Zukunft, die schmeckt

Handel

Herbsttagung des BÖLW

> Bei seiner traditionellen Herbsttagung ging der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) als Dachverband für landwirtschaftliche Erzeuger, Verarbeiter und Händler ökologischer Lebensmittel gestern der Frage nach, ob die ökologische Lebensmittelwirtschaft die Zukunftstechnologie für nachhaltiges Wachstum ist?

Wachstum ohne Leben?
Die ANUGA zeigte, dass die Biobranche brummt wie selten zuvor. Trotzdem fragte Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstand BÖLW, ob angesichts drängender sozialer und Umweltprobleme die Frage von Belang sei, dass der Ökolandbau ein generelles Zukunftsmodell sein könnte oder ob sich die Branche in ihrer einstigen Nische für ihre gut verdienende Kundschaft eingerichtet hat? Der Chefplaner des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA)Peter Spiegel klärte eines vorneweg: Ist das Ökoprodukt mit seiner komplexen ökologischen Wirtschaftsweise ein Luxus, oder besteht der Luxus nicht viel mehr darin, auf Ökoeffizienz und sozialen Ausgleich zu verzichten? Für Ressourcensicherung, Umwelterhaltung, Beschäftigungsverhältnisse und weltweit gerechte Löhne könnte sich ein Global Marshall Plan konzipieren lassen, der die so genannten Millenniumsziele der Vereinten Nationen realisieren kann. Die ökologische Wirtschaft steht für diese Inhalte - als Gegenentwurf zur Globalisierung?

Lebendiger Handel
Karstadt begann 1995 mit einem Pilotprojekt ?Biosortiment? und erreicht heute mit seiner Bio-Aktionswoche rund 100.000 Interessenten, verdeutlichte Klaus Wilmsen, der für das Biosortiment in der Feinkostabteilung verantwortlich ist. Mit 175 Produkten habe man angefangen und musste auf manches verzichten, weil Händler nicht in den konventionellen Handel liefern wollten, um sich nicht den Zorn der Naturkostläden zuzuziehen. Heute sind 800 Produkte Standard und es werden in separaten Bio-Märkten über 3.000 angeboten. Für die Mitarbeiter gibt es einen Trainingsleitfaden, Bioprodukte anzubieten und eine kleine Checkliste für die Kitteltasche, wenn ein Argument nicht gerade parat ist. Längst sind die Produkte in der jeweiligen Warengruppe eingeordnet und nur bei speziellen Promotionen in einer Zweitplatzierung extra ausgestellt. In der Feinkostabteilung zeigt ein Videoband Herstellung und Verarbeitung ökologischer Produkte. Im Handel sind sie und ihr Umfeld längst der Nische entwachsen, weswegen auf der ANUGA die Karstadt-Filiale in Dresden auch mit dem silbernen ?Selly?, dem ersten Handelswettbewerb ?Öko-Markt des Jahres? ausgezeichnet wurde.

Lebendiges Land
Zempow ? ein kleiner Ort in Nordbrandenburg, südliche Mecklenburgische Seenplatte. Dr. Wilhelm Schäkel von der Bioranch Zempow beschrieb was aus einer ursprünglichen Bio-Fleischproduktion auf den kargen Böden Brandenburgs (20 von 100 möglichen Bodenpunkten) im Verlauf der Zeit alles geworden ist. Von den 148 Einwohnern des Dorfes sind 23 selbstständige Unternehmer, die rund um die Farm Dienstleistungen und Handwerk anbieten. Beispielsweise Holzhackschnitzel für die Wärmegewinnung, Direktvermarktung Ökofleisch, Umweltbildung Frohnatur, Galerie Café oder Freizeit mit Pferden. Der Verbündete des Ökolandbaus ist der Tourismus, wie Dr. Schäkel sagt. So gelingt es einen doppelten Effekt zu erzielen: Wirtschaftliches Wachstum mit positiver Beschäftigungswirkung, wohingegen konventionell ein Wachstum nur mit Beschäftigungsabbau erzielt wird. Was Zempow erreicht hat, ist der Wandel von der Produktionsgesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Für Bildung und Tourismus gibt es die Food Academy auf einem alten 4-Seiten-Hof, in der zwei Schulklassen übernachten und in einem Kinderrestaurant kochen lernen können. Für Biobauern aus Osteuropa bietet Zempow Fachseminare über Ökolandbaus und Vermarktung an.
Als neueste Projekte werden auf 100 Hektar Topinambur angebaut und die Lehrwerkstätten Bollewick werden eine Ökoschlachterei mit Lagerung und Verkauf anbieten. Beim Gespräch mit Herd-und-Hof.de sieht Dr. Schäkel Bollewick durchaus als Zukunftsmodell für Rinder- und Schweineschlachtungen. Die für Tiere beste Weideschlachtung stößt bei der EU auf hygienische Bedenken, aber Ziel sei es, alle 50 bis 100 km Schlachthöfe anzubieten. Manche Ökobetriebe müssen vom Spreewald bis nach Anklam fahren, um ökologische Schlachtbedingungen vorzufinden. Bollewick bietet schon einmal eine Alternative. Das Geheimnis: Früher schmeckte die Wurst deshalb besser, weil sie noch warm nach dem Schlachten verarbeitet wurde. Bollewick kann mit der Alternative des Schockfrostens gleiche Ergebnisse erzielen. Wenn das Werk fertig ist, wird es 20 Arbeitsplätze geben und wenn die Zerlegung ebenfalls noch eingebunden ist, dann sind es 40 Stellen.

