Zeitliche Präferenz des Konsums
Handel
Belohnungsaufschub dank Frontalhirn möglich
Das Problem ist denkbar einfach: Wer jetzt auf etwas verzichtet, bekommt später eine Belohung. Oder ist der gegenwärtige Konsumdrang stärker als die Sorge über die Ressourcenverfügbarkeit von übermorgen? Nachhaltigkeit steckt hinter dem Begriff, den die Ökonomie als Dilemma des „zeitliche Präferenz des Konsums“ beschreibt. Neurowissenschaftler versuchen schon seit längerem die Beweggründe in der Hirnforschung zu verstehen.
Belohnungsaufschub dank Frontalhirn möglich
Und einmal mehr zeigt sich, dass Nachhaltigkeit lernbar ist. Forschende der Columbia University in den USA und der Schweizer Universitäten Basel und Zürich haben die Bedeutung des Frontalhirns beim Belohnungsaufschub identifiziert. Das Team um Dr. Bernd Figner besteht aus Psychologen, Neurowissenschaftlern und Ökonomen und sucht nach den Kräften, die Menschen auf eine unmittelbare Belohnung verzichten lässt, weil in der Zukunft die Belohnung größer ausfällt.
Psychologen bezeichnen das als „intertemporale Entscheidungen“, die im Leben allgegenwärtig sind: Bleibe ich heute abend zu hause und schaue einen Film oder gehe ich in das Fitnessstudio und mache etwas für meine zukünftige Gesundheit? Reduziere ich heute meinen Ausstoß von Kohlendioxid, um die künftige Klimaerwärmung zu reduzieren?
Die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub ist ein zentraler Mechanismus, der es Menschen und Tieren erlaubt, Entscheidungen zu treffen, die längerfristig optimaler sind, als nur die Maximierung des unmittelbaren Nutzens. Das Team hat die neurobiologischen Grundlagen untersucht.
Der Versuchung widerstehen
Die Forscher haben eine nicht invasive Gehirnstimulation (transkranielle Magnetstimulation) angewendet, die eine schmerzfreie und kurzzeitige Minderung der Erregbarkeit des stimulierten Gehirnareals bewirkt. Anschließend lösten die Probanden mehrere Entscheidungsaufgaben. Wer am Frontalhirn, genauer gesagt, am präfrontalen Cortex, stimuliert wurde, war weit weniger in der Lage, auf eine unmittelbare Belohnung zu verzichten - und ließ sich damit größere, jedoch in der Zukunft liegende Belohnungen entgehen. Damit konnten die Forschenden nachweisen, dass der präfrontale Cortex für den Belohnungsaufschub voll funktionsfähig sein muss.
Ergebnis: Die Funktion des präfrontalen Cortex übt eine Selbstkontrolle aus. Diese erlaubt es, der Versuchung einer kleineren, unmittelbaren Belohnung zu widerstehen und stattdessen die größere, in der Zukunft liegende Belohnung zu wählen. Wenn die Funktion dieser Hirnregion gestört ist, gelingt dieser Belohnungsaufschub nicht mehr.
Die Resultate sind laut Dr. Bernd Figner von Columbia University und Prof. Daria Knoch von der Universität Basel auch im Licht der Gehirnentwicklung Heranwachsender interessant: Das Frontalhirn bei Kindern und Jugendlichen hat seinen vollen Funktionsumfang noch nicht erreicht, was ihre Tendenz, auf unmittelbare Belohnungen oft schlecht verzichten zu können, erklären könnte.
Lesestoff:
Bernd Figner, Daria Knoch, Eric J. Johnson, Amy R. Krosch, Sarah H. Lisanby, Ernst Fehr & Elke U. Weber (2010) Lateral prefrontal cortex and self-control in intertemporal choice Nature Neuroscience. DOI: 10.1038/nn.2516
Christoph Dieffenbacher, Universität Basel / roRo