Zertifizierte Biomasse für alles

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INRO-Kriterienkatalog für die Biomasse-Nutzung

Den Teller aus Maisstärke können die Gäste gleich mitessen. Immer mehr Autoteile sind aus gepressten Pflanzenfaserplatten und aus Celluloseacetat hergestellte Mäuse führen den Klick am Computer dort aus, wo er hin soll. In den letzten Jahren gibt es kaum noch einen Bereich, der keine Alternativen zu herkömmlichem Kunststoff aus Erdöl aufgezeigt hat. Die fossilen Kohlenstoffketten sollen bald ausgedient haben und die Menschheit möchte wieder zur Pflanzenbasis zurück, die ja auch einst Ausgangsstoff für die Erdöllagerstätten gewesen sind. Die Zukunft soll in einer bio-basierten Wirtschaft stattfinden.

Auf der anderen Seite fürchten viele, dass die Biomasse für Nahrung verdrängt wird. Wer hier Raps für Futter und Biodiesel anbaut, der verdränge die Getreideernte von dieser Fläche in andere Länder, was dort die Ernährungssouveränität stört und Regenwald vernichtet. Die Palmölplantagen zerstören Boden und Biodiversität und Arbeiter schuften gemeinsam mit Kindern in der Agrokraftstoffproduktion für Hungerlöhne.

Um die Schattenseiten der Biomasseproduktion zu vermeiden, soll die Biomasse nachhaltig angebaut werden. In einem langen Prozess sind mit ISCC und RedCert die beiden ersten deutschen Zertifizierungssysteme für den Bereich der Biokraftstoffe entstanden. Das reicht nicht, denn künftig wird die stoffliche Nutzung die Biomasse viel mehr beanspruchen müssen, als heute die Mobilität auf Basis erneuerbarer Ressourcen.

Die Initiative Nachhaltige Rohstoffbereitstellung für die stoffliche Biomassenutzung (INRO) hat am Mittwoch in Berlin ihren Kriterienkatalog vorgestellt.

Dr. Andreas Schütte, Geschäftsführer der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) sieht darin eine wichtige Ergänzung zu den bestehenden Kraftstoffzertifikaten und einen Einstieg in die Zertifizierung der ganzen Biomasse. Das würde die Diskussion um die indirekte Landnutzungsänderungen entbehrlich machen. Gleichzeitig steht INRO mit Nachbarländern wie Großbritannien, Österreich und den Niederlanden in Kontakt.

Was INRO kann

„Es ist sehr viel Dynamik im Markt“, sagte Michaele Hustedt, die INRO als Initiative von mehr als 40 Unternehmen und Verbänden moderiert. Die Nachfrage nach Bio-Polymeren wächst jährlich um 20 Prozent. Allein die chemische Industrie in Deutschland verbraucht 21 Millionen Tonnen Rohstoffe. Sie ist die viertgrößte der Welt und die exportstärkste. 71 Prozent des Rohstoffes ist noch Naphta aus Erdöl, 14 Prozent sind langkettige Kohlenstoffe aus Erdgas und schon 13 Prozent kommen vom Acker. Tendenz steigend, prognostiziert Dr. Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie.

Daher sind Zertifizierungen nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Anwendungssicherheit in den Unternehmen wichtig. Wer heute Produkte verwendet, die durch Kinderarbeit hergestellt sind und von Flächen bezieht, die Kleinbauern landlos gemacht haben, steht bald im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit. Daher bedient INRO Anforderungen der Gesellschaft, erläuterte Hustedt. Außerdem haben die „First Mover“ am Markt Gestaltungsmöglichkeiten für die Branche.

Daher wurde in einem langen Prozess ein umfangreicher Katalog aufgestellt, der eine Verständigung entlang der Branche über Kriterien darstellt und keine Zertifizierung ist. Das müssen Zertifizierungsorganisationen wie ISCC und RedCert übernehmen.

INRO beschäftigt sich auch nur mit den Produktionsbedingungen bis zur Ernte. Der Stoffstrom in der Verarbeitung ist so vielfältig und heterogen, dass dafür keine einheitlichen Kriterien formuliert werden können. Mit INRO kann keine Ökobilanz abgebildet werden, aber den Teil der Biomassebereitstellung.

Es wurden Zucker-, Stärkelieferanten und Faserpflanzen betrachtet. Lignosehaltige Pflanzen und tierische Fette könnten später hinzukommen.

Was steht drin?

In einem umfangreichen Katalog wurden soziale, ökonomische und ökologische Kriterien auf drei Körbe verteilt. Die sozialen Kriterien sind gegenüber den Biokraftstoff-Regeln neu. Nach Hustedt wurde vor allem auf Praktikabilität gesetzt. So lässt sich das Kriterium, dass Biomasse nicht von bewaldeter Fläche stammt gut überprüfen, doch das der „Ernährungssicherheit“ ist schwer als Einzelprüfpunkt zu bewerten. Der erscheint als Prüfpunkt im zweiten Korb für eine Erweiterung der INRO. 2014 gibt es eine Pilotphase, um die Kriterien auf Belastbarkeit zu testen. Dann werden auch die Kriterien des dritten Korbs überprüft, was sonst noch wünschenswert wäre. Dort steht beispielsweise die Festlegung von Reduktionszielen bei Treibhausgasen. Gegen Ende der Förderperiode im nächsten Jahr soll auf einer 10. Sitzung beraten werden, wie es mit INRO weitergeht.