Profil: Ethische Selbstbestimmung und moralische Qualität
Ein aktives, lebendiges Dorf liefert Produkte an den Handel, der seinen Kunden Informationen über seine Lebensmittel bereitstellt und verkosten lässt. Die ökologische Lebensmittelwirtschaft hat es leicht, der gängigen Produktstandardisierung einen Mehrwert entgegen zu stellen. Trotzdem: Sollte die ?Auseinandersetzung mit den spirituellen Wurzeln der Arbeit? nicht doch zu einer Neuprofilierung führen, wie es Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald von der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der HU Berlin und von der Münchener Schweisfurth Stiftung formulierte? Mit einer moralischen Qualität und ethischer Selbstbestimmung könnten sich Unternehmen ?vom Mainstream des Marktes? und vom Handel abheben, der die Bioprodukte nur konventionell benutzt. Letztere bezeichnet Prof. Gottwald als ?Trittbrettfahrer?.
Für den Wirtschaftsethiker gelten drei moralische Signaturen des Wirtschaftens: Weil es nichts besseres gibt, gilt die moralische Vorzugswürdigkeit der Marktwirtschaft; die Marktwirtschaft ist zum Wohle des Menschen ausgerichtet und der Wettbewerb ist das großartigste ?Entwicklungspotenzial? der Geschichte: es entmachtet die Monopole.
Der Verbraucher orientiert sich in der jüngsten Zeit an den Werten Gesundheit, Vertrauen in die Produkte und Emotionen. Möchte der Verbraucher ein Lebensmittel für seine Gesundheit genießen, dann passe es nicht ins Bild, dass die Nutztiere nicht artgerecht gehalten werden oder die Landschaft bei der Produktion des Lebensmittel zerstört wird. Für das Vertrauen gelte, dass die Konsumenten nicht nur wissen wollen, woher das Lebensmittel stamme, sondern auch welche Inhaltsstoffe vorhanden sind. Im Bereich der Emotionen gelte, dass Markenartikel in der Lage sind, mehr als nur die Nahrungsaufnahme zu vermitteln, wobei Gottwald auf die Slow Food Bewegung verwies: fühlen und genießen.
Für ihn hat der Ökomarkt die besten Voraussetzungen, diese Werte zu erfüllen und konnte auch gleich mit den LOHAS (s. Verlinkung oben) auf reale Käuferschichten hinweisen.

Was ist davon nötig?
In der Diskussion zeigte sich, dass die Thesen Gottwalds nicht unwidersprochen blieben. Hat die Biobranche nicht bereits diese Wirtschaftsethiken und hebt sich dadurch von der konventionellen Produktion ab? Wolfgang Gutberlet von tegut sieht den Begriff Bio durchaus als Standard, den die Branche über eine Konsensbildung selbst geschaffen hat. Hingegen sei die EU-Bioverordnung eine von oben aufgesetzte Gesetzesregelung. Auch Götz Rehn von Alnatura sieht in der Begrifflichkeit Bio eine Grundhaltung der Branche. Ein thüringischer Bauer vom Anbauverband Gäa sagte gegenüber Herd-und-Hof.de, dass eine weitere Erklärung der Begriffe schon notwendig sei. Denn Nachhaltigkeit und kontrollierter Anbau haben weitestgehend Eingang in die Wirtschaftssprache gefunden. Die Unterschiede werden aber erst sichtbar, wenn man genau hinschaue.
So gesehen geht die ökologische Lebensmittelbranche in die nächste marktführende Profilierungsrunde.
Unterschiede gibt es auch in der Begrifflichkeit der Regionalität. Das kann ein Umkreis von 50 Kilometer sein - oder auch ganz Deutschland, wie der Schweizer Theo Häni von der GHP Financial Services AG aus Luzern definiert. Es gebe Regionen in denen gar kein Biofleisch produziert wird, fügte Wilmsen hinzu.
Daher braucht auch die Biobranche einen größeren Wirkkreis, obwohl das Dorf Zempow die wünschenswerte lokale Lebendigkeit und Wertschöpfung bildhaft demonstriert. Einen Ausweg definierte Bioland Vorstand Thomas Dosch: Er spricht nicht von der Regionalität, sondern von ?Bio mit Bezug?. Eine Beziehung zu dem Produzenten könne der Konsument auch über die Banane zum Bauern in Costa Rica aufbauen. So etwas verhindere auch, dass internationale Bio-Konsortien weltweiten und dann doch wieder anonymen Handel betreiben.

Naturland hatte auf der ANUGA Bio mit Gesicht vorgestellt: ?Direkt?vermarktung über größere Entfernungen.

Politik...
Seit dem Regierungswechsel muss sich auch die Ökobranche auf neue politische Partner einstellen. In der Zeit der Koalitionsgespräche fanden nur Ursula Heinen (CDU/CSU) und Fritz Kuhn (Bündnis90/DieGrünen) den Weg in die Landesvertretung Sachsen-Anhalts. Kuhn kündigte dabei an, dass es bei einer Änderung des Gentechnikgesetzes ?richtig Krach auf den Äckern und im Parlament? gebe.

Roland Krieg

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