Zweitausendundneunzehn

Handel

Zwölf neue Monate Zeit für…

Agrarmärkte

„Still und starr ruht der See“ heißt es im Weihnachtslied. Und das gilt aktuell auch für die Agrarmärkte. Die Händler schieben ihre Käufe und Verkäufe schon seit längerem auf das neue Jahr und hoffen auf höhere Preise. Der Getreidebulle aus der letzten Woche resultiert lediglich aus negativen Meldungen über die Ernte auf der Südhalbkugel.

Dennoch hält das Jahr 2019 viele Geschichten für ein aufregendes Preisjahr bereit. Das die Kanadier in Vancouver gerade jetzt in der Regenzeit weder Getreide noch Raps verladen können  ist eher reif für das Kabarett, als das es die Börse stimuliert. Die für Millionen kanadischer Dollar  erneuerten Terminals sind so rutschig, dass die Gewerkschaften ein Arbeitsverbot zwischen den Regenpausen durchgesetzt haben.

Ernster wird der 21. Januar. Dann nimmt das britische Unterhaus einen neuen Anlauf für einen Brexit. Im Sog folgt die Europawahl 2019, auf die Bauernpräsident Joachim Rukwied mit großer Sorge blickt. Zwischen den Jahren sagte er auf einer Versammlung in Baden-Württemberg: „Keiner weiß, wie sich das neue Parlament zusammensetzt, keiner weiß, wer Kommissar wird.“

Aber jeder weiß mittlerweile, dass es vor Herbst 2019 keine Einigung auf einen Mehrjährigen Finanzrahmen für die EU gibt. Und vorher keine Einigung auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Wie Rumänien, das zu Hause vor einer politischen Zerreißprobe steht, den Ratsvorsitz in den nächsten sechs Monaten leiten will, ist fraglich.

Die Nachbarn Europas sind zielstrebiger. Die Ukraine will bis 2030 ihre Getreideproduktion verdoppeln. Ein großer Teil geht in die Futterverarbeitung – damit Kiew auch mehr Geflügelfleisch exportieren kann. Die Exportquoten 2018 in die EU wurden bereits im September nahezu vollständig ausgeschöpft. Aus „lauter Not“, weil so viele Ölsaaten angebaut werden, diskutiert die Regierung die Erhöhung der Beimischungsquote von Biodiesel von zehn auf 20 Prozent. Nicht zuletzt will sie den Zuckermarkt deregulieren und die Zuckerfabriken dem freien Spiel des Wettbewerbs aussetzen. Das dürfte deutschen Rübenbauern Angstschweiß auf die Stirn treiben.

Neue Märkte müssen her. Das Weizenmonitoring auf den Zwergsteinbrand für den Export nach China liegt vor. Der Deutsche Raiffeisenverband hofft auf eine baldige Öffnung des Marktes. Die Bundesregierung verhandelt bereits mit Mexiko und Indonesien über Getreidelieferungen.

Aufschwung

Irgendwann ist jeder Boom einmal vorbei. Das wird in den kommenden Monaten auch für Deutschland an der Zeit. Zwischen Dämpfer und Rezession besteht aber ein großer Spielraum, der im Januar, im Sommer oder doch erst im Dezember ausgelotet werden könnte. Weil Wirtschaft eine höchst emotionale Angelegenheit ist, sieht Alexander Krüger, Chefvolkswirt vom Bankhaus Lampe, „stimmungsseitig“ keinen Grund zum Optimismus: Brexit und der Handelsstreit zwischen den USA und China verderben die Laune.

Seit Donald Trump in das Weiße Haus gezogen ist, hoffen die meisten Berichte in den Tageszeitungen unterschwellig auf ein baldiges Impeachment. Nachdem die Demokraten im Repräsentantenhaus im Herbst 2018 die Mehrheit gewonnen haben und den Haushalt blockieren, scheint die Amtsenthebung vielleicht näher zu rücken. Aber mit Trumps Auszug verschwinden nicht die Stimmungen, die ihn in das Amt brachten. Langfristig müssen die Amerikaner selbst entdecken, was für sie richtig ist. Und die Farmer, die für Trump das Rückgrat auf dem Land stellen, leiden mittlerweile unter der „finanziellen Dürre“, die Trumps Handelsstreitigkeiten ausgelöst haben. Exportmärkte brechen weg, Strafzölle auf US-Rohstoffe werden erhoben.  Beispielsweise ist der Export von Soja nach China 2018 bis Mitte November um 98 Prozent eingebrochen. Solange Europäer keine gentechnisch veränderten Rohstoffe importieren wollen, ist eine Umlenkung des Warenstroms vom Pazifik auf den Atlantik keine Alternative. Von den versprochenen 12 Milliarden US-Dollar Finanzhilfe für die Farmer hat das Weiße Haus erst 840 Millionen Dollar ausbezahlt. Die Zinsen sind seit Sommer 2018 angestiegen.