Wer braucht INRO?

Denn es ist ja „nur ein Projekt“. Auf das die Industrie aber große Hoffnungen setzt. Für Dr. Christine Stiehl von der BASF sind nachwachsende Rohstoffe „nicht per se nachhaltig und alles andere als unbegrenzt“. INRO sei daher ein wichtiges Instrument. Die BASF arbeitet beispielsweise mit dem Getreidekonzern Cargill im Bereich von Polymilchsäuren zusammen. Sie können in Windeln eingesetzt werden. Auch für den Lebensmittelkonzern Danone ist INRO wichtig. Nach Marion Fürst arbeitet der Konzern an neuen Verpackungsgewichten und Recyclingkonzepten. Solche Nachhaltigkeitsstrategien bauen auf nachwachsenden Rohstoffen auf.

Martina Fleckenstein vom WWF erhofft sich von NRO die Auflösung der Nutzungskonkurrenz auf dem Acker.

Die Zertifizierung der ganzen Biomasse ist für Dr. Norbert Schmitz von Meo Carbon Solution alternativlos. Der Biokraftstoffmarkt zeigt, dass weniger nachgefragt als produziert wird. Daher müssen viele Produzenten ihre Ware konventionell absetzen. Dr. Schmitz hält auch von firmeneigenen Nachhaltigkeitsprogrammen wie Pro Planet von Rewe nicht viel. Bauern produzieren unter diesem Label für Rewe Deutschland anders als für Rewe Österreich. Zudem seien die Kriterien nicht transparent, was Dr. Schmitz mit „gruselig“ bewertete.

Green Deal in den Niederlanden

Auf das Gelingen des Piloten setzen auch die Nachbarn aus den Niederlanden. Da begann die Diskussion um eine Biomassezertifizierung im Jahr 2007, erläuterte Marc Nellen aus dem niederländischen Wirtschaftsministerium. Derzeit steht am Ende des Prozesses der Green Deal zwischen Unternehmen und Politik. Bis 2020 wollen die Niederlande 14 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen und die fünf bestehenden Kohlekraftwerke schließen. Der Energieverbrauch soll jährlich um 1,5 Prozent sinken, die erneuerbare Branche 15.000 neue Arbeitsplätze schaffen. In den Niederlanden haben die Stromkonzerne aber noch die Ko-Feuerung von Biomasse durchgesetzt. Heute entstehen 14 Petajoule Energie aus Holzpellets, die im Kaskadenprinzip vorher stofflich genutzt wurden. Bis 2020 soll dieser Anteil noch auf 25 PJ steigen.

Der Green Deal umfasst die gesamte Wertschöpfungskette und INRO ist nach Nellen ein wichtiger Teil der Strategie.

Was INRO nicht kann

So überzeugend INRO seinen Weg bislang zurückgelegt hat, so hat Heinz Stichnothe vom Thünen-Institut für Agrartechnologie aber auch bedenkliche Fußnoten hinzugefügt. Es wird rechnerisch heute schon genug Biomasse produziert, die aber ungerecht verteilt ist. INRO werde die Verteilungsfrage nicht lösen. Der Prüfkatalog werde auch die Ernte- und Nachernteverluste nicht beseitigen, die heute rund 30 Prozent der möglichen Biomasse ausmachen. Und am Ende der Verwertungskette müsse auch der Konsum der Verbraucher auf Nachhaltigkeit hin überprüft werden.

„Biobasierte Industriezweige“

Diesen Freitag berät der Bundesrat über den Verordnungsvorschlag der EU, mit dem Konsortium „Biobasierte Industriezweige“ ein gemeinsames Unternehmen zu gründen. Im Förderprogramm „Horizont 2020“ sollen öffentlich-private Partnerschaften Technologieinitiativen stärken, die Entwicklung der bio-basierte Wirtschaft zu beschleunigen. Dabei stehen nicht essbare Pflanzenteile wie Holz und land- sowie forstwirtschaftliche Rückstände im Fokus. Für das bis zum 31. Dezember 2024 befristet existierende Unternehmen wird von EU und der Industrie mit jeweils einer Milliarde Euro finanziert. Zusätzlich wird die Industrie 1,8 Milliarden Euro in Demonstrations- und Pilotanlagen investieren. Für die Beschlussfassung liegt die Annahme-Empfehlung verschiedener Ausschüsse vor. Bestehende nationale Netzwerke sollen von em Unternehmen aber berücksichtigt werden. Zudem müsse die Arbeit zwar technologieoffen, also ohne Anwendungseinschränkungen sein, erklärt der Agrarausschuss, dürfe aber nach Wünschen des Umweltausschusses keine gentechnisch veränderten Pflanzen nutzen. Die Bundesregierung solle fehlende Nachhaltigkeitskriterien von der EU einfordern. Der Umweltausschuss fürchtet bei einem befristeten Unternehmen fehlende Transparenz

Lesestoff:

www.inro-biomasse.de

Energetische schlägt stoffliche Nutzung der Biomasse

Kunststoffe der Zukunft

ISCC und RedCert

EU-Biokraftstoffzertifikate

Roland Krieg

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