Zwischen Nulltoleranz und Fahrlässigkeit
Handel
Positionen zur Harmonisierung des Pflanzenschutzrechts
Jedes Mal wenn eine Obst- und Gemüsesorte ihren Saisonstart markiert, dauert es nicht lange, bis die Feldfrucht mit Pestizidrückständen auch in den Schlagzeilen steht. Der Streit über Pestizidrückstände zeigt die Gräben zwischen den Umwelt- und Verbraucherverbänden und der Agrarindustrie. Bei der bevorstehenden Harmonisierung des Pflanzenschutzrechts der EU positionierten sich vergangenen Freitag auf Einladung der agrarpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Cornelia Behm, die Beteiligten bei einem Fachgespräch im Bundestag erneut. Aus den verschiedenen Positionen soll eine einheitliche politische Strategie entstehen.
„PSM sichern ganzjährige Vielfalt“
Volker Koch-Achelpöhler, Industrieverband Agrar (IVA), hatte bereits auf der Internationalen Grünen Woche auf die Gefahr bei der Harmonisierung des Pflanzenschutzrechts in der EU hingewiesen, dass bis zu einem Drittel der Pflanzenschutzmittel (PSM) wegfallen könnten und der Vorschlag einer zonalen Aufteilung der EU nicht nachvollziehbare Ungerechtigkeiten hervorbringt. Am Freitag wiederholte er seine Ansicht, dass PSM die ganzjährige Vielfalt des Obst- und Gemüseanbaus sichert, Resistenzen gegen Schädlinge vorbeugt und Qualitäten erzeugt. Er warnte erneut vor einer Abwanderung ganzen Produktionszweige ins Ausland.
Industrielle Schnippelware |
Auch Karl Schmitz von der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) wiederholte seine Forderungen von der Berliner Fruit Logistica, dass der Handel die immer wieder auffälligen Produkte konsequenter auslisten müsste, da sie die ganze Branche in Verruf bringen. Das Zonenmodell könnte verwirklicht werden, wenn es sich dabei nicht um politische Grenzen handelte, sondern Gebiete mit gleichen klimatischen Bedingungen zusammengefasst würden. Besser sei allerdings die gegenseitige Anerkennung, die innerhalb der EU viel zu wenig genutzt würde. Eine Erzeugerorganisation, die in den Niederlanden die Weiße Fliege mit PSM behandeln dürfe, müsse das einen Kilometer weiter beim deutschen Nachbarbetrieb verbieten. Am Freitag legte er noch nach und forderte einen Grenzwert für einen Wirkstoff für alle Produkte – auch bei Importen.
Die Parallelimporte sieht auch Dr. Christian Grugel, Präsident des Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) als Problem an. So könne es nicht sein, dass ein Fungizid im Zitrusanbau in den mediterranen Erzeugerländern einen niedrigern Höchstwert aufweise als im Importland Polen. Seit 2005 gehen aber die Belastungen mit Pestiziden zurück, wie das Lebensmittelmonitoring zeigt.
„EU-Harmonisierung erhöht die Grenzwerte“
Durch die geplanten Einfuhrtoleranzen bei PSM sieht Pflanzenschutzexperte Manfred Krautter von Greenpeace die Gefahr gegeben, dass nach der Harmonisierung die festgelegten Grenzwerte höher ausfallen, als sie es derzeit sind. Die möglichen höheren Grenzwerte gegenüber dem Binnenmarkt führe die EU aus Rücksicht auf die WTO-Verhandlungen ein. Zwar könne die Harmonisierung Vorteile bringen, aber nur, wenn die Gelegenheit genutzt würde, die Grenzwerte insgesamt abzusenken.
Thomas Isenberg von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ist kompromisslos: „Rückstände, egal in welcher Höhe haben keinen gesundheitlichen Nutzen!“ Daher dürfen sie gar nicht vorhanden sein. Gerade jetzt nicht, wo mit Aktionen wie „5 am Tag“ die Bevölkerung zu mehr Obst- und Gemüseverzehr angehalten werde. Der vzbv begrüße ausdrücklich die verschiedenen Initiativen zur Rückstandsminimierung beim Handel, gibt aber auch zu bedenken, dass damit immer nur Teile des Marktes erreicht werden. Es sei nicht zu akzeptieren, dass immer wieder Höchstmengen überschritten werden, ohne dass gehandelt werde. In der EU sind etwa fünf Prozent der Waren betroffen und damit „nicht verkehrsfähig“ – in Deutschland sind es sieben Prozent.