Im Welthandel zeichnet sich ein neues Problem ab. 80 Prozent der Waren werden mit Containerschiffen zwischen den Kontinenten transportiert. In den letzten zehn Jahren ist das Frachtaufkommen ständig angewachsen. Die Menge an Lkw allerdings nicht. Die sind nach wie vor für den Transport vom Überseehafen in das Hinterland zuständig. Die amerikanische Transportbranche rechnet mit steigenden Lagergebühren und Verzögerungen im intermodalen Transport (Hochseeschiff, Bahn, Lkw, Binnenschiff).

Ernährungswirtschaft

Kurz vor der Internationalen Grünen Wochen in Berlin darf die Ernährungsindustrie sich über die konjunkturelle Lage in Deutschland freuen. Sie wird auch 2019 eine sichere Bank sein. Aber: Steigende Kosten, begrenzte Finanzierungsspielräume, Fachkräftemangel und ein weiterhin harter Wettbewerb im Handel fordern die Unternehmen heraus. Die Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) sieht einen wachsenden Bedarf an spezialisierten Fach- und Führungskräften durch die aufkommende Digitalisierung im Handel. Der Trend vergrößert die Unterschiede zwischen mittelständischen Unternehmen und Konzernen. Dennoch hat die Zahl der Bewerber abgenommen. Das allerdings ist keine deutsche Ausnahme. Mella Frewen ist Generaldirektorin des Europäischen Wirtschaftsverbandes FoodDrinkEurope. Sie sieht die Kluft zwischen Bedarf und Nachfrage von Fachkräften in ganz Europa anwachsen. Frewen sieht die Ursachen in einem falschen Bild des Arbeitsumfeldes, das mit niedrigen Einkommen und fehlenden Karrierechancen behaftet ist. In diesem Jahr werden die Ergebnisse aus der Studie „Neue Berufe und Karrierewege in der Ernährungsindustrie“ erwartet. Durchaus ein Vorbild für die „grünen Berufe“.

Im Gegensatz zu den geäußerten Pressemitteilungen, ist die Branche nicht so positiv auf die Bundesernährungsministerin zu sprechen. Das rasante Tempo bei den Reformulierungen von Rezepturen bleibt ein Eingriff auf die Geschäftsmodelle. Auch die Einigung bei den unlauteren Handelspraktiken bleibt ihren Erfolg schuldig. Es fehlt eine „klare wirtschaftsorientierte Zukunftsvision für Deutschland und die EU“, heißt es im letzten Konjunkturbericht 2018 der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Die Ernährungsbranche leidet unter den gesellschaftlichen Wünschen. Ausgerechnet in den oft verpönten Bereichen der tierischen Veredelung Milch und Fleisch investiert die Branche hohe Summen. Immerhin: Aus der Ernährungsbranche stammen die meisten Start-ups in Deutschland. Die Nischen für regionale Handwerksbiere sind langsam ausgereizt, aber der Massenmarkt für Tütensuppen und Nudeln hält noch viele Extragewinne für Pionierunternehmen bereit.

Wie sich die Exporte, bislang eine tragende Säule der Ernährungsbranche entwickelt, bleibt abzuwarten. Preiswerte Massenware gibt es genug. Die aufstrebenden Mittelschichten in den Schwellenländern sind bereit für Spezialitäten „Made in Germany“.

Wo aber können Landwirte ihre Produkte in Deutschland verkaufen? Gibt es wirklich Alternativen zur Marktmacht der „großen Fünf“? Wer nicht in die Direktvermarktung will, der findet immer weniger Gelegenheit, sich regional zu etablieren. Regionalregale sind zwar im LEH beliebt, aber auch die gibt es nur auf der Grünen Wiese. Die Innenstädte veröden. Das hat das Weihnachtsgeschäft 2018 erneut gezeigt. Spezialläden wie „mymuesli“ schließen die Standorte innerhalb der City, weil die Kunden fern bleiben. Eine Trendwende der Innenstädte ist trotz einzelner Beispiele nicht in Sicht.

Mittlerweile haben neun Bundesländer die umstrittenen „Pranger“-Listen wieder aufgenommen, nachdem die Löschfrist geregelt wurde. Auch bei der Nährstoffkennzeichnung will Klöckner in diesem Sommer eine Ergänzung auf den Markt bringen, wie der Tagesspiegel berichtet hat.

Politik

Das Desaster um die Ferkelkastration mahnt. Detailverliebtheit statt Rahmenkompetenz führt in eine Sackgasse und verheißt für das staatliche Tierwohllabel nichts Gutes. Die Bauernbranche selbst muss sich eingestehen, dass es nicht so arg viele Möglichkeiten der betrieblichen Risikominimierung gibt. Das Wenige ist umstritten (Risikoausgleichsrücklage) oder blockiert (Gewinnglättung). Der Ruf nach Staatshilfe verträgt sich nicht mit der Marktorientierung.

