. Im März erneuerte der Deutsche Bauernverband mit Hinweis auf die berufsständige Initiative der „Gentechnikfreien Zonen“ seinen Rat, keine gentechnischen Pflanzen anzubauen, solange offene Fragen für die Koexistenz nicht geklärt seien. Nora Mannhardt bezifferte gestern den aktuellen Stand dieser Zonen, die von insgesamt 26.220 ökologischen und konventionellen Bauern ausgerufen werden auf rund 930.000 Hektar. Das sind etwa fünf Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche.
Gentechnikfreiheit ist mittlerweile ein Marktmodell geworden. Die Raiffeisen Kraftfutterwerke Süd GmbH wirbt ideologiefrei für zertifiziertes Futter ohne Gentechnik. Der Genossenschaft ist es dabei wichtig hinzuweisen, dass das Konzept „weder pro noch kontra Gentechnik“ aufgebaut sei, sondern die „Wahlfreiheit bei Futtermitteln“ anbietet. Was vor kurzem allerdings noch ein natürliches Produkt gewesen ist, wird durch die Anwesenheit gentechnisch veränderter Pflanzen plötzlich teurer. Die Kosten für Trennung und Zertifizierung der Rohprodukte schlagen sich mit 0,70 Euro je dt Milchleistungsfutter und mit 2,30 Euro/dt für Schweinemastfutter nieder, weist die Bauernstimme aus.

Lesestoff:
Neben der Seite von Percy Schmeiser haben die im Text genannten Initiativen folgende Internetseiten:
www.gentechnikfreies-brandenburg.de
www.saskorganic.com
www.gentechnikfreieregionen.de
www.rkwsued.de

Roland Krieg

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