Welchen Apfel wollen wir?
Die Handelsklassen der EU schreiben genau vor, wie beispielsweise ein Apfel beschaffen sein muss. Würden wir alle Äpfel kaufen, die mit geringen Fraßspuren und mit Schorf befallen sind, wie aus dem einheimischen Garten, fragte Michael Krebs vom Bundesverband Deutscher Fruchthandelsunternehmen. Die schönen Äpfel aus dem Supermarkt sind ohne PSM kaum zu formen.
Zusammen mit Karl Schmitz bietet er eine Lösung an. Ware kann in der Lagerhalle bis nach der Untersuchung vom Markt zurückgehalten werden, was aber die Ware wegen der Lagerzeit verteuern würde. Nach einem aufgebauten Ampelsystem würden die Erzeuger nach abgestuften Rückstandswerten angezählt.
Keine Chemie – keine Diskussion
Seit Dezember 2002 gibt es den IVB, den Herstellerverband Biologischer Pflanzenschutz. Dr. Hubertus Kleeberg forscht nicht nur für den ökologischen Landbau, sondern bietet die Palette von Mikroorganismen, Viren, Sexualpheromonen, Mineralen und Pflanzenextrakten auch dem integrierten Landbau an. Während die chemische Industrie aus 120 möglichen Wirkstoffen mit einem Kapitalaufwand von bis zu 200 Millionen Euro ein Marktfähiges Produkt entwickelt, bräuchten die Mitglieder des IVB nur 20 Millionen Euro und 20 Ausgangsstoffe. Allerdings ist die Zulassungsgebühr in Höhe von 2,5 Mio. € für den dahinter stehenden Mittelstand kaum bezahlbar. Daher solle diese für die ökologischen Pflanzenschutzmittel abgeschafft werden, forderte Dr. Kleeberg.
Vinasse statt Kupfer |
Er gibt aber auch zu bedenken, dass nicht für alle PSM ökologische Alternativen existieren. Die meisten gefundenen Rückstände bezögen sich auf Fungizide, also Mittel gegen Pilze. In den nächsten drei bis vier Jahren hat der Ökolandbau noch keine Alternativen zum Kupfer.
Harmonisierung ist ein langer Weg
Dr. Ursula Banasiak vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) legte noch einmal den Unterschied zwischen Toxizität und Exposition dar. Alle ADI, ARfD und NOAEL-Werte werden weltweit nach vergleichbaren Verfahren ermittelt, sagen aber über das tatsächliche Risiko nur wenig aus. Das ergibt sich aus der Exposition, aus der Menge, wie viele Portionen ein Mensch von den mit Rückständen belasteten Lebensmitteln auch tatsächlich verspeist. Diese Verbrauchergewohnheiten sind aber innerhalb der EU sehr unterschiedlich, was die Aufgabe der Harmonisierung der Pflanzenschutzrichtlinie alles andere als vereinfacht. Schließlich ist die gesetzliche festgelegte Höchstmenge auch nichts anderes als ein Handelskriterium, bei dem gilt, dass er so gering als vernünftigerweise erreichbar ist. Auch Schmitz betonte, dass es sich bei den Diskussionen um „einen Disput zwischen Handelspolitik und Verbraucherschutz“ handelt.
Bauern auf dem Rückzug |
Der aber alles andere als einfacher wird. Susanne Smolka vom Pestizid Aktions Netzwerk PAN wies noch einmal eindringlich auf die neue Problematik der Mehrfachrückstände hin. Deutschland liegt hinter den Niederlanden und Tschechien mittlerweile auf Platz drei dieser Rangliste. Bei Mehrfachrückständen gibt es derzeit auch noch den Methodenstreit bei der Zulassungsprüfung, ob Verdachtsmomente auf additiven oder synergistischen Effekten beruhen. Optimistisch zeigt sich Smolka beim Substitutionsprinzip, bei dem Wirkstoffe ersetzt werden müssen, liegen gleichwertige mit geringerem Risiko vor.
Roland Krieg