Leichter hat es da der Handel, der von Umweltministerin Svenja Schulze ein konkretes Konzept für Einsparungen von Treibhausgasen fordert: „Wir brauchen jetzt in Deutschland ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz“, forderte Stephan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschlands (HDE) im Dezember.

Russland

Russland bleibt mit seiner Krimpolitik ein Unruheherd in der Nachbarschaft. Die Agrarmärkte sind durch Sanktionen und Gegensanktionen weg. Aber auch über den anderen Märkten ziehen sich Wolken zusammen. Nach Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer (AHK) im Dezember, fürchten die deutschen Unternehmer in diesem Jahr eine Stagnation (36 Prozent) oder Verschlechterung (23 Prozent) der russischen Wirtschaft. Die Zahl der Optimisten hat sich gegenüber der Vorjahresumfrage glatt halbiert. „Die Verunsicherung durch eine mögliche neue Zuspitzung der politischen Konflikte und weitere Sanktionsrunden der USA ist mit Händen zu greifen“, sagte Ost-Ausschuss-Vorsitzender Michael Harms. Allerdings: „Die Sanktionen führen nach Meinung der in Russland vertretenen deutschen Unternehmen nicht zu den politisch erwünschten Ergebnissen“, ergänzt Matthias Schepp von der AHK. Er fordert einen Neustart der Beziehungen. Der sinkende Rubelkurs macht deutsche Waren für den russischen Einkauf in diesem Jahr teuer. Im Land vor und hinter dem Ural boomt aktuell nur die Landwirtschaft.

Brexitannien

Das Vereinigte Königreich scheidet am 29. März aus der EU aus. Ohne „Deal“ werden alle Einfuhren nach Großbritannien mit zusätzlichen Zöllen belegt. Nestlé hat schon die Vorräte auf der Insel aufgestockt, damit die unsichere Übergangszeit, welche Zölle auf welchen Waren, welche Produkte wie teuer machen, nicht zu einem Versorgungsengpass führt. Damit können die britischen Kunden zumindest Nestlé-Produkte „zu alten Preisen“ kaufen.  Marktbeobachter befürchten Preissteigerungen bei Lebensmitteln zwischen fünf und zehn Prozent. Aldi und Lidl werden die Gewinner des Brexits sein, heißt es bei britischen Händlern. Der Weihnachtseinkauf 2018 zeigte ein Minus von neun Prozent, wie die Lebensmittelzeitung berichtete. Die deutschen Discounter haben dabei kräftig bei traditionellen Produkten wie Truthahn, Plum Pudding und Mince Pie mitgemischt.

Außerhalb des EU-Schirms wird sich auch Amazon auf der Insel deutlicher zeigen. Mit dem Kauf von Whole Foods haben die Internethändler auch sieben Läden in Großbritannien erworben und nutzen den stationären Handel als Auslieferungsort für ihre Online-Waren. Immer wieder wird eine Ausdehnung auf den europäischen Kontinent spekuliert. Der Sprung nach Deutschland wäre nach Analyse der Lebensmittelzeitung nicht ungewöhnlich, wenn auch nicht die „Großen“ wie Rewe oder Edeka auf dem Speisplan stehen. Amazon könnte sich im Süden den Drogeriemarkt Müller, in Deutschlands Mitte den zur Schweizer Gruppe Migros gehörende Tegut und im Norden den Regionalhändler Bünting einverleiben.

Eine Einkaufsliste gibt es auch für Großbritannien. Morrisons gilt als geeignet. Das würde Brexitannien einen dramatischen Wandel im LEH bescheren, weil Tesco und die Walmart-Tochter Asda kurz vor der Fusion stehen.

Und zum Schluss

Anfang Februar beginnt in China das „Jahr des Schweins“. Es verspricht Glück, Reichtum und Zufriedenheit. Die Menschen, die die sich sozial engagieren, Teamgeist pflegen, die Geselligkeit leben und verlässlich füreinander einstehen – auch wenn es brenzlig wird – werden am glücklichsten sein. Die Deutsche Wildtier Stiftung kennt auch ein Tier in heimischen Forsten, das sich so beschreiben lässt: Das Wildschwein.  Im Januar werden die Frischlinge geboren. Allerdings lassen Wildschweine vor dem Hintergrund milder Winter und üppiger Äcker mittlerweile ihre Saisonalität vermissen. Und ob die Wildschweine, in China oder Europa, im kommenden Jahr Glück haben, weiß allein das Virus der Afrikanischen Schweinepest.

Roland Krieg

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